Berlin. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hält hohe Lohnabschlüsse in einzelnen Branchen für gerechtfertigt. „In vielen Sektoren der deutschen Wirtschaft war die Lohnentwicklung schwächer als die Produktivitätsgewinne über die letzten 15 Jahre“, sagte Fratzscher „Handelsblatt-Online“. „Daher besteht in einigen, aber nicht in allen Sektoren, ein Aufholbedarf bei der Lohnentwicklung, auch wenn dieser begrenzt ist.“ Für „falsch und gefährlich“ hält es der DIW-Chef, einen angemessen Lohn oder eine Lohnentwicklung für eine gesamte Volkswirtschaft definieren zu wollen. „Die Lohnentwicklung sollte sich an der langfristigen Entwicklung der Produktivität orientieren. Diese unterscheidet sich stark über Sektoren hinweg“, erläuterte der Ökonom.
Dies müsse bei Lohnverhandlungen berücksichtigt werden. „Lohnsteigerungen, die die Produktivitätsentwicklung überschreiten, führen zu höherer Arbeitslosigkeit“, warnte Fratzscher. „Die, die zu niedrig sind, schaden der wirtschaftlichen Dynamik.“ Fratzscher bezeichnete es zudem als Illusion, darauf zu hoffen, dass ein höherer Lohnanstieg zu mehr Inflation in Deutschland führen werde. „Deutschland steht wie kein zweites Land im globalen Wettbewerb“, sagte er. „Auf globalen Märkten werden die Preise bestimmt, und diese werden entscheidend die Inflation in Deutschland bestimmen.“ Der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, pflichtete der Einschätzung von Bundesbankchef Jens Weidmann bei, der Lohnzuwächse von rund drei Prozent als der wirtschaftlichen Lage in Deutschland für angemessen bezeichnet hatte. „Die von ihm genannten Größenordnungen entsprechen in etwa den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen“, sagte Horn „Handelsblatt-Online“.
„Derzeit erfordert dies, dass die Lohnsteigerungen deutlich über die aktuellen, zu niedrigen Preissteigerungen hinausgehen, sodass kräftige Reallohnzuwächse schon aus Gründen der Preisstabilität geboten sind.“ Horn hält sogar deutlich höhere Lohnabschlüsse als von der Bundesbank favorisiert für sinnvoll. „In der gegenwärtigen Lage des Euro-Raums wäre es hilfreich für die wirtschaftliche Entwicklung, wenn die Lohnzuwächse in Deutschland temporär etwas über die Marke von 3,5 Prozent hinausgehen, um durch eine besonders gute Binnenkonjunktur in Deutschland die Exportchancen der Krisenländer zu erhöhen“, sagte er. „Dies käme auf Dauer auch der deutschen Volkswirtschaft zugute.“ +++ fuldainfo
Die unterdurchschnittliche Lohnentwicklung in Deutschland ist mit daran ursächlich, dass es zu solch gravierenden Ungleichgewichten in Europa gekommen ist. Die Ökonomen in Deutschland wachen nun langsam auf und begreifen das. Es dürfte aber zu spät sein, da sich die anderen beiden großen Volkswirtschaften Frankreich und Italien nicht so schnell erholen werden. Hier hätte man in Deutschland viel eher agieren müssen.