Großer Abgesang auf Merkel

Oppermann: Kauder-Sturz "dramatischer Vorgang" in der Union

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)

Nach der Niederlage von Merkels Favoriten für den Unionsfraktionsvorsitz übertrumpfen sich die politischen Kommentatoren mit Abgesängen auf die Kanzlerin. „Abschied von der Macht“ titelte Spiegel-Online am Dienstagabend, „Diese Niederlage ist für die Kanzlerin brandgefährlich“ schreibt der Focus, „Ihre Macht zerfließt“ das Online-Portal der „taz“. Der Außenseiterkandidat Ralph Brinkhaus hatte sich am Nachmittag in der Unionsfraktion in einer geheimen Wahl überraschend gegen Volker Kauder durchgesetzt, der als enger Vertrauter Merkels gilt und den Fraktionsvorsitz 13 Jahre innehatte. „Die Abgeordneten machen klar, dass sie nicht länger nur artig Staffage in einer Problem-Koalition sein wollen“, schreibt die „Stuttgarter Zeitung“, „nun hat Merkel auch ihre Machtbasis in der Unionsfraktion verloren“, kommentiert die die „Rheinische Post“ in ihrer Mittwochsausgabe. Die Kanzlerin wollte sich unterdessen nach der dramatischen Fraktionssitzung nichts anmerk  en lassen: „Das ist eine Stunde der Demokratie. In der gibt es auch Niederlagen, und da gibt es auch nichts zu beschönigen“, sagte Merkel.

Oppermann: Kauder-Sturz „dramatischer Vorgang“ in der Union

Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) bewertet den Sieg des neuen Unionsfraktionschefs Ralph Brinkhaus gegen Merkels langjährigen Vertrauten Volker Kauder als Zeitenwende in der Union. „Das ist ein dramatischer Vorgang“, sagte Oppermann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Der Machtwechsel an der Spitze der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen den ausdrücklichen Willen der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel werfe ein Schlaglicht auf die Lage der Regierungschefin: „Wie es jetzt für die Kanzlerin weitergeht, ist offen.“ Der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende Oppermann dankte Kauder für die Zusammenarbeit: „Volker Kauder war für mich immer ein loyaler Partner.“

Günther erklärt Brinkhaus-Wahl mit Unzufriedenheit in der Union

Für den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) spiegelt die Wahl von Ralf Brinkhaus (CDU) „eine gewisse Unzufriedenheit, insbesondere mit den vergangenen Wochen“. Das Wahlergebnis, sagte Günther der „Welt“, sei „sicher eine Überraschung“. Die Wahl von Brinkhaus zeige aber deutlich, „dass die Fraktion auf Erneuerung setzen“ wolle. „Wir haben ein ganzes Jahr erlebt, in dem vieles nicht nachvollziehbar war, und ich kann nur hoffen, dass man sich jetzt auch in Berlin endlich wieder auf wichtige Sachfragen konzentriert.“ Er selbst gehe davon aus, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und der neue Fraktionsvorsitzende gut zusammenarbeiten. „Das kann in dieser Konstellation funktionieren“, so Günther.

Riexinger: Union rückt mit Wahl von Brinkhaus weiter nach rechts

Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linkspartei, sieht in der Wahl von Ralph Brinkhaus (CDU) als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion einen Ruck nach rechts der Unionsfraktion. „Die Abwahl Kauders ist ein Aufstand gegen Angela Merkel“, fügte der Linken-Chef hinzu. Die Kanzlerin sei massiv geschwächt. „Die Bundesregierung versinkt im Chaos. Horst Seehofer erweist der Union einen Bärendienst“, so Riexinger weiter. Der SPD-Politiker und ehemalige Außenminister, Sigmar Gabriel, hat die Wahl des neuen Fraktionsvorstand der Unionsfraktion als demokratische Entscheidung bezeichnet. „Das war eine demokratische Entscheidung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Nicht mehr und nicht weniger. So etwas gibt es in demokratischen Parteien“, sagte Gabriel dem „Tagesspiegel“. „Ich halte nichts davon, dass jetzt auch noch zur Regierungskrise hoch zu stilisieren. Denn Deutschland braucht eine handlungsfähige Regierung. Nicht nur wegen der Menschen hier im Land  , sondern weil an uns die Stabilität ganz Europas hängt.“, sagte Gabriel weiter. „Die Zeiten sind international zu brisant und zu gefährlich. Gerade deshalb wird Angela Merkel noch gebraucht. Aber die Bundesregierung muss jetzt einen mit der Selbstbeschäftigung Schluss machen und eben neuen Start schaffen. Mit einer Politik, die die Menschen in Deutschland in den Mittelpunkt stellt und nicht die parteipolitischen Egoismen.“

Von Alemann: Fraktion hat Merkel das Vertrauen entzogen

Der Politologe Ulrich von Alemann hält es nach der Wahl von Ralph Brinkhaus zum neuen Unionsfraktionschef für denkbar, dass die Kanzlerin die Vertrauensfrage stellen wird. „Das ist eine Klatsche für Volker Kauder und damit auch für die Kanzlerin, und sie sitzt nun in der Patsche. Das ist eine absolute Sensation, und natürlich wird nicht Kauder gemeint, sondern Angela Merkel“, sagte Von Alemann der „Heilbronner Stimme“. Der Politologe erklärte weiter: „Eine mögliche Option ist nun: Die Kanzlerin zieht sich von ihrem Amt zurück. Es geht sowieso jeder davon aus, dass dies ihre letzte Amtsperiode ist. Jetzt kann sie bestimmen, wann Schluss ist.“ Denkbar sei auch eine andere Konsequenz. Merkel habe sicher „große Nehmerqualitäten, aber möglicherweise zieht sie auch die Option, und stellt wie andere Kanzler – beispielsweise Schröder – die Vertrauensfrage.“ Merkel sei vom Parlament gewählt und vom Vertrauen ihrer Partei abhängige Kanzlerin  , so Von Alemann „Wie wir jetzt sehen, ist zumindest in der Fraktion das Vertrauensverhältnis erheblich gestört. Ich würde sogar sagen: Die Fraktion hat nicht nur ihrem Vertrauten das Vertrauen entzogen, sondern auch ihr selbst.“ Kauder habe die Union über lange Jahre hinweg erfolgreich gemanagt und hinter der Kanzlerin vereint, so von Alemann, er gelte als eher konservativer Politiker, habe aber an seiner Loyalität zu Angela Merkel kaum Zweifel aufkommen lassen. Daher sei diese Situation nun für Angela Merkel „keine kleine Niederlage, sondern ist ein Tsunami. Sie sitzt in einem Wirbelsturm, denn wenn ihr Mann, ihr ausdrücklicher Favorit, keine Mehrheit bekommt, ist auch ihre eigene Mehrheit in der Fraktion in Gefahr“. Von Alemann: „Bemerkenswert ist aus meiner Sicht, dass Kauder gescheitert ist, obwohl CSU-Parteichef Seehofer für ihn geworben haben will, und auch Landesgruppenchef Dobrindt nicht offen gegen Kauder Front gemacht hat. Damit ist klar: Es gab einen breiten Widerstand in der Fraktion.“ +++