
Schon auf dem Weg zum Gelände des SV Willofs riecht es nach Tradition. Die legendäre Holztribüne und die Bratwurst lockt. Ureigene Fußball-Werte locken. Niemand verkauft hier seine Seele, erst recht nicht die eifrigen Mitarbeiter des Vereins. Und es liegt Besonderes in der Luft. Etwas, das die Momente besonders machen: Ein Spieler wird verabschiedet, ein anderer namens Jonas Schulte erwartet auch Besonderes. Der Einsatz des Groundhoppers wird als „Comeback“ angekündigt, der Mit-Betreiber des Podcastes „Kreis.Liga.Kult“ darf ein Bad in der Menge nehmen.
Natürlich wird an diesem Sonntag Ende Mai auch gekickt. Ein spezieller Vergleich geht über die Bühne: Der Vorletzte der Kreisliga B, der SV Willofs, hat den Letzten der Klasse, die SG Lautertal II, zu Gast. Gerade jene Spieler verdienen Respekt. Respekt, der ihnen oft vorenthalten wird. Zu oft. Markus Pflanz, das gehörige Stück Fußball-Kompetenz in Osthessen und als Profi-Trainer in Belgien auch zu Gast auf dem Dorf, erklärt das so: „Wenn man es runterbricht, ist alles trotzdem nur Fußball. Und jeder macht‘s halt gern.“
Auch dies ist wichtig. Dieses Gefühl. Das vom Kicken „ganz oben“ bis zu jenem „ganz unten“. Jedem gebührt seine Heimat. Und zwischen den Zeilen spürt man die Momente, die auf Kreisebene wichtig sind. Es spielt keine Rolle, dass der Sportplatz nicht die Ausmaße besitzt, die mancher, der sich hier verläuft, gewohnt ist. Dafür bietet der SV Willofs etwas, das so gut wie nicht mehr anzutreffen ist: eine Holztribüne. Die ist zwar etwas in die Jahre gekommen natürlich, aber Schmuck sieht sie aus. Und sie fühlt sich auch so an. Besser gesagt: ihr Innenleben. Als ich einen der Zuschauer frage, ob er die Emotionen spürt, die hier liegen und vergraben sind – ja, unter der Holztribüne – staunt er. Unter dem Holz sind sie versteckt. Und füllen die Herzen der Fußball-Traditionalisten. Die Echte. Die etwas für Fußball übrig haben.
Nein, das hier ist der Ort, wo das Herz noch zählt. Niemand verkauft hier seine Seele. Niemand. Die fleißigen Helfer des SV Willofs erst recht nicht. Etwa Jenny Spieß, die sich etwas bedeckt hält. Na gut, erlaubt. Oder Nina Gottwald, die, sagen wir, Präsidentin. Man sieht den Helfenden förmlich an, dass es ihnen Spaß macht, sich gegenseitig zu helfen. Diese Kraft trägt den Verein. 2018 nahm der SV Willofs seinen Spielbetrieb wieder auf – nachdem er zuvor keine Mannschaft stellen konnte. Personalmangel. Umso besser, dass er zurück ist. Eine Bereicherung. Schließlich ist Willofs ein Kleinod zwischen Schlitz und Lauterbach. 400 Einwohner etwa zählt der Ort. Man hört noch, dass der Verein im nächsten Jahr angreifen wolle. „Vorletzter werden wir nicht mehr“, heißt es.
Wir springen. Das ist erlaubt dieses Mal. Im Text und auch am Sportplatz, an dem man sich so wohl fühlt. Die Umgebung macht‘s. Kommen wir wieder zu Markus Pflanz. Dessen Erscheinen macht Sinn. Der Podcast machte es möglich, dass er Jonas Schulte kennenlernte. Folglich trainierte er die Kicker des SV Willofs kürzlich – und da war es selbstverständlich, an dessen besonderem Tag vorbeizukommen. Früh schon ist der SV Willofs in Führung gegangen, auch Jonas Schulte, der noch an der Seitenlinie oder Bank steht – nein, er sitzt nicht, Das geht an diesem Tag nicht – jubelt. Chancen, den Vorsprung auszubauen, bieten sich dem Gastgeber zur Genüge. Beim 3:0 zur Pause ist das Ding entschieden. Oder zumindest vorentschieden.
