Hunderte Beschwerden über Jugendämter und Familiengerichte

Man kann seinen Fall anonym in einem teilstandardisierten Fragebogen schildern

Der Ansatz der Bundesregierung, im Zuge der Reform der Kinder- und Jugendhilfe auch Betroffene anzuhören, stößt bei der Zielgruppe offenbar auf Anklang. Bei der wissenschaftlichen Anlaufstelle für hochproblematische Kinderschutzverläufe, die die Bundesregierung am 25. April beim Institut für Kinder- und Jugendhilfe in Mainz eingerichtet hat, haben sich bereits 472 Betroffene gemeldet, um über ihre negativen Erfahrungen mit Jugendämtern und Familiengerichten zu berichten. Das ergab die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion, über die die „Welt“ berichtet.

Betroffene haben die Möglichkeit, ihren Fall anonym in einem teilstandardisierten Fragebogen zu schildern. Alternativ können sie ihren Fall telefonisch oder per Post vorlegen. Bis zum Ende des Untersuchungszeitraums Ende Juni rechnet die Bundesregierung insgesamt mit 500 erhobenen Fällen. Die Ergebnisse sollen in den Prozess zur Reform der Kinder- und Jugendhilfe einflie ßen. Kritik kommt jedoch von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, die bemängelt, dass das Angebot nicht leicht zugänglich sei. Die Freie Wohlfahrtspflege fürchtet, dass durch die „hochschwellige Ansprache“ und das „nicht zielgruppenadäquate Design“ nur ein bestimmter Kreis von Betroffenen erreicht wird, wie es in einem Schreiben der Arbeitsgruppe an das Bundesfamilienministerium heißt. Der Brief liegt der Zeitung nach eigenen Angaben vor. Betroffene seien zudem potenziell gefährdet, durch die Beantwortung des Fragebogens eine Retraumatisierung zu erfahren, wenn sie sich ungeschützt zu Missbrauchs- oder Gewalterlebnissen äußern – zumal der Fragebogen nicht durch eine qualifizierte Beratungs- und Krisenintervention flankiert werde. Dies sei „unverantwortlich und nicht nachvollziehbar“.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft könne für das Vorhaben deshalb „nicht die von Ihnen gewünschte Unterstützung bieten“, heißt es in dem Brief an das Familienministerium. Eine Kritik, die die Linksfraktion teilt. „Für eine gründliche Aufarbeitung und Verhinderung von solch tragischen Fällen braucht es eine Enquete-Kommission zu dem Thema im Deutschen Bundestag. Hier können transparent und auf fachlich hohem Niveau die strukturellen Mängel der Kinder- und Jugendhilfe herausgearbeitet werden“, fordert Norbert Müller, kinder- und jugendpolitischer Sprecher der Fraktion. Zudem brauche es unabhängige Ombudsstellen, damit Betroffene eine tatsächliche Unterstützung erhalten, wenn es gegen das vermeintlich übermächtige Jugendamt gehe, so Müller. „Das Jugendhilfesystem funktioniert solange gut, bis es zu individuellen Fehlern kommt. Danach ist es den Betroffenen fast unmöglich, eine Korrektur herbeizuführen.“ +++