Antonius mit neuem Namen: Bürgerstiftung antonius – gemeinsam Mensch

Zum 1. Januar 2021 sollen neue Schwesterngemeinschaften ihre Arbeit aufnehmen

Rainer Sippel

Nach Jahren intensiver Zusammenarbeit und enger Verzahnung mit der Fuldaer Wirtschaft und vereinzelter Kommunen im Landkreis Fulda spaltet sich die bisherige St. Antonius gGmbH unter dem Dach der antonius Netzwerk Mensch in drei Schwesterngesellschaften auf. Die bestehende Landwirtschaft und die Gärtnerei werden in eine eigene, gemeinnützige Gesellschaft ausgelagert: die „Gemeinsam wachsen gGmbH“. Ebenso werden die bestehenden Schwestern, die Frauenberg gGmbH und die alte St. Antonius gGmbH umbenannt in eine „Gemeinsam begegnen gGmbH“ und eine „Gemeinsam leben gGmbH“. Komplettiert werden die drei Schwesterngesellschaften durch die Perspektiva gGmbH. Das gab der Geschäftsführer der St. Antonius gGmbH, Rainer Sippel, im Rahmen der Presseveranstaltung „Gemeinsam Zukunft schaffen“ anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums als Geschäftsführer der Stiftung am gestrigen Freitag in Fulda bekannt. Erforderlich haben die Neugründung beziehungsweise Umfirmierungen die in den vergangenen Jahren entstandenen vielfältigen Angebote wie beispielsweise die Kita „ambinius“, die „Antonius von Padua Schule“ oder mit dem „Zitronenfalter“ das Interdisziplinäre Zentrum für Beratung, Frühförderung und Therapie unter dem Dach der St. Antonius gGmbH gemacht. „Jetzt war es an der Zeit, die Führungsstruktur an diese Netzwerkstruktur anzupassen und die Stiftungsarbeit zu stärken“, so Rainer Sippel. Die Arbeit soll jedoch identisch bleiben. Das über die Jahre entstandene Netzwerk müsse, so Sippel, auch noch „führbar“ bleiben. Die gGmbHs, die zum 01. Januar 2021 ihre Arbeit aufnehmen sollen, werden jeweils von zwei Führungskräften unter dem Dach des antonius-Netzwerkes geleitet werden, die gemeinsam die neue Geschäftsführung von antonius bilden. Eine Besonderheit sei, dass jeder Schwestergesellschaft ein Aufsichtsrat zugeordnet wird. Das können sowohl gewöhnliche Bürgerinnen und Bürger als auch Personen des öffentlichen Lebens sein. Angelegt sei diese Art der Aufsichtsstruktur, um die externe Expertise zu ermöglichen.

Der Vorsitzende des Stiftungsrates der Bürgerstiftung antonius – gemeinsam Mensch sowie Gründungsmitglied der St. Antonius-Stiftung (1998), Staatsminister und Oberbürgermeister der Stadt Fulda a. D. Dr. rer. pol., Alois Rhiel blickte anlässlich des 25-jährigen Jubiläums von Rainer Sippel als Geschäftsführer der St. Antonius gGmbH auf die Anfänge der Stiftung vor 115 Jahren zurück. Zur Zeit ihrer Gründung durch die Fuldaer Bürgerin Maria Rang seien ihre, so Rhiel, Ansichten zum Umgang mit Menschen mit Behinderung „visionär“ gewesen. Maria Rang war der Überzeugung, dass jeder Mensch Stärken und Talente hat, die es zu fördern gilt und gründete schon bald nach dem Heim eine Schule für seine Bewohner. „Eine Bildungseinrichtung für Menschen mit Behinderung zu initiieren, war für diese Zeit innovativ“, stellte der Vorsitzende des Stiftungsrates der Bürgerstiftung heraus. Immer wieder sei es aber auch vorgekommen, dass die Stiftung ihre Existenz habe fürchten müssen. „Historische Ereignisse wie die Weltwirtschaftskrise – vor allem aber das menschenunwürdige Verhalten der Nationalsozialisten bedrohten unsere Stiftung. In dieser Zeit haben die Verantwortlichen des damaligen Antoniusheims und die Fuldaer Bürgerschaft außergewöhnliches Engagement bewiesen.“ Doch auch Bedrohungen von innen hätten die Stiftung gefährdet. Unverantwortliches Handeln, insbesondere von Seiten der damaligen Geschäftsführung habe vor 25 Jahren zu einer Vertrauenskrise und einer existenziellen Gefährdung geführt.

