Stanke: „Es ist als Versagen zu werten, den Aussagen von Betroffenen nicht hinreichend Glauben geschenkt zu haben.“

MHG-Studie: Besprechung und Aufarbeitung durch das Bistum Fulda

Domkapitular Prof. Dr. Gerhard Stanke und Domkapitular Christof Steinert. (v.l.)

Nachdem gestern im Rahmen der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda die Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ – kurz: MHG-Studie – vorgestellt wurde, lud auch das Bistum Fulda zur Besprechung und Aufarbeitung der Ergebnisse im Bistum Fulda zu einem Pressegespräch in das Bischöfliche Generalvikariat ein. Als Gesprächspartner fungierten der Ständige Vertreter des Diözesanadministrators, Domkapitular Prof. Dr. Gerhard Stanke, Personaldezernent, Domkapitular Christof Steinert sowie seit 01.06. diesen Jahres Missbrauchsbeauftragte des Bistums Fulda, Alexandra Kunkel und die Präventionsbeauftragte, Birgit Schmidt-Hahnel. Der Ständige Vertreter des Diözesanadministrators, Prof. Dr. Gerhard Stanke, bekannte es in der gestrigen Pressekonferenz als Versagen, die Aussagen von Betroffenen nicht hinreichend ernst genommen zu haben. „Wir haben gelernt, den Betroffenen zuzuhören, und ihren Aussagen Glauben zu schenken – das ist der entscheidende Punkt – und die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen, ohne auf das Ansehen der Institution Rücksicht zu nehmen.“, so Stanke.

Nach Veröffentlichung der Leitlinien zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs wurde für das Bistum Fulda eine „Missbrauchsbeauftragte“ ernannt. Sie soll den Betroffenen Ansprechpartnerin gewesen sein und sich ihnen mit großer Empathie zugewandt haben. Dies soll von Betroffenen immer wieder bestätigt worden sein. Zudem wurde ein „Arbeitsstab sexueller Missbrauch“ eingerichtet, deren Vorsitz die Missbrauchsbeauftragte innehatte und dem ein Vertreter der Bistumsleitung, ein externer Psychologe, der Justitiar des Bistums, die Präventionsbeauftragte und eine Sozialpädagogin angehören. In diesem Gremium sollen Fälle sexuellen Missbrauchs besprochen- und entsprechende Maßnahmen eingefordert worden sein. Für die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Priester und Diakone, Gemeindereferentinnen und – referenten, Pastoralreferentinnen und – referenten sowie Ehrenamtliche sollen verpflichtende Schulungen in der Prävention durchgeführt worden sein. Auch in der Priesterausbildung sollen am Anfang und vor dem Eintritt in den Pastroralkurs verpflichtende Kurse zur Prävention etabliert worden sein. Besondere Wichtigkeit habe ein veränderter Umgang mit Betroffenen, „der sie und ihre Aussagen ernst nimmt“ und ein Aufbau von Präventionsmaßnahmen. Da sexueller Missbrauch auch immer mit Machtmissbrauch verbunden sei, gelte es auch Strukturen der Machtkontrolle zu entwickeln. Hierzu Prof. Dr. Stanke: „Die Priesterweihe darf nicht zur Immunisierung gegen Kritik missbraucht werden, sondern sie ist Befähigung zu einem Dienst an den Menschen und zur Wahrnehmung von Verantwortung und nicht zur Herrschaft. Auch wissen wir, dass wir weiterhin nach Wegen suchen müssen, und in den Pfarrgemeinden und kirchlichen Einrichtungen eine Kultur der Achtsamkeit zu entwickeln.“

Die Untersuchung der Personalakten im Bistum Fulda zeige, wie mit Beschuldigten umgegangen wurde, die aktenkundig geworden waren. Dies herauszufinden, sei Auftrag der Forschungsgruppe gewesen. An Hand eines von den Forschern erstellten Fragenkatalogs nach Hinweisen auf sexuelle Übergriffe oder sexuellen Missbrauch seien die Akten in der Vergangenheit durchgeschaut worden.
Von 795 untersuchten Akten sollen 29 Beschuldigte gefunden worden sein. Darunter 19 Diözesanpriester, 1 Diakon sowie 9 Ordensleute mit Gestellungsvertrag. 8 von ihnen sollen bereits verstorben gewesen sein. Bei 4 sollen sich Hinweise auf eine pädophile Orientierung gefunden haben, bei 8 Hinweise auf eine homosexuelle Orientierung sowie bei 13 Hinweise auf psychische Auffälligkeiten. 21 sollen innerhalb der Diözese „im aktiven Dienst“ versetzt worden sein – manche auch mehrfach. Bei 3 Personen soll es Hinweise auf sexuellen Missbrauch gegeben haben. 11 sollen in andere Diözesen versetzt worden sein; Bei 3 von ihnen soll es einen Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch gegeben haben. 7 Kleriker sollen in Diözesen außerhalb Deutschlands versetzt worden sein. Bei 2 von ihnen soll ein Zusammenhang mit Missbrauch bestanden haben.

