Ausnahmeregion in Sachen Ausbildung

Fulda. Hinsichtlich des Ausbildungsmarktes hat die Region Fulda in Hessen eine Ausnahmestellung. Dies wurde bei der Ausbildungsmarktkonferenz in der Arbeitsagentur in Fulda deutlich. „Während im Hessendurchschnitt rechnerisch auf 100 Bewerber nur 75 Ausbildungsstellen kommen, sind es bei uns im Landkreis 137“, erläuterte Waldemar Dombrowski, Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Bad Hersfeld-Fulda, der bei der Zusammenkunft gemeinsam mit den regionalen Netzwerkpartnern das abgelaufene Ausbildungsjahr 2013/14 analysierte. Zweimal jährlich treffen sich Vertreter von Arbeitsagentur, Industrie- und Handelskammer, Kreishandwerkerschaft, Stadt und Landkreis, Arbeitgeberverband und Gewerkschaften, um Entwicklungen auf dem Ausbildungsmarkt zu erörtern.

Bei der Arbeitsagentur haben sich von Oktober 2013 bis September diesen Jahres 1.512 junge Frauen und Männer als Bewerber/innen für einen Ausbildungsplatz gemeldet. Dies waren 103 weniger als im Vorjahr (-6,4 Prozent). „Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Zahl der sogenannten Altbewerber – also von Ausbildungssuchenden, die ihren Schulabschluss im Vorjahr oder früher absolviert haben – signifikant unter dem Landesschnitt liegt“, erläutert Dombrowski die Entwicklung. Besonders groß war das Interesse an einer Ausbildung im kaufmännischen Bereich (Einzelhandel, Industrie, Büro). Bei Mädchen waren unter den Wunschberufen auch Medizinisch-Technische Fachangestellte oder Friseurin, bei Jungen begeistert seit Jahren der Kfz-Mechatroniker sowie der Industriemechaniker.

„Die Schere zwischen Stellenangebot und –nachfrage hat sich nicht noch weiter geöffnet, wie zu befürchten war, da auch die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen – entgegen dem Trend der vergangenen Jahre – leicht zurückgegangen ist“, führte Dombrowski aus. 2.074 Ausbildungsstellen wurden der Arbeitsagentur zur Besetzung gemeldet – 175 weniger als im Vorjahr (-7,8 Prozent). Insgesamt 100 Lehrstellen konnten nicht besetzt werden. Gesucht werden unter anderem junge Menschen, die eine Lehre zum Kaufmann/frau im Einzelhandel absolvieren möchten sowie Fleischerei-Fachverkäufer/innen. Auffallend hoch ist die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen auch in der Gastronomie (Koch, Hotel- und Restaurantfachleute). Besonders groß stellt sich das Missverhältnis im Bereich Bau dar. Hier kamen im abgelaufenen Ausbildungsjahr nur 85 Bewerber auf 203 Stellen, in Elektroberufen waren mit 67 nicht einmal halb so viele Bewerber gemeldet wie Ausbildungsstellen (143).

Zum 30. September sind 25 Bewerberinnen und Bewerber ohne Lehrstelle oder eine schulische Alternative geblieben. Zwei Drittel davon haben die Mittlere Reife oder sogar die Fachhoch- oder Hochschulreife erreicht. Dies hängt auch damit zusammen, dass einige Personen mit Hochschulreife ihr Studium vorzeitig beendet haben und einen Neustart im dualen Berufsbildungssystem versuchen wollen. „Generell bleiben immer weniger Bewerberinnen und Bewerber übrig, die in Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen oder Praktika die Zeit bis zur Ausbildung überbrücken müssen. „Die Betriebe machen Kompromisse bei der Wahl ihrer Auszubildenden und haben in den letzten Jahren ihre Anforderungen zurückgeschraubt“, weiß Schwerd. So falle die Entscheidung für einen Kandidaten weniger auf der Basis von Schulnoten und Zeugnissen, sondern eher auf dem Eindruck, den dieser im Bewerbungsgespräch hinterlasse. „So günstig sich die Lage für die jungen Menschen in unserer Region darstellt, so gilt es auch zu konstatieren, dass zahlreiche Ausbildungsbetriebe keine Nachwuchskräfte finden. Das wird den zukünftigen Fachkräftemangel eher verstärken“, nennt der Agenturchef die Kehrseite der Lage. Die Bilanz der Daten zur Ausbildungsvermittlung bedeutet nicht das Ende der Vermittlungsaktivitäten. Jugendliche, die bislang weder einen Ausbildungsplatz, noch eine tragfähige Alternative gefunden haben, können sich zur Nachvermittlung bei der Agentur für Arbeit melden. Eine Terminvereinbarung bei der Berufsberatung der Agentur für Arbeit Bad Hersfeld-Fulda ist möglich unter der Service-Rufnummer 0800 4 5555 00 (kostenfrei).