In dieser kritischen Phase beauftragte der damalige Notstand unter dem Vorsitz von Dr. Christoph Kind Rainer Sippel als Geschäftsführer. Angeknüpft an den eigentlichen Stiftungsauftrag, wurden unter Rainer Sippel die Visionen der Gründerin wieder in den Fokus gestellt. Unter der neuen Geschäftsleitung wurden zahlreiche Pilotprojekte angestoßen. Nach und nach etablierte sich ein alle Lebensbereiche umfassendes Netzwerk. 1998 bot sich hieraus die Möglichkeit, die ideelle, materielle sowie sinnstiftende Hilfsbereitschaft zu verfestigen und zu institutionalisieren. Die seinerzeit gegründete Förderstiftung hat seither viele Projekte ermöglicht und finanziell unterstützt. Dr. Rhiel dankte dem Vorsitzenden der St. Antonius-Stiftung, dem Oberbürgermeister der Stadt Fulda a. D., Gerhard Möller, sowie seiner Vorgängerin, Traudel Sorg, für ihr engagiertes Einbringen in den letzten Jahren. Um antonius zukunftssicher aufzustellen, wurde die Verfassung der Trägerstiftung in den vergangenen Monaten weiterentwickelt. Hierzu Alois Rhiel: „Bei diesen Überlegungen haben wir der St. Lioba-Stiftung einen neuen Namen gegeben, um die Einheit des Netzwerks hervorzuheben. Sie heißt nun ‚Bürgerstiftung antonius – gemeinsam Mensch‘.“ Das Wort „gemeinsam“ beschreibe demnach, wie antonius Inklusion lebe. Als hauptamtlicher Stiftungsratsvorsitzender wird Rainer Sippel fungieren.

Für die St. Antonius-Stiftung sprach Gerhard Möller, Oberbürgermeister der Stadt Fulda a.D. Dies tat er auch im Namen ihrer langjährigen Vorsitzenden, Traudel Sorg, sowie allen anderen Mitgliedern und Förderern. „Vor 22 Jahren haben wir die Gründung dieser Stiftung miterlebt – und bei den vielen Projekten, die wir mit begleiten durften, ist es für uns immer wieder eine besondere Freude und Genugtuung, das wir das, was in den Gremien, im Zielorientierten, im Operativen auf den Weg gebracht wird, mit unterstützen dürfen. Dabei war und ist es uns bis heute Zielsetzung, dass das, was an Konzeption für die Inklusion, für die Menschen erdacht, vorgeplant und dann auch umgesetzt wird, auch eine Heimstätte erfährt. Und so sind die einzelnen Projekte immer wieder ein Beispiel für die Wegsteine hinein in die weitere Zukunft mit diesen wir antonius immer wieder ein Stück nach vorne entwickeln konnten. Natürlich – und das ist unsere, besondere, zusätzliche Aufgabe – kommt es darauf an, die Rückspiegelung in die Bürgerschaft hinein durch Aktionen, durch unterschiedliche Aktivitäten sicherzustellen.“