Gegen 13 sollen eine kirchenrechtliche Voruntersuchung, ein Strafverfahren oder verwaltungsrechtliche Maßnahmen ergriffen worden sein. Bei 13 soll kein kirchenrechtliches Strafverfahren eröffnet worden sein. Bei 3 gebe es keine Dokumentationen. Eine Person soll aus dem Klerikerstand entlassen worden sein, ein weiterer Kleriker soll vor seiner Entlassung bereits verstorben sein. Weitere, kirchenrechtliche Strafen, die verhängt worden sein sollen, waren gewesen: Scharfe Abmahnung, Zelebrationsverbot, Entpflichtung, Änderung des Tätigkeitsfeldes, Verpflichtung zur Therapie sowie Geldstrafe. In diesem Kontext sollen auch forensische Gutachten eingeholt worden sein. In den letzten Jahren sei jeweils eine externe, strafrechtliche Prüfung beauftragt worden. In 17 Fällen sei Anzeige bei der Strafverfolgungsbehörde erstattet worden. In den anderen Fällen sollen entweder die Betroffenen von einer Anzeige abgesehen haben oder der Beschuldigte soll bereits verstorben gewesen sein oder die Taten sollen verjährt gewesen sein oder die Handlung habe nicht den Kriterien eines Straftatbestandes entsprochen. Gegen haben soll es 2 Selbstanzeigen, 7 Anzeigen durch Missbrauchsbeauftragte sowie weitere durch andere Personen. Bei 3 Klerikern sei nicht dokumentiert, wer die Anzeige erstattet haben soll. Ein Verfahren sei derzeit noch anhängig, 9 sollen eingestellt worden sein, 6 rechtskräftig abgeschlossen. In einem Verfahren sei der Ausgang nicht dokumentiert. Hierbei sollen 3 Freiheitsstrafen verhängt worden sein, 1 Bewährungsstrafe sowie eine Geldstrafe und ein Freispruch ausgesprochen worden sein. 49 von den 75 Betroffenen sollen Jungen, 23 von ihnen Mädchen gewesen sein. Bei 3 von ihnen fehle die Geschlechtsangabe. 23 von ihnen sollen unter 13 Jahre gewesen sein, 28 über 13. Bei 24 sei keine Altersangabe dokumentiert.

Die Übergriffe sollen sich auf Ministranten ereignet haben oder es soll eine allgemeine, seelsorgerische Beziehung bestanden haben. Die Übergriffe sollen sich bei privaten Treffen, wie beispielsweise in der Wohnung des Pfarrers sowie in Ferienlagern ereignet haben. Zur Methode der Anbahnung soll sehr oft die Amtsautorität, persönliche Autorität oder persönliche Beziehung ausgenutzt worden sein. Mitunter soll auch durch Gewährung von Geschenken und Privilegien eine engere Beziehung geschaffen worden sein. Als Anerkennung des Leides sollen insgesamt 45.500 Euro gezahlt worden sein. 1.000- bis 8.000 Euro für den einzelnen Fall. 5.744 Euro habe das Bistum Fulda für Therapiekosten ausgegeben. Beständig sollen Hilfen angeboten worden sein, die nicht immer in Anspruch genommen worden seien. Nach Prof. Dr. Stanke brauche es neben der Offenheit auch Mechanismen der Kontrolle von Machtausübung. Zumal geschlossene Systeme und ein besonders Machtgefälle sexuellen Missbrauch begünstigen. „Die Auswertung der Studie durch die Forscher wird uns sicher noch weitere Handlungsempfehlungen geben. Wir sind dabei, noch weiter zu lernen.“, so der Ständige Vertreter des Diözesanadministrators, Domkapitular Prof. Dr. Gerhard Stanke, abschließend. +++ jessica auth

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