Schwangerschaftsabbruch mit Hindernissen

Durchwachsene Versorgungslage in öffentlichen Kliniken 

Seit etlichen Jahren sind im Landkreis Fulda Schwangerschaftsabbrüche mangels Angebot unmöglich. Der politische Wille, dies zu ändern, ist zwiespältig. Es sei eben nicht wie im Film, dass sich jede Frau über eine Schwangerschaft freue. Finanzielle oder berufliche Sorgen, eine abgeschlossene Familienplanung oder psychische Erkrankungen sind einige von vielen Gründen, warum Zweifel aufkommen können, wie Anne Heidel von der Beratungsstelle Pro Familia in Fulda anführt. Sollten Paare dann nicht besser aufpassen? Keine Verhütungsmethode ist vollkommen sicher.

In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch eine Straftat – außer es gibt medizinische Gründe (Gefahr für das Leben der werdenden Mutter, erhebliche gesundheitliche Schädigung des Embryos), nach sexuellem Missbrauch (kriminologische Indikation) oder die Frau hat zuvor eine gesetzlich vorgeschriebene Schwangerschaftskonfliktberatung besucht. Letzteres macht etwa 96 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche aus. Bundesweit wurden 2020 insgesamt 99.948 vorgenommen, in Hessen im gleichen Zeitraum 8.380.

Gesetzlicher Auftrag: Schutz des Lebens

In Fulda bieten Pro Familia und Donum Vitae Schwangerschaftskonfliktberatungen an. „Der Schutz des ungeborenen Lebens ist unser gesetzlicher Auftrag. Hat sich eine Frau noch nicht klar entschieden, ob sie das Kind austrägt, zeigen wir mögliche Perspektiven auf, wie es gelingen kann“, sagt Heidel. Wer allerdings bereits fest entschlossen ist, die Schwangerschaft zu beenden, werde nicht krampfhaft vom Gegenteil überzeugt. Es gilt die freie Wahl. Im vergangen Jahr nahmen 106 Frauen das Angebot von Pro Familia und 147 das von Donum Vitae wahr. Am Ende des Gesprächs gibt es einen Beratungsschein und frühestens drei Tage später darf der Abbruch erfolgen. Wie viele Frauen sich dafür entscheiden, weiß Heidel nicht, weil sie keine Rückmeldungen erhält. Sie warnt allerdings eindringlich vor fragwürdigen Beratungsstellen wie Pro Femina. Der Verein ist für die Schwangerschaftskonfliktberatung nicht staatlich anerkannt und entsprechend zertifiziert und darf folglich gar keine Beratungsscheine ausstellen. Die Mitarbeiter haben weder die dafür vorgesehene Ausbildung genossen, noch führen sie die Gespräche ergebnisoffen. Frauen und Paare sollen sich für das Austragen der Schwangerschaft entscheiden.

Oft erfahren die Betroffenen erst von den Fuldaer Beratungsstellen, dass im gesamten Landkreis keine Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. „Ganz selten teilen dies Frauenärzte mit“, sagt Heidel und begründet dies unter anderem mit der rechtlichen Grauzone. Laut Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs ist das Werben für Schwangerschaftsabbrüche verboten, wer dagegen verstößt, riskiert eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren. Ist es bereits Werbung, wenn der Arzt einen Informationsflyer einer Klinik überreicht? Die Bundesregierung möchte Rechtssicherheit für die medizinische Aufklärung schaffen und dafür den Paragrafen neu regeln. Wann ist allerdings noch ungewiss.

Hürde durch weite Wege?

Das Klinikum Fulda beendet Schwangerschaften nur, wenn das Leben der werdende Mutter gefährdet ist. Alleine diese Information zu erhalten, hat acht Wochen gedauert, mehrere schriftliche Anfragen und telefonisches Nachhaken benötigt. Ob das Angebot auch auf Abbrüche nach der gesetzlichen Beratung ausgeweitet werden soll, blieb unbeantwortet.

Im Landkreis dürfen 32 Frauenärzte Schwangerschaftsabbrüche aufgrund medizinischer oder kriminologischer Indikation durchführen und entsprechend abrechnen, wie von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen zu erfahren war. Generell sei es nur dann sinnvoll Abbrüche in hiesigen Praxen anzubieten, wenn diese medikamentös oder als operativer Eingriff durchgeführt werden können. Nur so hätten Frauen Wahlfreiheit und der behandelnde Arzt könnte die individuell am besten geeignete Methode anwenden. Dafür sei das Klinikum geeignet, sagt ein Experte aus der Region, der seinen Namen an dieser Stelle nicht lesen möchte. Kreisvorsitzender Markus Meyser und der Vorsitzende der Kreistagsfraktion Thomas Hering (beide CDU) verweisen darauf, dass Ärzte und medizinisches Personal freiwillig entscheiden können, ob sie medizinisch nicht notwendige Abbrüche durchführen oder nicht. „Daher kann und sollte politisch nicht vorgegeben werden, dass ein Haus solche Eingriffe vornehmen muss“, sind sich beide einig.

