Kleinstadtakademie: Nobelpreisträgerin wirbt für Schlüchtern

17000-Einwohner-Ort geht selbstbewusst in die Entscheidung

Die Delegation und das Bewerbunsgteam beim Gruppenbild in der Stadthalle.

Einstimmigkeit! Das ist bei Entscheidungen von Kommunalparlamenten nicht selbstverständlich. Doch hinter diesen Zielen stehen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft gleichermaßen: Schlüchtern soll Sitz der Bundesgeschäftsstelle der Kleinstadtakademie werden, heißt es in einer Mitteilung. Ein hehres Ziel, das sich die Bergwinkel-Metropole gesetzt hat. Aber es ist zum Greifen nahe. Schließlich ist Schlüchtern unter den fünf Städten, die noch im Rennen sind. Der Slogan der Bewerbung lautet „Mit Schlüchtern lernen“. Der zeugt schon von einem gewissen Selbstbewusstsein. Ende November/Anfang Dezember fällt im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen die Entscheidung, wer den Zuschlag erhält. Und weil in Schlüchtern alle Register bei Bewerbung und Besuch der Jury gezogen wurden, dürfen die Verantwortlichen selbstbewusst auf die Entscheidung des Ministeriums nach Berlin schauen. „Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand. Jetzt liegt es nicht mehr an uns“, sagt ein zufriedener Bürgermeister Matthias Möller.

2100 Städte waren im Mai dieses Jahres dazu aufgerufen worden, sich um den Sitz der Kleinstadtakademie zu bewerben. Diese Kleinstadtakademie soll eine bundesweit agierende Aktions- und Kommunikationsplattform mit Seminaren, Workshops und Vorträgen für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung bieten. 44 Städte folgten der Aufforderung zur Bewerbung, fünf kamen in die enge Auswahl und in den Genuss von einer Jury besucht zu werden. Das alleine ist schon ein großer Erfolg für die 17000-Einwohner-Stadt, doch nicht nur für Bürgermeister Matthias Möller ist es die logische Konsequenz und der Höhepunkt der Bemühungen im Bereich Innenstadtentwicklung. Der parteilose Politiker während der jüngsten Stadtverordnetenversammlung: „Der Kauf des ehemaligen Kaufhauses Langer war eine Initialzündung für die Innenstadt. Das angeeignete Fachwissen hat uns nun befähigt, bei der Bewerbung um die Kleinstadtakademie eine solch starke Visitenkarte abzugeben.“ Thomas Raus offizieller Titel lautet „stellvertretender Amtsleiter Finanzverwaltung“: „Wichtiger Mitarbeiter und enger Vertrauter des Bürgermeisters“ beschreibt seine Funktion innerhalb der Verwaltung allerdings besser: „Wir können von Glück reden, dass wir das Projekt Langer damals übernommen haben. Das hat uns geprägt. Deshalb konnten wir jetzt eine solch qualifizierte Bewerbung abgeben.“

Im Jahr 2018 hatte die Stadt das leer stehende Kaufhaus inklusive Gelände erworben, einen Teil in Eigenregie entwickelt und für den vorderen Bereich einen Investor gefunden. Spätestens seit dieser Zeit herrscht in Schlüchtern Aufbruchstimmung: „Wir ziehen an einem Strang und sind eine echte Gemeinschaft“, sagt Bürgermeister Möller. Mit dieser Gemeinschaft meint der Bürgermeister die Spitzen seiner Verwaltung, der Politik, der Wirtschaft, der Vereine sowie der Gesellschaft allgemein. Und so wurde sich im August freilich auch gemeinschaftlich über den Einzug in die Kleinstadtakademie-Endrunde gefreut. Aber nicht allzu lange. Schließlich war klar, dass nur wenig Zeit bleibt, ehe die Delegation aus Berlin nach Schlüchtern reist, um sich vor Ort ein Bild zu machen. „Die Jurymitglieder müssen Schlüchtern verlassen und während der gesamten Zugfahrt darüber sprechen, was sie in den vergangenen Stunden erlebt haben.“ Dieser Satz, ausgesprochen beim ersten Teamtreffen zur Vorbereitung der Experten-Bereisung, wurde zur Grundlage bei den Vorbereitungen. Und weil alle – Politik, Verwaltung, externe Partner – schon einige Projekte gemeinsam gestemmt haben, wusste jeder, was zu tun ist.

Und so wurde der fünfstündige Besuch der Jury zu einem „Feuerwerk an Information“. Dieses Zitat stammt übrigens von einem Jurymitglied. Die Verantwortlichen der Stadt hatten die Idee, den ersten Bundeskongress der Kleinstadtakademie zu simulieren. Dazu gehörten Workshops, Diskussionen und Imagefilme. Eine der Hauptdarstellerinnen: Die Friedensnobelpreisträgerin Erica Frank. Die Wurzeln der Wissenschaftlerin liegen in Schlüchtern. Ihre Vorfahren waren vor den Nazis in die USA geflüchtet. Erst vor kurzem war Erica Frank bei der Verlegung von Stolpersteinen erstmals nach Schlüchtern gereist. Vom Engagement im kulturellen Bereich, der Aufarbeitung der jüdischen Geschichte und der städtebaulichen Entwicklung sichtlich beeindruckt, war Erica Frank schnell bereit, für Schlüchtern als Sitz der Kleinstadtakademie zu werben: „Ich finde es toll, dass die Menschen sich engagieren und Mitspracherecht genießen. Schlüchtern soll Teil meiner Heimat werden“, sagte die Nobelpreisträgerin, die erst seit einiger Zeit auch Inhaberin eines deutschen Passes ist.

Sollte die Kleinstadtakademie tatsächlich nach Schlüchtern ziehen, so ist der Standort auch schon fix: Im von der Stadt entwickelten nagelneuen Kultur- und Begegnungszentrum (KUBE), das in der ersten Jahreshälfte 2024 bezugsfertig ist, ist ausreichend Platz vorhanden. Selbstverständlich gehörte eine ausführliche Besichtigung des Gebäudes zum Programm der Jury. Ein besonderes Souvenir erhielten die Jurymitglieder übrigens noch mit den „Kleinstadtakademie-News“- einer eigens produzierten vierseitigen Zeitung, die nochmals herausstellte, was Schlüchtern leisten kann, wenn die Stadt den Zuschlag aus Berlin erhält. „Wir könnten am 1. Januar 2024 starten“, hatte Bürgermeister Möller den Mitgliedern der Kommission mit auf den Weg gegeben. Und sicher hatten die Jurymitglieder keinen Zweifel daran, dass der Bürgermeister das ernst meint und keine großen Töne spuckt. +++ pm