Wie demokratisch war Kanzler Adenauer?

Henke stellte auf Point Alpha sein Buch „Adenauers Watergate“ vor

Auf der Grundlage erstmals ausgewerteter Unterlagen des BND sowie Hunderter Geheimberichte in den Archiven der CDU ist Prof. Klaus-Dietmar Henke „Adenauer Watergate“ auf die Spur gekommen. Fotos: Johannes Schneider

Dass die junge Demokratie in der Bundesrepublik unter Konrad Adenauer zu einer Erfolgsgeschichte avancierte, ist nicht zu bestreiten. Doch es fallen auch Schatten auf die Vita des hochverehrten Staatsmannes. Zur eigenen Machtsicherung hebelte der CDU-Chef demokratische Spielregeln des Grundgesetzes aus: Der erste Bundeskanzler profitierte von der Ausforschung der SPD-Führung durch den Geheimdienst. Aufgedeckt und aufgeschrieben hat diesen Skandal der Zeithistoriker Klaus-Dietmar Henke. In einem spannenden Abendvortrag mit anschließender, lebhafter Diskussion berichtete er im Haus auf der Grenze von Point Alpha über diesen brisanten Politthriller, der auf Recherchen für sein Buch „Adenauers Watergate“ basiert.

Nachtseiten eines Kanzlers

Benedikt Stock, Geschäftsführender Vorstand der Point Alpha Stiftung, bedankte sich bei dem Referenten Prof. Klaus-Dietmar Henke (rechts) für den informativen Vortrag.

Das Motto von Point Alpha lautet „Für ein Europa in Frieden und Freiheit“. Diesen europäischen Frieden hat Konrad Adenauer nachhaltig durch seine Entscheidungen geprägt. Das Bild von Adenauer scheint auf den ersten Blick sakrosankt. So schreibt der wohl wichtigste Adenauer-Biograph, Hans-Peter Schwarz, Adenauer hätte zwar „Nachtseiten“ gehabt, er habe jedoch nie den Rahmen des Grundgesetzes verlassen. „Diese Einschätzung lässt sich heute nicht mehr halten“, resümiert der 76-Jährige im Haus auf der Grenze. Dem erstaunten Publikum hatte er zuvor das – wie er es zugespitzt formuliert – „Demokratieverbrechen“ detailliert beschrieben. Doch wie war dieses „Watergate“ der jungen Bundesrepublik überhaupt möglich? Und wer waren die handelnden Personen, die Adenauer mit den exklusiven Berichten belieferten?

Der „weiße Rabe“ des BND

An der Spitze dieses Komplotts gegen die SPD stand Reinhard Gehlen, ehemaliger Geheimdienstler des Dritten Reichs und Leiter der Organisation Gehlen, dem Vorläufer des BND. Unter ihm agierte Dr. Siegfried Ziegler, als SPD-Genosse wie ein „weißer Rabe“ eine Besonderheit im erzkonservativen Nachrichtendienst. Ziegler unterhielt eine enge Verbindung zum eigentlichen Top-Informanten Siegfried Ortloff, Sekretär des SPD-Parteivorstands. Ortloff gewährte dem BND tiefe Einblicke in die SPD-Spitze, was von Gehlen genutzt wurde, um Informationen – etwa über Wahlkampfstrategien oder Personalfragen – an Kanzleramtschef Hans Globke weiterzuleiten. Globke wiederum reichte die Papiere an Adenauer weiter. Prof. Henke weist daraufhin, dass die regelmäßigen „Push-Nachrichten“ aus der Oppositions-Spitze bei Kanzler Adenauer auf großes Interesse trafen und zahlreiche Spuren in den Akten auf eine persönliche Bearbeitung durch den Kanzler hinweisen. Muss die Geschichte der jungen Bundesrepublik also neu geschrieben werden? Und was trieb Adenauer, der selber mit am Grundgesetz gearbeitet hat, dazu diese Grundregeln der Demokratie zu brechen?

Machtpolitik und Machtsicherung

Die erste Frage beantwortet Henke mit einem klaren Nein. Auch ohne Bespitzelung, wäre die SPD nicht erfolgreicher gewesen. „Nicht der BND, sondern die SPD selbst stand sich auf dem Weg zur Mehrheit im Weg.“ Dennoch hätten Adenauer, Globke und Gehlen die SPD als Gefahr für Deutschland betrachtet. Das für Adenauer jedoch die Machtsicherung im Vordergrund stand, macht Henke am Jahr 1958 fest. Das Godesberger Programm habe die „neue“ SPD weniger zu einer Gefahr für Deutschland als zu einer Bedrohung der Macht des bürgerlichen Lagers in Deutschland gemacht. Dennoch hätte Adenauer die SPD weiter ausforschen lassen, um einen Vorteil zu gewinnen. Hierin spiegele sich der gewiefte Machiavellist Adenauer wider, so die These Henkes.

Forschung und Demokratie

„Auch der beste Zweck, rechtfertigt nicht eine verwerfliche Tat“, erklärt Prof. Henke, der als Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND fungierte, zum Abschluss seiner Ausführungen. Das der Geheimdienst zur Inlandsspionage genutzt wurde, lag auch an der Nachkriegsgesellschaft. Die Spielregeln der Demokratie mussten nicht nur von der Gesellschaft, sondern auch von staatlichen Behörden und ihren Beamten gelernt werden. Das wir heute von einer weiteren „Nachtseite“ Konrad Adenauers wissen ist auch der Freigabe der BND-Akten zur historischen Forschung im Jahr 2011 zu verdanken. Ergebnis war ein 15-bändige Veröffentlichungsreihe, die sich minutiös mit dem deutschen Auslandsgeheimdienst beschäftigt. Forschung und Aufklärung sind elementare Bestandteile einer Demokratie, sie werfen Licht auf die dunklen Kapitel unserer Geschichte und machen sie der breiten Öffentlichkeit zugänglich. Es gilt aus diesen Fehlern zu lernen, um sie nicht zu wiederholen. Somit ist historische Forschung, mag sie auch unangenehme Aspekte über große Persönlichkeiten der deutschen Geschichte ans Licht bringen, ein zentrales Element zivilgesellschaftlicher und demokratischer Kontrolle. Offene Forschung und Mut zu unangenehmen Thesen, bereichern und stärken unsere Gesellschaft. +++ pm/ww