Hausärzte: Freiheiten von Kindern nicht von Impfung abhängig machen

Intensivmediziner gegen rasche Corona-Impfung bei Kindern

Der Chef des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, hat gefordert, die Rückkehr zum gesellschaftlichen Leben von Kindern und Jugendlichen nicht von den Impfungen abhängig zu machen. „Es waren die Kinder und Jugendlichen, die ihre Freiheiten über ein Jahr für den Schutz der Älteren zurückgestellt haben“, sagte er der „Rheinischen Post“. „Nun liegt es an den Erwachsenen, Solidarität zu zeigen und alles daran zu setzen, ihnen schnellstmöglich ihre Rechte zurückzugeben – und das nicht nur auf Schule, sondern auch auf Gemeinschaft, auf Freizeitaktivitäten, auf Sport.“ Da gebe es in der aktuellen Situation durchaus mehr Möglichkeiten als nur die sofortige Impfung. „Die derzeitigen Einschränkungen, die die Kinder und Jugendlichen erfahren, basieren schließlich auf politischen Entscheidungen.“

Zugleich kritisierte er die vorsorgliche Zurückhaltung von Impfdosen für Kinder und Jugendliche scharf. „Ob und wogegen Kinder und Jugendliche geimpft werden sollen, kann nur nach medizinischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten beantwortet werden und nicht nach politischen. Heißt: Aktuell fehlt für diese Altersgruppe sowohl die Zulassung als auch die Empfehlung.“ Unter diesem Gesichtspunkt sei es „völlig absurd“, Impfdosen zurückzuhalten, anstatt sie sofort zu verimpfen, sagte Weigeldt. Die Bildungsgewerkschaft GEW kritisierte hingegen, dass Bund und Länder den Impfstoff nun auch für Kinder und Jugendliche freigeben wollen, „obwohl die Ständige Impfkommission (Stiko) voraussichtlich etwas anderes empfehlen wird“, sagte die Chefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe, der „Rheinischen Post“. Und weiter: „Wenn die Stiko empfiehlt, nicht einfach alle Kinder und Jugendlichen zu impfen, sondern nur die mit Vorerkrankungen, sollte man sich danach richten“, sagte Tepe. „Da Erwachsene von schwerem Covid-19-Verlauf viel häufiger betroffen sind, sollte alles Personal in Kita und Schule nun möglichst schnell und vollständig ein Impfangebot erhalten.“ Das sei ein wichtiger Beitrag dafür, dass Kitas und Schulen sicherer öffnen können. Ärztepräsident Klaus Reinhardt warnte hingegen vor wachsendem politischem und gesellschaftlichem Druck auf Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen. „Die Datenlage zu Risiken und Nutzen einer möglichen Corona-Impfung bei Kindern und Jugendlichen ist derzeit noch so unzureichend, dass man keine Empfehlung abgeben kann“, sagte er der Zeitung.

„Deshalb ist es richtig, dass die Ständige Impfkommission mit Bedacht analysiert, wie groß die Gefährdung der Kinder durch Sars-Cov-2 tatsächlich ist. Es sollte jetzt auch kein politischer und gesellschaftlicher Druck ausgeübt werden, Eltern zur Impfung ihrer Kinder zu drängen“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer. Insofern sei auch die Klarstellung von Bund und Ländern wichtig, dass ein sicherer Schulbetrieb unabhängig davon gewährleistet wird, wie viele Schüler ein Impfangebot wahrnehmen. „Schon gar nicht darf d ie Teilnahme am Präsenzunterricht von einer Impfung abhängig gemacht werden. Dies wäre nichts anderes als eine Corona-Impfpflicht durch die Hintertür“, warnte Reinhardt. Er forderte Bund und Länder eindringlich auf, den Arztpraxen genügend Impfstoff bereitzustellen. „Dass die Impfungen von Kindern und Jugendlichen vor allem in den Praxen erfolgen sollen, setzt zwingend eine ausreichende Belieferung der niedergelassenen Haus- und Fachärzte mit Vakzinen voraus. Derzeit aber reichen die verfügbaren Kapazitäten noch nicht aus“, sagte Reinhardt. Das Praxispersonal müsse deshalb viel Zeit für diejenigen Patienten aufwenden, die bei den Impfungen noch nicht zum Zuge kommen und deshalb frustriert sind. „Diese Frustwelle darf sich keinesfalls fortsetzen oder gar verstärken. Die Bundesländer sollten deshalb dringend zusätzliche Angebote für diese Altersgruppen auch in den Impfzentren schaffen“, forderte er.

