FDP-Chef fürchtet „falsche Weichenstellungen“ beim EU-Sondergipfel

Auszahlungen sollten an Reformzusagen und konkrete Projekte gebunden werden

Christian Lindner (FDP)

Vor dem EU-Sondergipfel hat FDP-Chef Christian Lindner die deutsche Ratspräsidentschaft vor falschen Weichenstellungen gewarnt. „Die Bundeskanzlerin hat eine Schlüsselrolle, damit aus dem Wiederaufbaufonds nicht in Wahrheit nur ein Umverteilungsmechanismus wird“, sagte Lindner den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Sonst ist die notwendige Zustimmung des Bundestages nicht gesichert.“

Die EU-Kommission will 750 Milliarden Euro für die wirtschaftliche Erholung Europas nach der Coronakrise mobilisieren. Die enormen Summen müssten ein Hebel sein, um neue Technologien wie Wasserstoff praktisch nutzbar zu machen, forderte Lindner. „Auszahlungen sollten an Reformzusagen und konkrete Projekte gebunden werden, damit die Europäische Union wirklich gestärkt aus dieser Krise herausfindet.“ Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, sprach sich für Kredite anstelle von direkten Zuschüssen aus. Diese müssten an Bedingungen geknüpft werden. Wettbewerbsschwache Länder müssten nachhaltige Reformen einleiten, forderte Steiger. Nach einer Prüfung, ob die Reformen umgesetzt seien, „können die Kredite schrittweise in Zuschüsse umgewandelt werden“.

Fraktionschef der Europa-Grünen für schnelle Einigung auf EU-Gipfel

Vor dem Sondergipfel der EU haben die europäischen Grünen eindringlich an die Staats- und Regierungschefs appelliert, ihren Streit ums Geld beizulegen und sich so schnell wie möglich auf das Wiederaufbaupaket zu einigen. „Auf dem Spiel stehen das Überleben der Währungsunion und vielleicht auch das Überleben der Europäischen Union“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Philippe Lamberts, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Sollte in der Coronakrise der Euro scheitern, „dann würde ich nicht mehr viel Geld auf den Fortbestand der Europäischen Union setzen wollen“, sagte der Europaabgeordnete aus Belgien weiter. Das müssten auch jene Staaten begreifen, die sich gegen die Vergabe von nicht rückzahlbaren Zuschüssen wehrten. Auch Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark wären von einer „Explosion des Euros brutal betroffen“, so Lamberts: „Ein gemeinsames Wiederaufbauprogramm ist in deren ureigenem Inte resse. Wenn sie es blockieren, dann tragen sie die Verantwortung.“ Der Grünen-Fraktionschef beharrte auch auf der Verknüpfung von EU-Geldern an die Einhaltung von Rechtsstaatsnormen. „Die Einhaltung von Rechtsstaatsnormen ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Bürger in den Mitgliedsstaaten davon zu überzeugen, dass das Geld gut angelegt ist.“ Lamberts sagte, die EU habe einen Hebel, den sie nutzen müsse: „Polen und Ungarn bekommen viel, viel Geld von der EU. Sie werden wohl akzeptieren müssen, dass das Geld nur ankommt, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Dazu zählt auch die Rechtsstaatlichkeit.“ Indirekt drohte Lamberts, dass der EU-Haushalt vom Europaparlament abgelehnt werden könnte, sollten die Staats- und Regierungschefs das Budget kürzen. „Mit dem Geld müssen auch Projekte finanziert werden, die Europa für das 21. Jahrhundert fit machen. Das sind der Green Deal und die Digitalisierung“, sagte Lamberts: „Wenn es einen Deal geben sollte, der das berücksichtigt, dann we rden wir zustimmen.“ Geschehe das nicht, dann werde es zu „sehr harten Verhandlungen“ kommen. Lamberts erinnerte daran, dass die Staats- und Regierungschefs nicht eigenmächtig über die EU-Finanzen entscheiden dürften: „Jeder Regierungschef darf die Interessen seines Landes verteidigen. Das ist legitim. Aber wir im Parlament verteidigen die Interessen der Europäerinnen und Europäer, und wir werden uns einmischen.“

Luxemburgs Premier ruft EU-Kollegen zu Kompromissbereitschaft auf

Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel ruft seine Amtskollegen unmittelbar vor Beginn des EU-Sondergipfels in Brüssel zu Haushalt und Corona-Hilfen zur Kompromissbereitschaft auf. „Wenn jeder mit dem Taschenrechner kommt, wird das nichts“, sagte Bettel der „Bild“. „Jeder muss mal ein bisschen Wasser in seinen Wein schütten.“ Bettel bezifferte die Aussichten auf eine Einigung bis Ende Juli auf 65 zu 35 Prozent. Das begründete der Premier auch mit seinem Vertrauen in die Verhandlungsführung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). „Ich muss zugeben: Ich bin ein Merkel-Fan in Bezug auf ihre Art zu arbeiten. Und ich weiß, dass sie auch eine starke Persönlichkeit ist und den Einfluss hat, den einen oder anderen zu überzeugen“, sagte Bettel der Zeitung weiter. In diesem Moment, wo wirklich starke Führung gebraucht werde, vertraue er darauf, dass sie die richtige Person ist. Die unterschiedlichen Positionen der Gipfelteilnehmer hält Bettel bei entsprechender Kompromissbereitschaft für vereinbar: „Die einen wollen nur Solidarität, die anderen Kontrolle haben – und die anderen wollen überhaupt nichts zahlen. Ich bin der Meinung, dass wir Solidarität, Regeln und Kontrolle brauchen“, sagte Bettel. Kritik übte er an der Berechnungsformel für die Verteilung der Hilfsgelder. Bettel spricht sich alternativ für eine Stufen-Lösung aus: „Es erscheint mir sinnvoll, nicht alle Hilfen sofort auszuzahlen, wie es im letzten Vorschlag heißt. Wir müssen schauen, wie sich dann die jeweiligen Volkswirtschaft entwickeln.“ Es sei „Unsinn“, die Hilfen auf Basis der Arbeitslosigkeit der letzten fünf Jahre zu berechnen, wie die EU-Kommission es bislang vorsehe. +++