Top-Ökonomen warnen vor zweitem Lockdown

Umfrage: 74 Prozent bewerten Bund-Länder-Zusammenarbeit kritisch

Angesichts drastisch steigender Corona-Infektionszahlen wächst in der deutschen Wirtschaft die Angst vor einem erneuten Herunterfahren des öffentlichen Lebens. „Es ist in der Tat schwer vorstellbar, dass wir einen zweiten Lockdown wie in den Monaten März bis Mai ohne schwere, nachhaltige Wohlstandseinbußen verkraften könnten“, sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, dem „Handelsblatt“.

Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte: „Eine zweite Infektionswelle, die nochmals so umfangreiche Restriktionen erfordern und Verwerfungen verursachen würde wie die erste, dürfte die deutsche Wirtschaft härter treffen.“ Viele Unternehmen hätten ihre Rücklagen aufgebraucht und seien stark verschuldet. „Das Resultat von umfangreichen Restriktionen in der gegenwärtigen Situation dürfte eine massive Zunahme von Unternehmensinsolvenzen sein, die auch die A  rbeitslosigkeit in die Höhe und das Finanzsystem schwächen dürfte.“ Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, mahnte, eine Wiederholung des „wirtschaftlich extrem teuren“ flächendeckenden Lockdowns vom Frühjahr müsse „auf jeden Fall verhindert werden“. Und weiter: „Dazu gehört, jetzt die Eindämmungsmaßnahmen zu verschärfen, um härtere Eingriffe in zwei Wochen zu verhindern.“ Die ökonomischen Nebenwirkungen der Maßnahmen müssten aber immer mit im Blick sein. Allerdings geben die Ökonomen auch zu bedenken, dass die derzeitigen Infektionszahlen mit denen aus dem Frühjahr nicht vergleichbar seien. „Die Dunkelziffer war damals sehr viel höher“, sagte Felbermayr. Die RKI-Zahlen seien wegen ganz anderer Testvolumen anders zu interpretieren. Auch IW-Chef Hüther sagte, dass die Corona-Lage mit der im Frühjahr schon allein wegen der viel größeren Anzahl von Tests nicht zu vergleichen sei. Die Politik solle daher „auf pädagogisch motivierte Dramatisierung  en und schlecht begründete Maßnahmen wie das Beherbergungsverbot verzichten“. Das sieht auch Ifo-Präsident Fuest so: „Ökonomisch sind Beschränkungen vorzuziehen, die wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben ermöglichen, wie Maskenpflicht und mehr Tests inklusive Schnelltests“, sagte Fuest. Maßnahmen wie Beherbergungsverbote seien schädlicher.

Umfrage: 74 Prozent bewerten Bund-Länder-Zusammenarbeit kritisch

Die Bundesregierung und die Bundesländer haben sich am gestrigen Abend auf weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie geeinigt. Eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag der Mediengruppe RTL kommt zu dem Ergebnis, dass eine große Mehrheit der Bundesbürger (74 Prozent) nicht den Eindruck hat, dass Bundesregierung und Bundesländer bei der Eindämmung der Corona-Pandemie gut zusammenarbeiten. Dies sieht insbesondere die Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen so sowie die Anhänger der AfD (89 Prozent), gefolgt von FDP (84 Prozent), Grünen und Linke (jeweils 74 Prozent), CDU/CSU (72 Prozent) und SPD (65 Prozent). 16 Prozent der Befragten gehen die jetzt beschlossenen Maßnahmen zu weit. Dieser Meinung sind insbesondere die 30- bis 44-Jährigen (22 Prozent) sowie Anhänger der AfD (53 Prozent), gefolgt von FDP (16 Prozent), Linke (zehn Prozent), CDU/CSU (acht Prozent), SPD (sieben Prozent) und die Grünen (fünf Prozent). 50 Prozent der Bundesbürger finden  die von der Politik jetzt beschlossenen zusätzlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie angemessen. Diese Auffassung vertreten insbesondere 18- bis 29-Jährige (56 Prozent) sowie Anhänger der Grünen (60 Prozent). 31 Prozent gehen sie hingegen nicht weit genug. Dieser Auffassung sind insbesondere Befragte ab 60 Jahren und älter (36 Prozent) sowie Anhänger der SPD (37 Prozent). Für eine wachsenden Beunruhigung in der Bevölkerung über die steigenden Infektionszahlen spricht, dass aktuell 82 Prozent der Bundesbürger (gegenüber 67 Prozent in der Vorwoche) es für wahrscheinlich (46 Prozent) oder sogar sehr wahrscheinlich (36 Prozent) halten, dass das öffentliche Leben bei weiter steigenden Infektionszahlen bundesweit wieder ähnlich stark eingeschränkt wird wie im Frühjahr. 18 Prozent (gegenüber 33 Prozent in der Vorwoche) halten einen erneuten „Lockdown“ wie im Frühjahr für unwahrscheinlich. Überdurchschnittlich häufig halten die AfD-Anhänger (54 Prozent) einen erneuten „Lockdown  “ für „sehr“ wahrscheinlich, gefolgt von FDP (38 Prozent), CDU/CSU (30 Prozent), Grünen und SPD (jeweils 26 Prozent) und Die Linke (16 Prozent). Im Hinblick auf das in einigen Bundesländern geltende Beherbergungsverbot haben lediglich 15 Prozent der Bundesbürger geplante Reisen innerhalb Deutschlands abgesagt bzw. wollen das noch tun. Eine große Mehrheit der Befragten (81 Prozent) hat dagegen keine Reisen abgesagt oder hatte ohnehin keine Reisen geplant. Für die Erhebung befragte Forsa im Auftrag der Mediengruppe RTL am 15. Oktober 2020 insgesamt 1.004 Personen. +++ nh/dts