Intensivmediziner gegen rasche Corona-Impfung bei Kindern

Der Generalsekretär der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin will Kinder nicht vorrangig impfen. Kinder erkrankten „häufig asymptomatisch oder im Verlauf harmlos“ und hätten deshalb bei knappen Impfstoffkapazitäten keine dringliche Indikation, sagte Florian Hoffmann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Der Münchner Kinder-Intensivmediziner sagte mit Blick auf die Debatten beim jüngsten Impfgipfel von Bund und Ländern, es gebe derzeit in Deutschland noch fast 30 Millionen Erwachsene zu impfen. „Im Sinne der Intensivbettenkapazitäten haben erwachsene Patienten bei der Impfung also weiterhin höchste Priorität, da diese ein relevantes Risiko eines intensivpflichtigen Verlaufs haben“, sagte Hoffmann mit Verweis auf Pläne der Politik, allen Kindern und Jugendlichen über 12 Jahren bis Ende August ein Impfangebot zu machen. Voraussetzung ist eine Zulassung des Mittels des Herstellers Biontech/Pfizer für die Altersgruppe der über 12-Jährigen durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA. Die Behörde will an diesem Freitag über eine EU-weite Zulassung. Bisher ist dieser Impfstoff ab 16 Jahren zugelassen. In die Debatte um das Impfen von Kindern und Jugendlichen hat sich jetzt auch die renommierte Jugendforscherin Gunda Voigts eingeschaltet. „Meine klare Forderung dazu lautet: Jetzt sind die 16- bis 27-Jährigen und wenn möglich auch die ab Zwölfjährigen dran“, sagte die Professorin der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Ich würde mir statt der Aufhebung der Priorisierung wünschen, dass nun die jungen Menschen geimpft werden, damit sie wieder ihren Hobbys nachgehen können, sich mit ihren Freunden treffen können.“ Junge Menschen brauchten ihre Freiräume zurück, um gesund aufwachsen zu können. Gleichzeitig sagte die 49-jährige Wissenschaftlerin, die auch Mitglied der Kinder- und Jugendkommission Niedersachsen ist, dass sie bei ihrer eigenen Impfung auch gern einem jungen Menschen den Vortritt gelassen hätte. „Ich habe mit vielen jungen Menschen zu tun, auch in der eigenen Familie. Wenn ich die Wahl hätte, träte ich meine Impfung auf jeden Fall an sie ab.“ Sie finde es wichtiger, dass sie geimpft sind. Wenn es sein müsse, könne sie auch noch weiter online lehren. „Aber für die Studierenden am anderen Ende der Online-Leitung wäre das eine Katastrophe. Sie kennen die Hochschule zum Teil noch gar nicht von innen, haben kaum Chancen, andere Studierende kennenzulernen“, fügte die Professorin hinzu.

Überdies nannte Voigts, die Ex-Mitglied der Sachverständigenkommission des Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung (2014-2017) ist und zu deren aktuellem Lehrgebiet die „Kinder- und Jugendhilfe in Corona-Zeiten“ gehört, die Schließung von Schulen während der Pandemie einen Fehler. „Ich habe von Anfang an dafür geworben, die Schulen offen zu halten, und zwar komplett und unabhängig von Inzidenzen“, sagte sie und fügte hinzu: „Für die meisten Jugendlichen wäre es schlimm, wenn die Schulen erneut geschlossen werden müssten.“ Das dürfe nicht passieren. „Schulen müssen in Pandemiezeiten Orte für junge Menschen sein, die ihnen das Treffen mit ihren Freunden und Freundinnen ermöglichen. Dazu braucht es offene Schulkantinen, Schulgelände und Turnhallen.“ Es gelte, Schulen herauszuholen aus ihren begrenzten Räumen und Zeiten. Vorderstes Ziel müsse es sein, dass Kinder und Jugendliche auch in Pandemiezeiten aufeinandertreffen könnten. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt zeigte sich enttäuscht über die Ergebnisse des Impfgipfels von Bund und Ländern. „Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb es kein konkreteres Konzept gibt, wie impfwillige Jugendliche wirklich bis zum Ende des Sommers ein Impfangebot erhalten sollen“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) müsse sicherstellen, dass Jugendliche mit Vorerkrankungen, die einer der Risikogruppen angehört en, „mit hoher Priorität ein Impfangebot“ erhielten, forderte Göring-Eckardt. „In diesem Fall könnten die Eltern am besten gleich mitgeimpft werden zum Schutz ihrer Kinder.“ Zusätzlichen Impfstoff, den Spahn vor Kurzem noch in Aussicht gestellt habe, gebe es nun ganz offenbar doch nicht, kritisierte Göring-Eckardt. „Mal wieder weckte der Gesundheitsminister falsche Erwartungen und hat es versäumt, vorausschauend zu handeln.“ +++