Mediziner: Geschlechtsangleichende OPs bei Kindern nicht verbieten

Zahl der Personen mit drittem Geschlecht geringer als angenommen

Im Operationssaal

Der Plan der Bundesregierung, sogenannte „geschlechtsangleichende Genitaloperationen“ bei Kindern zu verbieten, stößt bei Ärzten und einem Teil der Betroffenen auf heftigen Widerstand. In einem Appell an das Bundesjustizministerium, über den die Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtet, wenden sich mehrere medizinische Fachgesellschaften gegen ein generelles Verbot. Stattdessen plädieren sie dafür, therapeutische Entscheidungen „nur krankheitsspezifisch und individuell“ zu treffen. Im Fall eines relativ häufigen medizinischen Phänomens, der Hormonstörung AGS (Adrenogenitales Syndrom) etwa, sei ein OP-Verbot „medizinisch und ethisch nicht vertretbar“.

Das geplante Gesetz zielt auf Kinder mit der Diagnose Intersexualität, die nicht eindeutig als Junge oder Mädchen zur Welt kommen. Bislang werden die Kinder bald nach der Geburt einem Geschlecht zugeordnet und chirurgisch behandelt. Intersexuellen-Vereinigungen kritisieren solche Behandlungen seit Langem. Im Koalitionsvertrag haben sich die Regierungsparteien deshalb verpflichtet, „geschlechtsangleichende medizinische Eingriffe an Kindern“ nur noch „in unaufschiebbaren Fällen und zur Abwendung von Lebensgefahr“ zu erlauben. Eine interministerielle Arbeitsgruppe in Berlin verhandelt seit längerer Zeit über eine mögliche gesetzliche Regelung. Die Vereinigung der Eltern und Patienten mit AGS, die größte Betroffenen-Organisation, wehrt sich gegen das Gesetz. „Unsere betroffenen Mitglieder sind eindeutig Mädchen oder Jungen“, sagte der Vorsitzende der Patienteninitiative der „Zeit“. Mädchen mit AGS kämen jedoch aufgrund der angeborenen Hormonstörung zum Teil mit fehlgebildeten Genitalien zur Welt, so dass sie Probleme mit dem Wasserlassen hätten. Damit es nicht zu Blasenentzündungen und Nierenschäden komme, sei es weiterhin notwendig, die Kinder zu operieren.

Zahl der Personen mit drittem Geschlecht geringer als angenommen

Die Zahl der Menschen in Deutschland, die sich weder als Mann noch als Frau definieren, ist sehr viel geringer als bislang angenommen. Nach Recherchen der Zeit handelt es sich um einige hundert Personen. Das Bundesverfassungsgericht ging in seinem Intersexualität-Urteil 2017, bei dem die Richter einen dritten Geschlechtseintrag im Behördenregister gefordert hatten, noch von bis zu 160.000 Betroffenen aus. Seitdem gibt es die Diskussion, inwiefern man die Interessen zwischengeschlechtlicher Menschen auch in anderen Bereichen berücksichtigen soll, zum Beispiel mit neuen öffentlichen Toiletten, bei Bewerbungen oder mit neuen Sprachformen wie dem Gender-Sternchen (z.. „Kolleg*innen“). Doch nur wenige der Menschen mit einer medizinischen Diagnose Intersexualität definieren sich auch vom Geschlecht her als etwas Drittes. „Menschen mit einer Besonderheit der Geschlechtsentwicklung ordnen sich fast immer einem der beiden Geschlechter zu“, sagte Olaf Hiort, Intersexualitätsexperte an der Uni-Klinik Lübeck. So hat eine Umfrage der „Zeit“ bei den Standesämtern der elf größten deutschen Städte ergeben, dass bislang nur 20 Personen beantragt haben, ihren Geschlechtseintrag auf „divers“ ändern zu lassen (Stand Mitte April 2019). Rechnet man die Zahlen, die von ähnlichen Umfragen der vergangenen Wochen bestätigt werden, auf ganz Deutschland hoch, sind es rund 150 Fälle. Eltern medizinisch intersexueller Neugeborener, die ihr Kind als divers eintragen ließen, gibt es in den befragten Städten bislang keine. Auch im Rahmen der Studie eines europäischen Forscherkonsortiums (DSD-Life) unter Personen mit einem intersexuellen Syndrom bezeichneten sich von insgesamt 1.040 Befragten nur zwölf selbst als „intersexuell“, die übergroße Mehrheit kreuzte als Geschlecht „männlich“ oder „weiblich“ an. Intersexualität ist der Oberbegriff für eine Vielzahl von meist sehr seltenen Diagnosen und Unterdiagnosen, die mal die Chromosomen, mal de n Stoffwechsel betreffen können. Fachleute fassen all diese Phänomene auch unter der Sammelbezeichnung „Störungen oder Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung“ (englisch abgekürzt DSD) zusammen. Seit Dezember 2018 gibt es beim Geschlechtseintrag als neue Option offiziell die Kategorie „divers“. +++