
Berlin. Die Mautpläne von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gehen offenbar viel weiter als bislang bekannt: Das Bundesfinanzministerium prüft derzeit eine Änderung von Artikel 90 des Grundgesetzes über Eigentum und Verwaltung von Autobahnen und Bundesstraßen, erfuhr die „Welt“ aus Regierungskreisen. Allerdings ist das Konzept noch nicht fertig. Geht es nach den Vorstellungen des Bundesfinanzministers, passt sich die Grundgesetz-Änderung in eine europäische Investitions-Offensive zur Belebung der Konjunktur ein.
In Artikel 90 ist festgelegt, dass der Bund Eigentümer der bisherigen Reichsautobahnen und Reichsstraßen ist. Die Länder wiederum verwaltern Bundesautobahnen und sonstige Fernverkehrsstraßen im Auftrag des Bundes. Mit einer Änderung des Artikels könnte den Ländern diese Zuständigkeit entzogen werden. Die Bundesregierung wäre dann in der Lage, private Investoren hinzuziehen und diese im großen Stil daran zu beteiligen. Das wäre die Grundvoraussetzung für ein groß angelegtes Mautkonzept, das weit über bisherige Beteiligungsprojekte privater Träger an öffentlichen Investments (ÖPP) hinausgeht, heißt es. Schäuble sucht offenbar eine Möglichkeit, Milliarden für die nötigen Infrastrukturinvestitionen locker zu machen, ohne dabei im großen Stil in die Bundeskasse greifen zu müssen. Denn das würde die Neuverschuldung in die Höhe treiben. Garantierten Zinsen für Privatinvestoren steht Schäuble allerdings skeptisch gegenüber. Der Finanzminister suche nach anderen Modellen, hieß es.
Im Finanzministerium sieht man die Maut nicht als ein kurzfristiges Projekt, sondern um ein eher langfristig angelegtes Konzept. Die Pläne gehen damit deutlich über das Maut-Konzept von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hinaus. Dobrindts Maut-Pläne sehen bislang vor, nur ausländische Autofahrer mit einer Maut zu belasten. Offiziell hat sich Schäuble bislang hinter Dobrindt gestellt. Allerdings hatte der Finanzminister durchblicken lassen, die Pläne des Verkehrsministers für zu bürokratisch und europafeindlich zu halten. Dobrindts Mautpläne müssten in konstruktive Bahnen gelenkt werden, heißt es in Regierungskreisen.
IW schlägt unterschiedlich hohe Maut-Tarife für Tag und Nacht vor
Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, schaltet sich mit einem neuen Vorschlag in die Maut-Debatte ein. In einem Gastbeitrag für „Bild“ forderte Hüther, die Höhe der Nutzungsgebühr für Autofahrer an Tageszeiten und Verkehrsdichte zu bemessen, um eine echte Lenkungswirkung zu erzielen. Demnach müssten die Maut-Tarife morgens deutlich höher liegen als nachts. „Autofahrer dürfen nicht pauschal belastet werden, sondern müssen nutzungsabhängig zahlen. Auf dem Kölner Ring würde man in der morgendlichen Rushhour mehr zahlen als nachts und am Vormittag“, erklärte Hüther. Die Gebühr müsse auch höher liegen auf zum Beispiel auf der wenig befahrenen Ostseeautobahn in Mecklenburg-Vorpommern. „Eine Lenkungswirkung entsteht, wenn Streckenabschnitte nach Staugefahr unterschiedlich hohe Preise hätten“, sagte Hüther dem Blatt. Für Berufstätige verlangte der IW-Direktor einen Maut-Rabatt: „Den Berufspendlern könnte man vergünstigte Abos anbieten, um sie nicht zu überlasten.“ Damit das Geld zielgenau auf den belasteten Straßen ankomme, sollte der Bund wie in Österreich eine Betreibergesellschaft gründen, die alle Mauteinnahmen erhält. „Anders als der Bund könnte diese Gesellschaft Projekte über mehrere Jahre planen, wodurch sie schneller und günstiger werden. Auch die Zusammenarbeit mit privaten Investoren ließe sich so steuern. Und: In jedem Fall wäre das Geld vor dem Finanzminister sicher“, sagte Hüther. +++ fuldainfo
Wen wunderts? Erst das Vorgaukeln einer Autobahngebühr nur für Ausländer – dann eine Gebühr auf alle Straßen – und nun (erwartungsgemäß) eine Gebühr für Alle. Dazu kommt nun noch die zu erwartende Privatisierungsorgie, nach dem der Staat mangels eines gerechten Steuersystems für Superreiche die von neoliberalen Politikern propagierte Schuldenbremse einzuhalten hat. Die Rechnungen zahlen alle Bürger; aber die schlafen noch selig.
Lieber Herr Fuchs,
Sie sprechen von einer „zu erwartenden Privatisierungsorgie“, die einer Straßenbenutzungsgebühr folgend wird. Mal abgesehen davon, dass ich hier keine daraus folgende Zwangsläufigkeit erkennen kann, werfen Sie aber dennoch einen interessanten Aspekt auf. Es geht dabei um die Frage: Was muss der Staat machen, was kann er darüber hinaus machen, was sollte er in private Hand abgeben.
