Ärztepräsident gegen Auffrischungsimpfungen ohne Stiko-Empfehlung

Kindermediziner erwarten Corona-Impfstoff für Säuglinge

Ärztepräsident Klaus Reinhardt sieht das Vorgehen der Gesundheitsminister von Bund und Ländern kritisch, Auffrischimpfungen für Senioren und Immungeschwächte ohne entsprechende Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) anzubieten. Das sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Es spricht theoretisch einiges dafür, dass eine Auffrischimpfung für Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen, mit einem geschwächten Immunsystem sowie für Hochbetagte sinnvoll sein kann“, sagte der Mediziner. „Nach bisherigem Kenntnisstand und Auffassung namhafter Experten ist sie aber für die meisten Geimpften nicht sofort nötig“, so der Ärztepräsident.

Insgesamt fehlten noch aussagekräftige Studien, ob, wann und für wen eine Boosterimpfung angezeigt sei, sagte Reinhardt dem RND. „Ich halte es deshalb für einen Fehler, dass Bund und Länder in der Breite Auffrischungsimpfungen angekündigt haben, ohne eine entsprechende Empfehlung der Stiko abzuwarten“, beklagte der Ärztepräsident. Es sei zu erwarten gewesen, dass Patientinnen und Patienten nach dieser Ankündigung in den Praxen verstärkt Termine für Drittimpfungen nachfragten, so Reinhardt. „Da ist also von der Politik eine Erwartungshaltung bei den Patienten geschürt worden, die viele Ärztinnen und Ärzte ohne eine wissenschaftlich fundierte Impfempfehlung nicht bedienen wollen.“ Er könne daher alle Kollegen verstehen, die sich möglichst schnell eine klare Positionierung der Stiko wünschten. Reinhardt sagte, die Problemlage sei der Stiko bewusst. Sie arbeite derzeit intensiv an Empfehlungen für Auffrischungsimpfungen für Senioren und Immungeschwächte. Mehrere Bundesländer haben bereits damit begonnen, Pflegebedürftigen, über 80-Jährigen und Menschen mit Immunschwäche sogenannte Booster-Impfungen anzubieten. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern hatten schon Anfang August beschlossen, dass dieses Angebot auch für Menschen gilt, die eine vollständige Impfung mit Vektor-Impfstoffen v on Astrazeneca oder Johnson&Johnson erhalten haben. Als geeigneten Zeitpunkt haben die Minister sechs Monate nach dem Abschluss der ersten Impfserie genannt.

Grüne werfen Bund mangelnde Strategie für Drittimpfungen vor

Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen vermisst eine klare und rechtzeitige Strategie für Auffrischimpfungen. Zwar sei ein Anspruch darauf in der neuen Impfverordnung verankert, „aber die konkrete Impfstrategie ist völlig unklar und selbst angesichts der vierten Welle im Sommer nicht vorbereitet worden“, sagte er der „Rheinischen Post“. „Die Bundesregierung regiert weiter im Unklaren, anstatt durch mehr Impftempo und frühzeitiges Handeln die offensichtlichen Schwächen des Krisenmanagements auszugleichen“, kritisierte Dahmen. Er forderte eine „systematische Auffrisch-Impfkampagne“ für alle Menschen, bei denen die Wirkung der Impfstoffe aufgrund hohen Alters oder geschwächten Immunsystems mutmaßlich zu gering ist. Gleiches gelte auch für Beschäftigte in den Pflegeheimen und Kliniken, die regelmäßig mit vulnerablen Gruppen arbeiten und deren Impfung in der Regel bereits länger als sechs Monate zurückliege. „Die Bundesregierung hat  es verpasst, frühzeitig systematisch Daten für Deutschland zu erheben, für wen und wann sogenannte Booster-Impfungen zwingend sinnvoll sind“, so der Grünen-Politiker weiter. Zugleich halte er eine entsprechende Empfehlung durch die Ständige Impfkommission für förderlich. „Eine faktenbasierte Einschätzung und offizielle Impfempfehlung für besonders gefährdete Gruppen durch die Stiko würde das Vertrauen innerhalb der Bevölkerung stärken und vielleicht auch der Bundesregierung helfen, hier nicht nur auf Sicht zu fahren“, sagte Dahmen. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schloss sich dieser Forderung an. „Ich halte es für unerlässlich, dass wir eine klare Empfehlung für die dritte Impfung seitens der Stiko jetzt bekommen“, sagte er der „Rheinischen Post“ dazu. „Wir brauchen eine solche Empfehlung schnell, da die Impfung jetzt beginnen kann.“ In der Bevölkerung und auch bei den Ärzten in den Impfzentren sei „große Verwirrung“ entstanden. Dabei sprach sich Lauterbach für zielgenaue Drittimpfungen aus. „Ich befürchte, dass jetzt viele mit einer dritten Impfung versehen werden, die davon nicht profitieren, während diejenigen, die sie dringend benötigen würden, sie nicht bekommen.“ Der Impfstoff dürfe nicht verschwendet werden. „Wird die Impfung unnötiger Weise bei Niedrigrisiko-Vorgeimpften und Jüngeren gemacht, verschwenden wir nicht nur Impfstoff, der in anderen Ländern benötigt würde, sondern haben auch keine zusätzliche Wirkung des Impfstoffes zu erwarten“, sagte Lauterbach weiter.

Kindermediziner erwarten Corona-Impfstoff für Säuglinge

Kindermediziner rechnen damit, dass es vom nächsten Jahr an Corona-Impfstoffe sogar für Säuglinge geben wird. „Wir gehen fest davon aus, dass es ab kommendem Jahr Impfstoffe für alle Altersklassen geben wird, sogar zugelassen bis hin zu Neugeborenen“, sagte der Münchner Pädiater Florian Hoffmann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Hoffmann ist Oberarzt an der Kinderklinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und gleichzeitig Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Aktuell liefen verschiedene Studien von Biontech und Moderna, zum Teil sogar mit Säuglingen, sagte Hoffmann. „Wenn die Fallzahl in den Studien hoch genug ist und es keine relevanten Nebenwirkungen gibt, spricht auch nichts gegen eine Zulassung auch für sehr junge Kinder.“ Bereits zum Ende dieses Jahres seien Impfstoffe für Kinder unter zwölf Jahren zu erwarten: „Ich rechne damit, dass wir bis Ende des Jahres, einen zugelassenen Impfstoff für Kinder unter 12 Jahren haben“, so Hoffmann. Diese Gruppe werde voraussichtlich eine reduzierte Impfstoffdosis bekommen. Die Immunantwort aber werde wegen des vitalen Immunsystems vermutlich noch besser sein als bei Erwachsenen. Hoffmann äußerte zudem die Hoffnung, dass demnächst ein weiterer Impfstoff zur Verfügung stehen könnte: Er verspreche sich viel vom Impfstoff des US-Herstellers Novavax. Das Mittel sei kein mRNA-Impfstoff, er ähnele aber als sogenannter Konjugatimpfstoff vielen herkömmlichen Kinderimpfstoffen, mit denen man bereits milliardenfache Erfahrung habe. „Noch ist der Impfstoff nicht zugelassen, aber die vor Kurzem veröffentlichten Studienergebnisse sehen sehr gut aus“, so Hoffmann. +++