Schäuble rät bei Umgang mit AfD im Bundestag zu Gelassenheit

Wahlergebnis kein Zeichen für gescheiterten Einigungsprozess

Wolfgang Schäuble (CDU)
Wolfgang Schäuble (CDU)

Berlin. Der designierte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat beim Umgang mit der AfD im Parlament zu Gelassenheit geraten. „Jeder Abgeordnete ist dem Grundgesetz verpflichtet“, sagte Schäuble der „Bild am Sonntag“. „Außerdem wünsche ich mir mehr Selbstbewusstsein. Unser freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat ist so stark, dass ihn niemand einfach so zerstören kann. Weder von außen, noch von innen. Wenn das jemand vorhaben sollte, wird er scheitern.“

Bei der Frage, wie sich die anderen Fraktionen bei der Wahl eines Bundestags-Vizepräsidenten von der AfD verhalten sollen, sprach sich Schäuble gegen eine Extra-Behandlung aus: „Ich gebe den Fraktionen keine Empfehlung. Aber ich gehe davon aus, dass alle Parteien, die am vorletzten Sonntag gewählt wurden, die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten haben.“ Er selbst sei Parlamentarischer Geschäftsführer der Union gewesen, als die Grünen das erste Mal in den Bundestag kamen und etwas später den Anspruch erhoben, auch einen Bundestagsvizepräsidenten zu stellen. Damals habe er „mit dafür gesorgt, dass das möglich wurde“, sagte Schäuble: „Das hat nicht allen gefallen, aber es war eine richtige Entscheidung.“ Gerüchte, er selbst habe eigentlich Finanzminister bleiben wollen, wies Schäuble zurück: „Das waren alles Spekulationen. Ich habe das nicht gesagt! Im Gegenteil: Ich habe schon vor der Wahl entschieden, mich nach acht Jahren als Finanzminister und vielen Jahren mit Regierungsverantwortung einer neuen Aufgabe zu stellen.“ Die Entscheidung sei „ein längerer Prozess des Überlegens“ gewesen: „Ich bin in der Woche vor der Bundestagswahl 75 geworden. Unter den Finanzministern bin ich nicht der jüngste, sondern der am längsten amtierende.“ Der Abschied vom Finanzministerium fällt Schäuble trotzdem schwer: „Man trennt sich nicht leicht von einer wichtigen Aufgabe und auch nicht von den Menschen, die mir erlaubt haben, diese Aufgabe erfolgreich zu erfüllen. Aber so ist das Leben.“ Schäuble kündigte an, in seiner neuen Funktion einen Vorstoß zur Wahlrechtsreform zu starten: „Viele teilen die Kritik, dass der Bundestag zu groß geworden ist. Aber das Wahlrecht kann nur gemeinsam geändert werden. Das wird nicht einfach, aber es muss in der neuen Legislaturperiode einen neuen Versuch geben.“

Wahlergebnis kein Zeichen für gescheiterten Einigungsprozess

Schäuble, einer der Architekten der Deutschen Einheit, sieht im Ergebnis der Bundestagswahl kein Anzeichen für einen gescheiterten Einigungsprozess zwischen Ost und West. „Im Gegenteil“, sagte der Bundesfinanzminister der „BamS“. „Wir sind ein wohlhabendes und florierendes Land, umgeben von Freunden und Partnern! Weltweit beneiden uns Menschen darum, dass wir so leben dürfen, wie wir leben. Aber die jahrzehntelange Teilung mit unterschiedlichen Systemen hat tiefere Spuren hinterlassen, als wir 1990 geglaubt haben. Das wirkt über Generationen hinweg nach.“ Angesichts des Wahlerfolgs der AfD warnte Schäuble: „Der Rückfall in nationalistische Töne ist auf jeden Fall der falsche Weg. Wir leben nicht auf einer Insel. Die Lehre unserer Geschichte ist: Deutschland wird es nur gut gehen, wenn Europa zusammensteht.“ Persönlich verdanke er der Einheit nicht nur die Freundschaft mit Lothar de Maizière: „In meinem politischen Leben war die deutsche Einheit das größte Glück. Sie war auch eine Lektion in Demut. Es kommt oft anders, als man denkt.“

Streit um Obergrenze für „überflüssig“

Der scheidende Finanzminister sieht keine Notwendigkeit, die Obergrenze in den nächsten Koalitionsvertrag aufzunehmen: „Juristen wissen, dass überflüssige Dinge nicht extra erwähnt werden müssen“, sagte Schäuble der Zeitung weiter: „Hier wird um einen Begriff ein Scheinstreit geführt, obwohl es inhaltlich keine wirklichen Differenzen gibt.“ Die Diskussion erinnere ihn an das Stück „Wilhelm Tell“ von Friedrich Schiller, so Schäuble. In diesem lässt der Landvogt einen Hut aufstellen, den jeder grüßen muss: „Und dann kommt ein freier Geist, Wilhelm Tell, und sagt: Warum sollte ich den Hut grüßen? Wir sollten uns lieber mit den wirklichen Problemen beschäftigen“, so Schäuble. Zugleich verteidigte er die Willkommenskultur in der Flüchtlingskrise: „Auf die große Hilfsbereitschaft der Deutschen in der Flüchtlingskrise werden noch unsere Kinder stolz sein.“ Allerdings müsse natürlich die Ordnung aufrechterhalten werden: „Dazu brauchen wir vor allem Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern.“ Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck habe mit seinem Kommentar zur Flüchtlingskrise recht gehabt, als er sagte „Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt“. Schäuble äußerte sich zuversichtlich, dass eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und den Grünen zustande kommt: „Ich rate zu Gelassenheit. Es wird sich ein Weg finden.“ Jamaika liege nahe, so der CDU-Politiker, „denn wir brauchen eine stabile Regierung für unser Land“. +++

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