Betroffenen Frauen bleibt nichts anderes übrig, als auf andere Regionen auszuweichen und damit teils lange Anfahrtswege in Kauf zu nehmen. „Wir sehen es nicht als unsere kommunalpolitische Aufgabe an, in Osthessen sicherzustellen, dass Abtreibungen stattfinden können. (…) Es ist aus unserer Sicht jedoch durchaus zumutbar, auch Kliniken in der näheren Umgebung wie in Kassel, Aschaffenburg, Fuldatal, Hanau, Offenbach oder Frankfurt aufzusuchen“, antwortete die CDU-Stadtfraktion auf eine Umfrage des Paritätischen Hessen zur Kommunalwahl 2021. Dr. Heiko Wingenfeld (CDU), Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzender des Klinikums Fulda, möchte sich nicht zum Thema äußern, ein von fuldainfo.de angefragtes Interview lehnt er ab.

Die mangelnde örtliche Versorgung und teils weite Anreise können durchaus weitere Hürden bedeuten. So muss beispielsweise die längere Abwesenheit erklärt oder Kinderbetreuung sicher gestellt werden. Zudem braucht es eine Begleitperson, der die Frauen weit genug vertrauen, um sie in ein solch persönliches und sensibles Thema einzuweihen. „Manche stehen auch ganz alleine da. Eine Betroffene hatte mal jemand von unserer Beratungsstelle ehrenamtlich begleitet“, erzählt Heidel. Je mehr organisiert werden muss, um so höher sei mitunter der zeitliche Druck einen Termin zu finden – schließlich muss der Abbruch spätestens in der 12. Schwangerschaftswoche erfolgen. So will es das Gesetz. Zudem möchte sich ein Teil der Betroffenen gerne in die Hände ihrer Frauenärzte begeben, die sie mitunter seit Jahren aufsuchen und entsprechend vertrauen. Auf der anderen Seite ziehen es manche Frauen auch vor, aufgrund höherer Anonymität Praxen oder Kliniken in anderen Regionen aufzusuchen.

„Zwiespältiges Thema im sehr konservativen Landkreis“

„Die aktuelle Situation kann nur als eine notdürftige beschrieben werden. Zu der ohnehin belastenden Situation ein verpflichtendes Beratungsgespräch in Anspruch nehmen zu müssen und sich dann für einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden (wenn die Klarheit darüber nicht vor der Beratung bereits bestand), kommt zusätzlich die Hürde einer belastenden Anreise von vielen Kilometern. Für die betroffene Frau wird so eine weitere Barriere geschaffen. Dass der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen hier im Kreis so erschwert ist, muss sich dringend ändern“, schreibt Marie-Louise Puls, Vorstandssprecherin der Stadtfraktion Bündnis90/Die Grünen auf Anfrage. Volt – je mit einem Sitz in der Stadtverordnetenversammlung (Koalition mit SPD) und im Kreistag (Koalition mit Bündnis90/Die Grünen) vertreten – fordert in seinem bundesweiten Grundsatzprogramm, dass Gesundheitszentren und Krankenhäuser in allen Regionen Schwangerschaftsabbrüche ohne unangemessene lange Wartezeiten anbieten. Für den Volt-Kreistagsabgeordneten Moritz Bindewald ist die Situation in Fulda untragbar. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Die Link.Offene Liste: „Medizinische Eingriffe sollten generell zeitnah in jeder Region durchgeführt werden können; insbesondere, wenn die Durchführung von Maßnahmen einem strikten zeitlichen Rahmen unterliegt“, sagt Kreisvorsitzende Meryem Eker.

„Gerade im noch immer sehr konservativ geprägten Landkreis Fulda ist dies ein sehr zwiespältiges, sehr emotional besetztes Thema. Bisher hat der Gesetzgeber es so geregelt, dass kein Arzt, keine Ärztin zu einem Abbruch gezwungen werden darf. Das Thema muss sehr vorsichtig angegangen werden. Es wäre sicherlich einfacher, wenn der Bundes- bzw. Landesgesetzgeber Regelungen hierzu trifft“, teilt Jochen Hammerschick, Unterbezirksgeschäftsführer SPD, mit. Für die CWE gehört das Thema nicht zur klassischen Lokalpolitik, da gesetzlichen Regelungen rund um Schwangerschaftsabbrüche Bundesrecht betreffen.

