Moskau. Schanna Nemzowa, Tochter des am 27. Februar 2015 in Moskau ermordeten russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow, hat Russlands Präsidenten Wladimir Putin scharf kritisiert: „Putin mache ich politisch für das Attentat verantwortlich“, sagte Nemzowa in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Zum einen, weil der Mord überhaupt passieren konnte, noch dazu an einem der wohl am besten gesicherten Plätze der Welt.
Zudem setzte Putin meinen Vater mit seiner Propaganda-Maschine öffentlich massiv unter Druck. Und drittens machte der Präsident die Ermittlungen zur Chefsache.“ Bislang wurden fünf Verdächtige aus Tschetschenien festgenommen, die nun auf ihren Prozess warten. Nach einem sechsten Verdächtigen werde gesucht. „Diese Version soll meines Erachtens aber nur ablenken von Figuren mit wesentlich höherem Rang in Tschetschenien“, sagte Nemzowa. „Wir haben es dabei mit sehr mächtigen Clans zu tun.“ Daher fordere sie auch, „dass der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow vor Gericht aussagen muss und dass es eine internationale Kontrolle der Ermittlungen gibt“.
Kadyrow habe wiederholt Oppositionelle wie ihren Vater öffentlich als Volksverräter beschimpft. Nur sehr wenige brächten heutzutage in Russland den Mut auf, sich öffentlich gegen das System Putin zu wenden, sagte Nemzowa, die wegen Drohungen gegen ihre Person nach Deutschland emigrierte. „Am besten gefällt mir die Bezeichnung `Sumpf` für die russische Regierung“, sagte die Journalistin. „Ein Sumpf ist ein sehr flexibles, dehnbares und beständiges Ökosystem. Putin setzt auf Loyalität. Das ist für ihn das Wichtigste – und nicht, ob jemand integer und intelligent ist. Die meisten schwimmen mit dem Mainstream, um nicht unterzugehen.“
Den russischen Präsidenten bezeichnet Nemzowa als prinzipienlos: „Wofür steht er? Keiner weiß es. Er hatte und hat bis jetzt kein politisches Programm und nimmt auch nicht an politischen Debatten teil“, sagte die heute in Bonn lebende Journalistin. „Stattdessen diktiert er den Russen und dem Rest der Welt seine Sicht auf die Dinge, eine Sicht, die aus vielen Lügen besteht.“ +++ fuldainfo