Kriminologe sieht Emanzipation der Gewalt

Gewalt war früher dem Klischee nach etwas, das Männer gemacht haben

Der Kriminologe Martin Rettenberger sieht eine Emanzipation der Gewalt in Deutschland. „Gewalt war früher dem Klischee nach etwas, das Männer gemacht haben und das nur Männer machen konnten. Das ist heute definitiv anders“, sagte der Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden der Wochenzeitung „Die Zeit“. Zwar würde weiterhin die Mehrheit der schweren Gewalttaten – ob in Partnerschaften oder in der Öffentlichkeit – von Männern begangen, doch bei einigen Delikten nehme der Frauenanteil zu.

Das betreffe häusliche Gewalt und weniger schwere Delikte außerhalb der Familie. „Wir sehen in der Statistik immer nur die Fälle aus dem Hellfeld, also jene, bei denen es zu einer Anklage kommt. Und das sind in der ganz überwiegenden Mehrheit Delikte von Männern“, sagte der Kriminologe zur Begründung. Er nehme aber an, dass der Anteil weiblicher Gewalt in den nächsten Jahren auch in den offiziellen Statistiken zunehmen werde. Die Strafverfolgungsbehörden und die Gesellschaft insgesamt nähmen auch Frauen heute eher als mögliche Täterinnen wahr. „Früher dachte man, eine Frau könne höchstens Mittäterin sein.“ Außerdem befänden sich vor allem junge Frauen heute häufiger in Situationen, in denen Gewalt ausgeübt werde: „In Jugendgruppen, in denen es zu Gewalt kommen kann, ist der Anteil von Frauen heute höher.“

Das betreffe sowohl kriminogene Gangs als auch die Hooligan-Szene und rechtsradikale Gruppen. „Das ist durchaus ein problematischer Emanzipationsprozess“, sagte Rettenberger. „Gleichzeitig hat Aggression immer auch eine positive Seite: Selbstbehauptung, Durchsetzungsvermögen. Wenn wir daher die positive Aggression bei Frauen fördern wollen, wenn wir also fordern, die Geschlechter sollen in positiven Bereichen gleichberechtigt sein, dann müssen wir auch die negativen Effekte in Kauf nehmen.“ Das Bundeskriminalamt hatte in der vergangenen Woche eine Statistik zur Gewalt in Partnerschaften im Jahr 2017 veröffentlicht. Demnach ware n 81 Prozent der Tatverdächtigen Männer. +++