Meiner Meinung nach muss die öffentliche Hand (Bund, Länder, Kommunen) eben nicht alles darbieten, was im Zusammenhang mit der so genannten allgemeinen Daseinsvorsorge steht. Da sollte wirklich eine konsequente Überprüfung vorgenommen werden, um das bestehende Dickicht auszulichten. Vieles, was heute im öffentlich genutzten Dienstleistungsbereich noch in öffentlicher Hand liegt, ist eine Folge des verlorenen Zweiten Weltkriegs. Damals war es im Zuge des Wiederaufbaus eine gute, weil richtige Entscheidung, neben den Planungen und der Errichtung auch die Führung von Einrichtungen und Betrieben in die öffentliche Hand zu legen. Das barg aber in der Folge auch die Gefahr, dass mancher politisch Verantwortlicher da schnell den Überblick und die Weitsicht für seinen eigenen Bereich verloren hat. Manche Projekte waren in den einsetzenden besseren Zeiten weniger der Vernunft und einer konkreten öffentlichen Bedarfsorientierung geschuldet, als einem zum Teil übersteigertem Prestigedenken. Die Folgen sind heute zu besichtigen: wahlweise in den steigende Benutzungsgebühren oder in Schließungen – oder beides in aufsteigender Folge, auf jeden Fall aber in den defizitären Haushalten, derentwegen andere, wirklich öffentlich zu verantwortende Maßnahmen auf der Strecke bleiben.
Letztlich rührt aus der steuer- und gebührenfinanzierte Gestaltung der öffentlichen Haushalte die steigende Last für die Bürger. Wer so was nicht in den Griff kriegt, weil ihm entweder die Einsicht oder der Mut fehlt, die richtigen Schwerpunkte zu setzen und zielführende Ansätze zu entwickeln, von dem ist die Reform des Steuersystems, die Sie ebenfalls angesprochen haben, kaum ernsthaft zu erwarten. Das liegt daran, dass vielen politisch Handelnden das Verständnis, wie auch das Gespür für die richtige politische Agenda fehlt – oder zumindest im Laufe ihrer Tätigkeit abhanden gekommen ist. Vor allem aber der Mut, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, um sich nicht unausweichlichen Entwicklungen zu verschließen. Das ist allerdings nicht nur das Problem der von Ihnen genannten „neoliberalen Politikern“, sondern von allen, gleich welcher Couleur sie sind.
Wer Privatisierungen grundsätzlich verteufelt, wird den Ansprüchen im Bereich der allgemeinen Daseinsvorsorge genauso wenig gerecht, wie diejenigen, die der öffentlichen Hand alles aus derselben nehmen wollen. Kosten und Nutzen müssen immer im Blick bleiben. Das ist verantwortliches Handeln. Doch eben nicht das einzige Kriterium. Statt nur nach der Bilanz zu schielen, sollte man dabei auch im Blick haben, was in öffentlicher Hand sein muss, um Lebensnotwendiges nicht der unregulierten Macht der Märkte zu überlassen. Aber auch solche Entscheidungen kosten Geld.
Jedes Modell, ob nun privat oder öffentlich, ist letztlich immer mit Kosten verbunden, die aufgebracht werden müssen. Entweder allgemein von den Steuer- oder Gebührenzahlern, oder von denjenigen, die etwas konkret benutzen. Die Gretchenfrage ist nur: Was ist gerechter? In welchen Bereichen ist die Solidargemeinschaft in der Verantwortung. Und wie kann man die wachsenden Begehrlichkeiten bremsen, die bei der Creation von immer neuen Steuern und Abgaben zwangsläufig entstehen – siehe die „langfristig angelegten Planungen“ des BFM zum Thema Maut.
Wer alles den Steuerzahlern aufbürden will, verkennt, dass nicht alle Steuern zahlen, somit also nicht wirklich alle für etwas aufkommen, das von der öffentlichen Hand bereitgestellt wird. Bei konkret erhobenen Nutzungsentgelten zahlen zwar auch nicht alle, aber wenigstens wirklich diejenigen, die etwas in Anspruch nehmen. Das ist aber für öffentliche Haushalte schwieriger zu kalkulieren, weil man ja nie weiß, wie viele das sein werden. Und die Fixkosten, die also nutzungsunabhängig sind, verteilen sich dann auch auf weniger Zahlerschultern.
Grundsätzlich einer stringenten neoliberalen Haltung zu folgen (Privat vor Staat), ist genauso wenig hilfreich (weil ideologisierend), wie in gut sozialistischer Tradition alles zu verstaatlichen. Abwägung und Mischung mit Augenmaß, das sind die Mittel der Wahl. Dazu aber braucht’s konkrete und umsetzbare Vorschläge. Keine Gießkannnenkritik.