Merz hört mit – Knappe Kassen oder: Eins und Eins ist Eins und nicht Drei

Bargeld

Gießen/ Fulda. Ein Gespenst geht um in der Politik: die knappe Kasse. Alle Übel des gesellschaftlichen und politischen Lebens – von der Gefährdung der Wanderwege (Klimawandel und knappe Kassen gefährden Wanderwege in den Alpen, Münchner Merkur-online, 11.Mai 2009)) bis zum Kampf gegen Ebola (Knappe Kassen im Kampf gegen Ebola, Lüneburger Nachrichten-online, 27.September 2014) und der Aufdeckung von Morden (Knappe Kassen behindern Entdeckung von Morden, hallelife.de, 7.Februar 2013) – gehen, so scheint es, auf eine Ursache zurück: eine offenbar seit Jahren andauernde Knappheit an Kassen. Diese Knappheit ist umso rätselhafter, als eine – freilich nicht repräsentative – Umfrage bei führenden Kassenproduzenten in Deutschland zu dem Ergebnis führt, dass die Produktion von Kassen auf einem historischen Höchststand ist.

Vielleicht liegt des Rätsels Lösung demzufolge darin, dass das Problem nicht die Kassen an sich sind sondern eher ein akuter Mangel an dem, was einstmals in diese Kassen getan wurde, also zu den noch nicht bargeldlosen, sondern bargeldaffinen Zeiten, als man noch Pinkepinke, Knete, Patte, Schotter, Moos zu dem sagte, was sich heutzutage jeder haptischen Wahrnehmung, also dem „Begreifen“ und damit auch dem Begriff entzieht, nicht aber dem Griff, denn: „Roland Koch und Volker Bouffier greifen in die Taschen der kommunalen Kassen.“ (G. Rudolph, PGF-SPD, Landtags-Plenum 27.Juni 2012)

Vielleicht kommt gerade daher die Ratlosigkeit, mit der Politik und Gesellschaft das Problem diskutieren, das mit dem Wortpaar „knappe Kassen“ auf so enigmatische Weise umschrieben wird. „Wir haben noch nicht mal die Basis der finanziellen Grundlagen“, wird da etwa geklagt. (H. Witzel, FDP-Kreistagsfraktion Gießen, Sozialausschuss Kreistag Gießen, 30.November 2005) Auf das Flüchtige, Ephemere des Phänomens verweisen Sätze wie: „Die Luftnummer der Finanzierung steckt im Wunschdenken.“ ( W. Greilich, MdL-FDP, Landtags-Plenum, 9.April 2008) oder „Zunächst wurde dieser Haushalt durch allerhand Luftbuchungen zurechtgeschminkt.“ (F. Kaufmann, MdL-Bündnis 90/Die Grünen, Landtags-Plenum, 13.Dezember 2012. Das Rätselhaft-Widersprüchliche tritt deutlich zutage, wenn einerseits „Schlaglöcher den Weg pflastern“ (M. Bocklet, MdL-Bündnis 90/Die Grünen, Landtags-Plenum, 4.März 2010), andererseits die Wege aber über Felder führen, „auf denen man Geld regenerieren kann.“ (H. Hofmann, MdL-SPD, SPD-Landtagsfraktion, 16.August 2011)

Neben dem flüchtigen Element der Luft wird häufig das – ebenfalls an das Transitorische, Vergängliche, kurzum Vergebliche all unseres Strebens gemahnende – Element des Wassers zu Beschreibungszwecken herangezogen. Dabei wird aus der knappen Kasse resp. dem Mangel an Kasseninhalt, also der sprichwörtlichen Ebbe in der Kasse, das genaue Gegenteil. Da steht das Wasser schon mal „Unterlippe Oberkante“ (N. Schmitt, SPD-MdL, Landtags-Plenum 1.Februar 2012). Was tun? „Wem das Wasser bis zum Hals steht, der muss irgendwann mal die Hose runter lassen.“ (K.-P. Möller, Stadtverordneter-CDU, Gießen, HFWR-Sitzung, 14.Januar 2013) Ob das freilich hilft, darf ebenso bezweifelt werden wie dies: „Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, nutzt es nichts, wenn ständig an der zu kurzen Decke gezogen wird.“ (W. van Ooyen, MdL-Die Linke, Landtags-Plenum 15.Dezember 2011) Auch Rettungsschirme versprechen wenig Hilfe: „Sie werfen den Kommunen, denen das Wasser bis zum Hals steht, einen Rettungsschirm zu. Ob die davon trockener werden, weiß ich nicht.“ (ders., ebd.) Die Skepsis ist berechtigt, denn das Wesen des Rettungsschirms ist rätselhaft, als gesichert gilt lediglich: „Ein Rettungsschirm ist keine Gießkanne. Rettungsschirm und Gießkanne schließen sich aus.“ (G. Milde, MdL-CDU, ebd.) Bei Flut sind andere Mittel angezeigt: „Die Grunderwerbssteuer ist die Luftmatratze, an der sie sich festhalten.“ (N. Schmitt, MdL-SPD, Landtags-Plenum, 26.September 2012)