„Schwangerschaftsabbrüche sind emotionale und medizinische Belastungen, oft  mit traumatisierenden Folgen für die Frauen. Auch aus diesem Grund setzen wir uns für den Lebensschutz ein, um für Perspektiven zu öffnen, für ein Ja zum Leben –  wobei die Frauen häufig allein gelassen, unter Druck gesetzt oder ohne Rückhalt in der Gesellschaft zurückgeblieben sind“, teilen Meyser und Hering in einer gemeinsamen Antwort mit. Tatsächlich kann ein Abbruch aus vielfältigen Gründen eine traumatische Erfahrung sein. Mitunter wird das so genannte Post-Abortion Syndrome zur Sprache gebracht. Das ist allerdings von keiner medizinischen wie psychiatrischen Vereinigung anerkannt, worauf der Pro Familia Bundesverband hinweist. „Während ein direkter Zusammenhang zwischen dem Schwangerschaftsabbruch und psychischen Folgestörungen nicht belegt ist, gibt es einen Zusammenhang zwischen der Stigmatisierung des Schwangerschaftsabbruchs und negativen psychischen Auswirkungen. Solche Folgen lassen sich nachweisen, wenn der Abbruch im sozialen Umfeld der Frau, zum Beispiel vom Partner oder der Familie, abgelehnt wird, wenn sie ihn geheim halten muss, bei fehlender sozialer Unterstützung oder wenn eine Frau den Aktivitäten von Schwangerschaftsabbruchgegnern ausgesetzt ist“, sagt Regine Wlassitschau, Pressesprecherin Pro Familia Bundesverband.

Meyser und Hering weiter: „Gleichwohl gibt es Schwangerschaftsabbrüche, die manchen Betroffenen in Situationen, die niemand erleben möchte, als einziger Weg erscheinen, und die nach entsprechender Konfliktberatung durchgeführt werden. Für die Frauen und das ungeborene Leben ist eine solche Entscheidung fürchterlich. Ziel sollte es daher immer sein, dass sie überhaupt nicht nötig wird. Weiter müssen wir uns für entsprechende Hilfen nach der Geburt einsetzen. Auch für ausreichende Aufklärung, damit es überhaupt nicht zu ungewollten Schwangerschaften kommt. Es geht immer um zwei Leben.“

Die AfD möchte werdenden Müttern die notwendige staatliche Unterstützung zukommen zu lassen, die sie benötigen, um sich im Rahmen einer Schwangerschaftskonfliktberatung für Ihr Kind zu entscheiden. Vorsitzender der FDP-Kreistagsfraktion Mario Klotzsche (FDP) möchte die Fragen, wie er die Situation des mangelnden Angebots für Schwangerschaftsabbrüche bewertet und ob sich seine Fraktion sich dafür einsetzt, dass diese in der Region künftig möglich sind zum Anlass nehmen, um bei der Kreisverwaltung nachzufragen, wie die Beratung und Betreuung organisiert wird und ob in welchem Umfang möglicherweise entsprechende Angebote fehlen.

Durchwachsene Versorgungslage in öffentlichen Kliniken 

Correctiv.Lokal  hatte in Kooperation mit FragDenStaat bundesweit 309 Kliniken mit öffentlicher Trägerschaft und gynäkologischem Fachbereich angefragt, ob sie Schwangerschaftsabbrüche nach welcher Indikation und Methode durchführen und mehr. Fuldainfo hat sich an dieser Recherche beteiligt. Weniger als 40 Prozent der Krankenhäuser gab an, Abtreibungen nach der Beratungsindikation durchzuführen, dabei machen diese wie eingangs erwähnt mit 96 Prozent den höchsten Anteil aus. Mehr als jede fünfte Klinik verweigerte Antworten, obwohl die Häuser in öffentlicher Hand gegenüber der Presse auskunftspflichtig sind. Die Ergebnisse der Recherche präsentiert Correctiv.Lokal in einer öffentlich einsehbaren Datenbank .

Alternativ gibt es noch eine von der Bundesärztekammer geführte Liste , allerdings sind dort nicht alle Praxen und Krankenhäuser vermerkt, da ein Eintrag freiwillig ist. Um beispielsweise keine Proteste von Lebensschützer zu riskieren, ziehen es manche Ärzte vor, hier nicht genannt zu werden. +++ Jens Brehl