Russland – Rückkehr der Angst

Berlin. Eine liberale Legende ist tot, einen Steinwurf entfernt von der russischen Machtzentrale mit Schüssen in den Rücken hingerichtet. Die Mörder hätten Boris Nemzow überall töten können, doch sie suchten sich die Kreml-Nachbarschaft aus. Sie haben vermutlich die demonstrative Wirkung der Bluttat einkalkuliert. Die Angst ist zurück. Nemzows Tod ist ein Akt der Abschreckung und ein politisches Statement: Keiner, der sich gegen Putins Staat stellt, soll sich sicher fühlen.

Es ist nur schwer vorstellbar, dass der Mordbefehl aus dem Kreml kam. Wladimir Putin wird nicht die öffentliche Beseitigung eines Oppositionellen angeordnet haben, von dem keine akute Bedrohung ausgegangen war. Doch auch wenn Russlands Präsident den Mord als eine Provokation darstellt, er trägt dennoch die politische Verantwortung dafür. Denn Putin eint sein Volk nicht durch Reformen und Wohlstand. Die relative Stabilität Russlands kann heute offenbar nur noch durch eine patriotische Mobilisierung gegen interne und äußere „Feinde“ geschaffen werden. Die gegen die liberalen „Verräter“ gerichtete Propaganda macht die Systemkritiker zu Angriffszielen der nationalistischen „Patrioten“, und das Gesetz gebietet letzteren kaum Einhalt.

Putins Macht hat die Immunkräfte der Gesellschaft zerstört, die nun das Virus des nationalistischen Hasses nicht mehr abwehren können. Der militante Hass gegen Andersdenkende zerfrisst das Land. Die dumpfe Intoleranz wird salonfähig und treibt Extremisten zu Taten an. Einige von ihnen sind durch Kampfeinsätze in der Ukraine verroht und enthemmt. Sie sehen es nun als eine ehrenwerte und legitime Aufgabe, gegen Kreml-Kritiker vorzugehen.

Diese „Feinde“ werden nicht nur isoliert und diskreditiert, sie dürfen nach der Lesart ihrer Gegner vielmehr auch physisch vernichtet werden. Wir erleben somit einen Schritt in der Entwicklung des russischen Autoritarismus auf dem Weg in eine mögliche totalitäre Schreckensherrschaft. Die Frage jetzt ist: Sind die Stimmen der Vernunft in Russland noch stark genug, um ein Abgleiten ins blutige Chaos zu stoppen, schreibt die Schwäbische Zeitung. +++ fuldainfo