Die Aktion Mensch e.V. und antonius verbindet eine über viele Jahre sehr produktive aber auch persönliche Beziehung. Den gestrigen Termin zum Anlass genommen, sprach Armin von Buttlar vom Vorstand der Aktion Mensch vor vereinzelten Kuratoriumsmitgliedern über gemeinsame Schnittstellen. „Uns geht es darum, für Menschen, die vielleicht noch draußen vor der Tür stehen, ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen“, so von Buttlar. Wir stehen für Diversität, für Wertschätzung von unterschiedlichen Talenten und Begabungen. Unser Ziel ist es, dass für diese Menschen Schritt für Schritt mehr Normalität entsteht. Für uns als Aktion Mensch – und ich glaube auch für antonius – steht das Thema ‚Unterschiedlichkeit‘ nicht für schwierige Fragen oder Negationen, sondern dafür, dass das Leben bunt wird. Wir möchten, dass unterschiedliche Ideen und Kreativität entstehen und dass wir damit nicht nur innovativer oder fortschrittlicher werden, sondern dass wir vielleicht auch toleranter und rücksichtsvoller werden.“ Gerade in der Zeit von Corona gewönnen diese Werte wieder zunehmend an Bedeutung. „Und Inklusion und Diversität fordern diese Werte, und jetzt können wir sie auch noch praktisch üben durch ein ganz anderes Thema, weil ich der Überzeugung bin, dass sie aktuell wichtiger denn je sind.“

Der Geschäftsführer der engelbert strauss GmbH & Co. KG, Steffen Strauss, sprach auch für seine Familie, die antonius fördert. Strauss zeigte sich begeistert von dem, was in den vergangenen 25 Jahren unter dem Dach der St. Antonius gGmbH entstanden ist. Die Familie dazu bewogen, antonius zu fördern, habe, so Steffen Strauss, gesehen zu haben, dass hier bereits „sehr viel Erfolg vorhanden“ war. So entschied sich die Familie Strauss kurzerhand zum Bau der Antonius von Padua Schule. Beeindruckt habe die Familie vor allem die wirtschaftliche Komponente in einer sozialen Organisation. „Diese Mischung aus wirtschaftlichem Gespür und sozialer Ader fanden wir sehr außergewöhnlich“, so Steffen Strauss gestern in Fulda. „Daneben haben wir sehr viele Parallelen zu unserem Unternehmen und unserer Familie gesehen“, was die Familie Strauss dazu bewogen habe, den Kontakt über die Jahre zu halten und gemeinsam Dinge voranzutreiben. „Ein kaufmännisches Gespür gepaart mit Kreativität, Organisationstalent, der sozialen Ader und Menschenorientierung hat dazu geführt, dass hier so viel entstanden ist, was uns als Familien und Unternehmen begeistert.“ Via Videobotschaft gratulierte (Sport-)Journalist, Moderator und Botschafter von Aktion Mensch, Rudi Cerne, Rainer Sippel zu seinem 25-jährigen Jubiläum als Geschäftsführer der St. Antonius gGmbH. Daneben erinnerte Cerne an die Stadtwette und den Abend im Stadtsaal der Orangerie am Schlossgarten Fulda im September 2015 und Fulda sich ab diesem, denkwürdigen Tag „Inklusivste Stadt Deutschlands“ nennen darf.

Rainer Sippel, dem daran gelegen war und ist, sein 25-jähriges Jubiläum als Geschäftsführer der St. Antonius gGmbH eher „klein zu halten“, ging abschließend auf den Charakter seiner und den seiner Mitstreiter ein. Netzwerkarbeit, so Sippel, sei in erster Linie Beziehungsarbeit. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie sagte er, dass dies für antonius – so wie bereits in der Vergangenheit geschehen – auch eine Form von Bedrohung sei. „Der soziale Kreis gerade von Menschen mit Behinderung droht jetzt wieder eingeengt zu werden, weil Begegnungen aus der Nähe nicht mehr möglich sind. Wir laufen Gefahr, dass Menschen mit Behinderung in diesen Tagen wieder zunehmend isoliert werden. Deswegen mein Appell: Halten Sie fest, an Begegnungsmöglichkeiten mit Menschen mit Behinderung.“ Oftmals seien es schon die kleinen Begegnungen, die sich zufällig im Alltag ereignen, denen Menschen ein Lächeln ins Gesicht bringt. Sippel warb dafür, den Menschen offen und neugierig zu begegnen. Gerade diese Begegnungen seien es, an denen man gegenseitig wachsen könne, wofür es viel Austausch und Begegnungen brauche. +++ jessica auth / fdi

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