„Mit 1.135 Ausbildungsverträgen (Stand: 20.10.2014) haben wir in etwa genauso viele Ausbildungsverträge registriert wie im vergangenen Jahr. Das ist auch vor dem Hintergrund der sich eintrübenden Konjunktur ein sehr gutes Ergebnis, das wir vor einigen Monaten noch nicht erwartet haben. Mit der hohen Ausbildungsleistung bereiten sich die Unternehmen auf die demografische Entwicklung vor und sichern sich ihren Fachkräftenachwuchs, denn die Zahl der Schulabgänger wird in den kommenden Jahren weiter deutlich rückläufig sein. Aus vielen Gesprächen wissen wir, dass es gerade kleinen und mittleren Unternehmen schwer fällt, eine gezielte Personalplanung und –entwicklung zu betreiben. Hier werden wir als Industrie- und Handelskammer ansetzen und weiter intensive Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit leisten und unterstützen. Neben der Ausbildung der Fachkräfte im dualen System gewinnt auch die Qualifizierung des Führungskräftenachwuchses an Bedeutung. Duale Studiengänge bieten gerade auch für kleine und mittlere Unternehmen eine gute Möglichkeit, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu binden. Gleichzeitig müssen wir die Schülerinnen und Schüler noch stärker über die vielfältigen Ausbildungs- und dualen Studienmöglichkeiten informieren, um ihnen das ganze Spektrum ihrer beruflichen Chancen zu zeigen“, so IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Schunck.

Landrat Bernd Woide erläuterte: „Die Ausbildungssituation in unserem Landkreis stellt sich mittlerweile völlig anders dar als in vielen anderen Regionen. Vor einigen Jahren fehlten uns Ausbildungsplätze – heute fehlen uns die Ausbildungsplatzbewerber. In den kommenden Jahren werden sich meines Erachtens die Aufgabenstellung und die Herausforderungen etwas verlagern. Wir werden uns verstärkt um die jungen Menschen und deren Ausbildungsinteresse kümmern müssen, damit die von den Unternehmen zur Verfügung gestellten Ausbildungsplätze auch adäquat besetzt werden können. In den Haupt- und Realschulen von Stadt und Landkreis gehört OloV seit Jahren zum Berufsorientierungsprozess. Die Idee, nun auch Abiturienten gezielt über Berufsausbildungsmöglichkeiten zu informieren, entstand im Rahmen der letzten Ausbildungsmarktkonferenz. Ziel ist es, den Fokus zu erweitern; keinesfalls aber den Schülerinnen und Schülern ein Studium auszureden. Vielleicht ist es ja für den einen oder anderen interessant, vor dem Studium eine Berufsausbildung zu absolvieren oder Ausbildung und Studium miteinander zu kombinieren. Wir wollen den Entscheidungsprozess unterstützen, Schüler und Eltern sensibilisieren und ganz gezielt darauf aufmerksam machen, welche Möglichkeiten es bei uns in der Region gibt. Die Winfriedschule hat damit begonnen, gut wäre es, wenn weitere Gymnasien folgen würden.“

„Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt bleibt für das Handwerk unverändert angespannt. Für die Handwerksbetriebe wird es immer schwieriger, die Ausbildungsplätze mit geeigneten Bewerbern zu besetzen. Im Umkehrschluss heißt das: Die Chancen, einen Ausbildungsplatz zu finden, waren schon lange nicht mehr so gut wie heute. Und auch die beruflichen Aus-sichten nach der Ausbildung sind wegen des sich abzeichnenden Fachkräftemangels gerade im gewerblich technischen Bereich bestens. Allerdings ist dies nicht als „Freifahrtschein“ für jeden Bewerber oder jede Bewerberin zu sehen. Denn Nachwuchsarbeit und Ausbildung ist kein quantitatives Problem, sondern ein qualitatives Problem. Bewerber/innen müssen bestimmte Mindestanforderungen hinsichtlich der fachlichen und insbesondere auch der sozialen Kompetenzen erfüllen. Zu beobachten ist, dass die Betriebe sich zunehmend von dem festen Einstellungstermin 1. August oder 1. September für Auszubildende verabschieden. Gute Bewerber und Bewerbe-rinnen finden das ganze Jahr über einen Ausbildungsplatz. Für alle Gewerke gilt: Wer gut ist, bekommt jederzeit einen Ausbildungsvertrag, unabhängig davon, wie weit das jeweilige Ausbildungsjahr fortgeschritten ist. Denn die Betriebe rechnen damit, dass es im nächsten Jahr noch schwieriger werden wird, junge Leute für eine duale Ausbildung zu begeistern. Der Einstieg in eine Ausbildung ist das ganze Jahr möglich. Und auch die Berufsschule ist hierfür kein Hindernis. Im Zweifelsfall gibt es die ausbildungsbegleitenden Hilfen, um Defizite in der Theorie auszugleichen.

Ohnehin rücken für die Unternehmen immer mehr die sozialen Kompetenzen wie Zuverlässigkeit, Motivation oder Ausdauer in den Mittelpunkt für eine Ausbildungszusage. Defizite in diesem Bereich lassen sich nämlich weit schwerer ausgleichen als beispielsweise fehlende Mathematik- oder Deutschkenntnisse. Vor dem Hintergrund einer ungebrochen hohen Ausbildungsbereitschaft der Handwerksbetriebe und ihrer zunehmenden Bereitschaft, sich auch mit eher schwachen Schulabgängern zu beschäftigen, geht das Handwerk in Osthessen zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon aus, dass der Rückgang bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr knapp im einstelligen Bereich gehalten werden kann. Hierzu tragen allerdings auch die – entgegen dem bundesweiten Trend – guten Ausbildungszahlen in den Bauberufen bei. Offensichtlich zahlt sich hier die intensive und aufwendige Nachwuchsarbeit der beteiligten Innungen und vor allem auch des Bildungszentrums Bau Osthessen (Lehrbauhalle) der vergangenen Jahre so langsam aus. Außerdem fokussiert sich die Nachwuchsarbeit des Handwerks zunehmend auch auf neue Zielgruppen. Hierzu zählen benachteiligte Jugendliche, die über keinen oder nur einen schwachen Hauptschulabschluss verfügen, minderjährige Flüchtlinge aus Krisen- und Kriegsregionen sowie zunehmend auch Frauen, die sich für bisher männerdominierte Ausbildungsberufe begeistern lassen. Zusätzlich hat in diesem Jahr das Handwerk seine Bemühungen ausgebaut und intensiviert, um (noch) nicht ausbildungsreifen Jugendlichen den Übergang von der Schule in die Berufsausbildung zu ermöglichen. Auch in diese Maßnahmen können Jugendliche das ganze Jahr jederzeit einsteigen und gegebenenfalls auch den Hauptschulabschluss nachholen“, sagte Dr. Herbert Büttner, Referent für Öffentlichkeitsarbeit, Kreishandwerkerschaft Fulda. +++ fuldainfo