Das Drama der Heiligen Woche

Fulda. Stellen Sie sich einmal vor: Sie sind nachts in einer fremden Gegend mit dem Auto unterwegs. Auf einmal müssen Sie mit Beklemmung feststellen, dass Sie Position und Richtung verloren haben. Da plötzlich taucht an einer Weggabelung ein Zeichen im Scheinwerferlicht auf. Sie sehen es – und schon sind Sie vorbei. Aber der kurze Augenblick, in dem Sie es entziffern konnten, genügt. Sie wissen, wo Sie sind und wohin die dunkle Straße führt.

In einem übertragenen Sinn gibt es auch im menschlichen Leben immer wieder solche Weggabelungen, nämlich Situationen und Knotenpunkte, an denen wir uns vor grundsätzliche Entscheidungen gestellt sehen. Vor einer solchen elementaren Weggabelung stehen wir Christen mit dem Palmsonntag. Er bildet gleichsam die Ouvertüre der Heiligen Woche, in der wir das Drama des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu nachvollziehen. So ist gerade die kommende Woche nicht nur die reichhaltigste, sondern auch die symbolträchtigste im ganzen Kirchenjahr.

Sie lässt sich durchaus verstehen als ein groß angelegtes liturgisches Drama mit dem Palmsonntag als Prolog, mit den drei zentralen Akten von Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag und mit Ostern als dem entscheidenden Finale. In dieser liturgischen Konzeption zeigt sich nicht nur die katholische Vorliebe für die Sprache der Symbole, für den sinnlichen Ausdruck. Sondern es wird auch verstehbar, dass in der Liturgie der Heiligen Woche zwei prozessionsartige Wege vorgesehen sind, nämlich die Palmprozession und das liturgische Hinausbegleiten Jesu in die Nacht des Verrats und Leidens auf dem Ölberg nach der Einsetzung der Hl. Eucharistie am Gründonnerstagabend. Beide Prozessionen entsprechen sich in auffälliger Weise:
Am Palmsonntag zieht Jesus in die Stadt zur Tempelreinigung ein, die das Abbrechen des Tempels symbolisch darstellt und seinen Tod herbeiführen wird. Zugleich ist dieser Akt auch die innere Voraussetzung dafür, dass Jesus im Geschenk der Eucharistie sich selbst austeilt. Die Selbstausteilung erweist sich ihrerseits als Vorwegnahme seines Sterbens und als Bekenntnis zu seiner Auferstehung. Und Jesu Hinausgehen in die dunkle Nacht seines Pascha am Hohen Donnerstag ist schließlich das Hinausgehen in die Dunkelkammer des Todes hinein.

In zwei Prozessionen ist somit das ganze Drama der letzten Woche im Leben Jesu verdichtet.

Prozessionen sprechen ohnehin aus sich selbst. Sie erinnern daran, dass unsere Beziehung zu Gott auch sichtbaren Ausdruck und geradezu politische Öffentlichkeit finden muss. Und dazu gehören nicht nur das Sitzen und Knien, sondern auch und vor allem das Gehen in der Gemeinschaft der Glaubenden. Prozessionen führen deshalb sichtbar vor Augen, dass Christen ihr Glaube entweder in die Knochen fährt und ihre Füße mobilisiert oder dass sie diesen Namen noch nicht wirklich verdienen. Konkret sollen der Glaube und das Bekenntnis zu Jesus Christus in der Heiligen Woche dadurch werden, dass Christen mit Christus seinen Weg des Leidens bis in den Tod gehen, um auch Anteil an seinem neuen österlichen Leben zu erhalten. So wünsche ich Ihnen gesegnete österliche Tage. +++ fuldainfo | Bischof Heinz Josef Algermissen