Festakt: Scholz hebt Vielfalt als Stärke Deutschlands hervor

Olaf Scholz (SPD)

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Schwerin gegen eine völlige Angleichung des Ostens an den Westen gestellt und stattdessen die Vielfalt des Landes hervorgehoben. "Die Vorstellung, die Deutsche Einheit wäre dann vollendet, wenn der Osten irgendwann einheitlich exakt so ist wie der Westen - wo es doch diesen einen einheitlichen Westen gar nicht gibt -, diese Vorstellung hilft uns im vereinten Deutschland tatsächlich nicht mehr weiter", erklärte Scholz. "Sie sorgt nur für Verbitterung und für Frust, weil sie gar nicht erreichbar oder auch so erstrebenswert ist. Sie wird der enormen Vielfalt innerhalb Ostdeutschlands und innerhalb Westdeutschlands überhaupt nicht gerecht."

Die innere Vielfalt Deutschlands sei kein Defizit, so der Sozialdemokrat. "Sie ist eine besondere Stärke unseres Landes." Die Einheit in Freiheit, die man vor 34 Jahren wiedergefunden habe, bleibe das gemeinsame Fundament des Landes. "Wenn wir aber auf diesem Fundament ein lebenswertes Gebäude für eine gemeinsame gute Zukunft erreichen wollen - dann brauchen wir dafür die gesamte Vielfalt unseres Landes." Zum Tag der Deutschen Einheit rief der Kanzler daher dazu auf, sowohl die Einheit als auch die Vielfalt Deutschlands zu feiern.

Am 3. Oktober 1990 hätten die Deutschen das Zusammenfügen der beiden früheren Teilstaaten in freier Selbstbestimmung "vollendet", so Scholz. "Aber, meine Damen und Herren, 'vollendet', das hat ja nicht nur den einen Wortsinn, dass eine Etappe 'geschafft' oder ein Kapitel 'fertiggestellt' ist. Unter 'Vollendung' verstehen wir üblicherweise zugleich, dass etwas 'perfekt' ist", erklärte der Kanzler. "Vollendet in diesem Sinne ist die Deutsche Einheit auch nach 34 Jahren natürlich nicht."

Man dürfe niemals vergessen und kleinreden, was im Osten seit 1990 geleistet wurde und wie weit man in Deutschland gemeinsam vorangekommen ist, so Scholz. Die Deutsche Einheit sei eine Erfolgsgeschichte, die jedoch nicht zu Ende sei. "Wo immer Politik bessere Lebenschancen und gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen kann, da muss das geschehen", sagte der Sozialdemokrat. "Und genau daran arbeiten wir gemeinsam, auf allen Ebenen."

Schwesig zeigt Verständnis für Frust Ostdeutscher

Die Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), hat beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit Verständnis für den Frust vieler Ostdeutscher 34 Jahre nach der Wiedervereinigung gezeigt. Sie habe selbst erlebt, wie ihr Vater damals arbeitslos wurde und sein Betrieb geschlossen wurde. "Es war schwer - für die ganze Familie. Und manchmal ist es das immer noch", sagte Schwesig. "Und deswegen verstehe ich Menschen, die auch enttäuscht und verletzt sind."

Für die meisten Menschen in den westdeutschen Ländern habe sich durch die Deutsche Einheit nicht viel geändert, erklärte die Ministerpräsidentin. "Aber für uns Menschen in Ostdeutschland, für unsere Familien, ändere sich hingegen fast alles. Angesichts dieser Erfahrung ist nachvollziehbar, dass die Sorge, das Erreichte könne wieder verloren gehen, in Ostdeutschland ausgeprägter ist."

Der Osten bleibe anders, sagte Schwesig, die als aktuelle Bundesratspräsidentin Gastgeberin des Festaktes war. Über die Unterschiede sei man in der Vergangenheit zu oft hinweggegangen. Man müsse Unterschiede jedoch ernst nehmen und auf Augenhöhe miteinander reden. Zudem müsse der Osten öfter für seine Expertise wahrnehmbar werden, und nicht nur bei Problemen in den Fokus geraten. "Der Osten kann mit seinen Erfahrungen und Lösungen ganz Deutschland bereichern", sagte die Ministerpräsidentin.

Schwesig dankte ausdrücklich denjenigen, die bei den Montagsdemonstrationen auf die Straße gingen und die sich nicht sicher sein konnten, ob sie am Abend dafür im Stasi-Knast landen würden. Als im Westen kaum jemand an Veränderung im Osten geglaubt habe, hätten die Menschen im Osten Freiheit und Demokratie gefordert. "Ich danke allen von Herzen, die damals so mutig, so aufrichtig waren", sagte die Bundesratspräsidentin. +++


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