Wie nun aber wirklich mit dem Phänomen der Knappheit der Kassen resp. des Mangels an Inhalt umgehen? Manche Mutmaßung über den Urgrund des Problems bezieht sich genau auf den Mangel an Grund, also auf das Loch, das wahlweise in der Kasse oder im Haushalt gesucht und gefunden wird. Was nun freilich dagegen tun? „Ich mach mal den Deckel weg und zieh dann den Boden ein und wo früher der Deckel war, da ist jetzt der Boden.“ (J. Frömmrich, MdL-Die Grünen, Landtags-Plenum, 30.Mai 2012) Könnte gehen, wenn da nicht diese Verwirrung über das Verhältnis von Topf (resp. Kasse), Deckel und Boden wäre, die dazu führt, „dass man den Deckel auch von unten einziehen“ muss (G. Rudolph, PGF-SPD, Fraktionssitzung, 22.Januar 2013)

„Mangels Alternativlosigkeit“ (H. Geißler, Stadtverordneter Freie Wähler, Gießen, HFWR-Ausschuss, 14.Januar 2013) muss freilich trotzdem alles versucht werden. Da kommt natürlich auch der Trick mit dem Ausbremsen (vgl. Kolumne vom 19.Januar 2015) zur Anwendung: „Jetzt bekommt die Schuldenbremse ein Gesicht und die Abgeordneten das Handwerkszeug, dass die Schuldenbremse auch Zähne zeigen kann.“ (Abgeordnetenbrief 04/2013 des Hessischen Finanzministeriums, zitiert nach: Darmstädter Echo 24.Mai 2013) Und: „CDU und FDP hauchen dem (sic!) Schuldenbremse Leben ein.“ (M. Döweling, MdL-FDP, zitiert nach: Darmstädter Echo, 24.Mai 2013; Originalquelle: Muster-Pressemitteilung aus dem Abgeordnetenbrief 04/2013 des Hessischen Finanzministers)

Ob’s hilft? Zweifel bleiben: „Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend ‚Abbautreppe‘ der hessischen Nettoneuverschuldung ist bereits jetzt Makulatur.“ (LT-Drucksache 18/6925). Selbst im Schuldenbremserhäuschen macht man sich Sorgen: „Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hat vor einem Scheitern der Schuldenbremse gewarnt.“ (dpa-Meldung Wiesbaden/Berlin, 12.März 2014) Da wird beim angesteuerten Bremsziel, der berühmten ‚schwarzen Null‘ schon mal vorgebaut: „Kretschmann warnte davor, sich an einer ‚magischen Null hochzuziehen‘.“ (W. Kretschmann, MP BAWÜ-B90/Die Grünen, zitiert nach: Süddeutsche Zeitung, 6.Juni 2014)

Natürlich ist es da nützlich, erst einmal richtig zu rechnen: „Während Schwarz-Gelb noch die Kürzung des KFA mit dem dicken Daumen vorgenommen hatte….“ (W. van Ooyen, MdL-Die Linke, LT-Plenum, 15. Oktober 2014) geht es jetzt so: „Man nehme statt 23 % Steuermasse, die den Kommunen zusteht, 21 %, rechnet dann hoch, dass die Pflichtaufgaben diesen anderen Betrag ausmachen, und kommt noch mit einem Sahnehäubchen obendrauf, um Imagegestaltung zu pflegen, und schon ist die Rechnung fertig.“

So geht’s natürlich nicht, denn richtig war, ist und bleibt: „Wenn es um viel Geld geht, dann zählt auch die Stelle hinterm Komma.“ (R. Tichy, Chefredakteur Wirtschaftswoche, DLF, 06.12.2012) Deshalb gilt auch: „Eins und Eins ist Eins und nicht Drei.“ (V. Wissing, MdB-FDP, zitiert nach: heute-show, 26.10.2012)

Politik aber muss „mit Wasser kochen lernen.“ (Titel eines „Crashkurses“ von Bündnis 90/Die Grünen Hessen für Kommunalpolitik, zitiert nach: FAZ, 19.03.2012). Und sie muss wissen: „Die Feinde der Freiheit werden wir nicht mit Sparschweinen bekämpfen…..“ (MdL Alexander Bauer, Landtags-Plenum 16.11.2011) Und mit knappen Kassen schon mal gar nicht! +++ fuldainfo | gerhard merz