„So geht Inklusion!“ – Inklusives Theaterprojekt der Gemeinschaft Altenschlirf begeisterte

Herbstein/Altenschlirf. Man möchte als Rezipient meinen, die Rolle des Mephistopheles sei Helmut Hampel wie auf den Leib geschrieben – denn seine Bühnenpräsenz ist nahezu einzigartig. Doch nicht nur Mephisto war am Freitagabend, dem Premierenabend von Faust, dem inklusiven Theaterprojekt der Gemeinschaft Altenschlirf, einzigartig. In diesem Kontext adaptierte die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft für Menschen mit und ohne Behinderung aus Altenschlirf (Vogelsbergkreis) ein Stoff, wie es ihn – ganz sicher – noch nicht gegeben hat:

„In unserer Inszenierung werden Faust und Mephisto jeweils von mehreren Darstellern verkörpert. Faust erscheint im ersten Teil als Gelehrter im mittleren Lebensalter, nach der Verjüngung in der Hexenküche, tritt ein zweiter, deutlich jüngerer Darsteller, auf. In den ausgewählten Teilen des zweiten Teils des Dramas, altert Faust wieder, bis er zuletzt – von einem dritten Spieler – als fast Hundertjähriger dargestellt wird. Bei Mephistopheles gibt es in der Charakterisierung zwei unterschiedliche Seiten: Die eine ist eher ‚nach außen gerichtet‘ und weckt den Wunsch, nach ‚materiellen Gütern‘ ebenso, wie das ‚Streben nach Macht‘. Die zweite Seite, verleitet im ‚Innern der Seele‘ zu ‚Süchten und Weltflüchtigkeit‘. Diese beiden Facetten – bringen wir durch zwei verschiedene Mephisto-Darsteller zum Ausdruck“, erklärt Regisseurin Almut König.

„Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“

„Ein Theaterstück, das mit seinen Inhalten – über die Grenzen von Geburt und Tod hinausgeht, nennt man Mysterienspiel. Faust fungiert als ein solches Mysterienspiel. Mit Faust I haben wir eine Tragödie, wie viele andere: Der Haupt-Handelnde gerät ‚zum Teil – ohne eigenes Verschulden‘ – durch die Umstände eines außergewöhnlichen Lebensganges in tiefe Schuld: Gretchens Mutter stirbt durch die Schlaftropfen, die Faust von Mephisto bekommen hat, Gretchens Bruder Valentin, im Fechtkampf mit Faust (worin die Zauberkräfte Mephistos mitwirkten), und Gretchen tötet – mittlerweile wahnsinnig geworden – ihr eigenes Kind, das sie mit Faust bekommen hatte, weil es in der damaligen Zeit ein Verbrechen war, ein Kind zu bekommen, ohne verheiratet zu sein. Faust I endet damit, dass sich Gretchen auch nicht von Faust aus dem Gefängnis retten lässt, weil sie Mephisto in seiner Nähe gewahrt und deshalb lieber den Tod durch den Henker auf sich nimmt“, verdeutlicht Projektleiter Norbert Venschott.

Mit der Bühnenadaption von Goethes Faust gelang der Gemeinschaft Altenschlirf ein Meilenstein inklusiver Theatralität. Die unkonventionelle Faust-Inszenierung eröffnet nicht nur einen neuen, andersartigen hermeneutischen Zugang des Stoffes, sondern fungiert darüber hinaus als bestes Beispiel, was „gelebte Inklusion“ leisten kann; Daneben fungiert – genau wie die Quintessenz des Fauststoffes – das Altenschlirfener Theaterensemble selbst als Gleichnis, welches in Mimik, Gestik und Dramaturgie über tautologische Werktreue   hinausgeht, gleichzeitig aber – und das ist das Besondere an der Altenschlirfer Inszenierung –der künstlerische Ausdruck unverklärt bleibt.

Warum ein Meilenstein?

Das inklusive Theaterprojekt der Gemeinschaft Altenschlirf fungiert deshalb als Meilenstein, weil es ein solches Projekt in dieser Art, wie es diese Lebens- und Arbeitsgemeinschaft angegangen ist, so und in dieser Form noch nicht gegeben hat: Beachtlich war – für viele Rezipienten – zu sehen, wie mit dem kanonisierten Stoff, beim inklusiven Theaterprojekt, umgegangen wurde, wie ihn die Darsteller auf einzigartiger Art und Weise adaptierte, interpretierte und nicht zu vergessen: Auf inklusivem Boden „lebte“.

„Es irrt der Mensch, solang` er strebt.“

„Es sind die Themen in Goethes Meisterwerk, die alle bewegen. Die Figur des Faust gilt auch heute noch als modernes Bild für das menschliche Streben nach Erkenntnis, zugleich aber auch als Beispiel, für Scheitern und Verführbarkeit. Insofern berührt das Werk – ganz gleich, ob bei Menschen mit oder ohne Behinderung – tiefe Lebensfragen. Goethe zeigt uns einen Menschen, der bis ins hohe Alter – mit all seinen Gedanken, Gefühlen und Taten – danach strebt: ‚Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammen hält'“, ist sich die Altenschlirfener Lebensgemeinschaf sicher.

Ein sehr schönes, didaktisch sehr gut umgesetztes Theaterstück, was im Kern an Brechts Begrifflichkeit des Epischen Theaters erinnert und assoziiert. +++ fuldainfo | jessica auth

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