Bundespolitiker dämpfen Erwartungen an europäischen Impfnachweis

Bericht: Ausschreibung für neuen Impfausweis läuft am Montag aus

Koalitionsfraktionen und Opposition im Bundestag dämpfen mit Blick auf das von den EU-Regierungschefs vereinbarte europäische Impfzertifikat die Erwartungen. Sie begrüße zwar die Einführung eines EU-weiten Impfpasses für die Immunisierung gegen das Coronavirus, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, der „Welt“. „Aber ein europäisches Impfzertifikat ist kein Freifahrtschein mit Privilegien für Einzelne.“

Das Impfzertifikat könne lediglich die Dokumentation dessen sein, was im Mittelpunkt stehen müsse: möglichst schnell der gesamten Bevölkerung ein Impfangebot zu machen. „Wir müssen darauf achten, dass es keine Sanktionen für Nichtgeimpfte geben sollte“, sagte die Vizefraktionschefin der Union, Katja Leikert (CDU). Allerdings sei es notwendig, Impfzertifikate benutzerfreundlich auf einer europäischen App verfügbar zu machen. „Das kann ein wichtiger Schritt zur Normalität unserer Bevölkerung in Europa sein.“ Achim Kessler, gesundheitspolitischer Sprecher der Linke-Fraktion im Bundestag, sagte: „Solange keine verlässlichen Daten darüber vorliegen, ob eine Impfung einigermaßen zuverlässig die Infektiosität von Menschen stark verringert, kann ein Impfausweis nur falsche Hoffnungen wecken.“ Solange nicht ein großer Teil der Bevölkerung geimpft ist, sei eine Ungleichbehandlung schwierig. Das „Spaltungspotenzial eines Impfausweises“ sei enorm, so Kessler. Auch die Grünen waren vor überhöhten Erwartungen an den Impfpass und wollen weitere wissenschaftliche Erkenntnisse abwarten, bevor sie über seine Verwendung diskutieren. Kordula Schulz-Asche, Berichterstatterin für Infektionsschutz der Grünen-Fraktion, sagte: „Die Frage eines europäischen Impfpasses für die Covid-19-Impfung und eine damit einhergehende Andersbehandlung Geimpfter stellt sich so lange nicht abschließend, bis die Daten verlässlich zeigen, inwieweit die Immunität anhält und ob eine Transmission des Virus durch die Impfung verhindert werden kann.“ Die Reisebranche hingegen setzt in die Technologie große Hoffnungen. TUI-Chef Friedrich Joussen sagte mit Blick auf Schnelltests und den Europa-Impfausweis: „Reisen in Europa wird im Sommer 2021 möglich sein – sicher und verantwortungsvoll.“ Mit einem EU-einheitlichen Nachweis könne die Politik jetzt eine wichtige Basis für das Reisen im Sommer schaffen. Und solange noch nicht alle geimpft seien, blieben die Schnelltests als „zweiter Baustein“.

Bericht: Ausschreibung für neuen Impfausweis läuft am Montag aus

Das Bundesgesundheitsministerium hat den am Mittwoch angeschriebenen Unternehmen offenbar nur eine Frist bis Montag gelassen, ein Angebot für die Entwicklung eines Impfnachweises einzusenden. Wie die „Welt“ weiter unter Berufung auf Unternehmenskreise berichtet. Auf Anfrage der Zeitung erklärte die Deutsche Telekom, sie werde sich fristgerecht mit einem Angebot beteiligen. Sobald die Bundesregierung einen fälschungssicheren digitalen Corona-Impfnachweis entwickeln lässt, könnte daraus eine verfassungsrechtliche Pflicht resultieren, die Einschränkungen von Freiheitsrechten Geimpfter aufzuheben. „Wenn einerseits die Risikogruppen geimpft sind und andererseits die Impfung die Infektiosität hochgradig senkt, lässt sich die Begrenzung der Freiheitsrechte der Geimpften kaum noch begründen“, sagte Steffen Augsberg, Verfassungsrechtsexperte an der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie Mitglied des Deutschen Ethikrates, der „Welt“. Mit dem Impfausweis könne man die Gruppen klar abgrenzen, damit sei dem Infektionsschutz Genüge getan. „Impfausweise sind sinnvollerweise nur Teil einer breiteren Anstrengung, die insbesondere zusätzliche Tests mit einbezieht. Einen Anspruch darauf, dass alle gemeinsam möglichst lange in Beschränkungen verharren, gibt es aber nicht.“ Zudem, gibt der Ethik-Experte zu bedenken, würden die Ungeimpften nicht dadurch benachteiligt, dass die Geimpften wieder ins Theater oder in die Kneipe gehen könnten. „Im Gegenteil: Als Gesellschaft profitieren wir davon.“ Er rechnet deswegen damit, dass Geimpfte per Klage gegen die Einschränkungen vorgehen werden. „Die Leute werden sich das nicht länger gefallen lassen – und sie dürften mit solchen Klagen gute Chancen haben.“ Augsberg kritisiert, dass die Bundesregierung vor diesem Hintergrund erst jetzt die Entwicklung eines forciere: „Bereits im Mai vergangenen Jahres hatte das Bundesgesundheitsministerium den Ethikrat gebeten, sich mit einem Immunitätsnachweis zu beschäftigen“, sagte Augsberg. „Spätestens seit dem Sommer konnte man davon ausgehen, dass ein fälschungssicherer Impfnachweis nötig wird. Vor diesem Hintergrund ist mir die Zurückhaltung der Bundesregierung dazu relativ unverständlich, insbesondere wenn man die verfassungsrechtliche Seite betrachtet.“ +++