Dass Schulte den Kreisliga-Fußball in sich trägt, weiß man. Seine Bemerkung zementiert das. Nach dem 3:0 sagt er, noch immer draußen: „Ich kann nichts mehr kaputtmachen.“ Eine Mischung aus Lachen. Freude. Begeisterung. Eine Bemerkung des Aufgehoben-Seins. Da entdeckt man eine stattliche Gruppe aus Tiefenort. Von Kali Werra. Ihre schmucken Jacken, die den Verein repräsentieren, verraten es. Nein, man entdeckt sie nicht erst auf der Tribüne. Schon mit den Schritten zum Sportgelände hat man es gesehen. Mit einem Vereinsbus sind sie angereist, ein Pkw dazu. Gute Freunde kann niemand trennen. Fußball-Tradition wird gelebt.
Auch hier schlug der Groundhopper und Podcast-Betreiber Jonas Schulte die Brücke. „Willofs ist ja sein Herzensverein“, lässt uns die Gruppe aus dem nahen Thüringen wissen. Einst spielte Kali Werra in der DDR-Liga, der zweithöchsten Spielklasse des Landes, höher platziert war nur die Oberliga. Von Kali Werra kam so mancher Kicker nach der Wende in den Westen rüber. Der TSV Ausbach freute sich über so manchen Spieler, zum Beispiel den Torjäger Mike Lindemann. All diese Spieler hatten eines gemein: eine gute Ausbildung; besser oft, als die im Westen.
Wir kommen mit Markus Peter ins Gespräch. Nach einem Kreuzbandriss musste er seine aktive Laufbahn beenden, heute ist er 1. Vorsitzender des Vereins nahe Bad Salzungen. „Wir wollen, dass der Fußball so bleibt, wie er ist“, wirft er sich emotional ins Zeug und wirkt dabei sehr seriös und plausibel. „Fußball soll Spaß machen. Es ist einfach der Spaß am Fußball. Dass die Frauen dabei sind. Dass die Arbeit mit der Jugend stimmt.“ Und die stimmt bei Kali Werra. 16 Mannschaften hat der rührige Traditionsverein im Spielbetrieb, jede Altersklasse ist doppelt besetzt. „Wir halten zusammen“, bestätigt seine Ehefrau Kathi. Überhaupt ist Kali Werra gut vertreten auf der Holztribüne in Willofs. Der Stadionsprecher ist dabei, auch eine Frau, die den Kiosk betreibt. „Wir haben sehr viele helfende Hände“, sagt Peter. Und auf eines freuen sich alle bei Kali Werra: das 100-jährige Bestehen des traditionsreichen Stadions „Kaffeetälchen“ – dieses besondere Datum steht im nächsten Jahr an. Vor zwei Jahren, in 2023, feierte der Verein sein 110-jähriges Bestehen. Ort und Stadion quollen über. Der Kult hat mittlerweile so weit gereicht, dass Interessierte aus ganz Deutschland nach Tiefenort und zu Kali Werra kommen. Trainer in der dortigen Kreisliga A ist der Soisdorfer Jörg Sauerbrei.
Zurück in die Wohlfühl-Atmosphäre des SV Willofs. Erst trifft Jonas Schulte, der zur Pause eingewechselt wird, den Pfosten. Für einen Moment hat man das Gefühl, die Welt steht still. Auch wenn sich Schulte das Knie verdreht. Doch innerer Wille, Support und das Gefühl von außen tragen ihn. Es geht weiter. Am Ende siegt sein Team 4:0.
Plötzlich kommen die Spieler beider Mannschaften an der Mittellinie zusammen. Sie bilden ein Spalier für den Ungarn Tamas Niezelberger, der verabschiedet wird. Gänsehaut-Momente in der Kreisliga. Markus Peter muss nicht viel sagen. Was aber, das ist treffend, einladend und eine Werbung für den Kreisliga-Fußball. „So verbringt man doch einen Nachmittag.“ So schmeckt der Fußball, könnte man auch sagen. Oder es riecht nach Tradition. Diese originären Werte beizubehalten. Sie zu konservieren. Und sie zu leben. Genau das war am Sonntagnachmittag beim SV Willofs der Fall. Niemand verkauft hier seine Seele. Hier, wo das Herz noch zählt.
In Folge 2 lesen Sie, wie es Jonas Schulte erging. Seine Sicht der Dinge. Von einem, der Kreisliga-Fußball lebt. Für den es Kult ist. Übrigens scheint nicht unbedingt ein Gefühl der Romantik zu sein. Eher ein Gespür. +++ rl

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