Nach dem Votum des US-Repräsentantenhauses zur Freigabe eines 61 Milliarden Dollar umfassenden Pakets zur Unterstützung der Ukraine sehen die Grünen im Deutschen Bundestag nun die Europäer in der Pflicht, ihrerseits die Militärhilfen für das überfallene Land aufzustocken.
„Den Europäern ist vor Augen geführt worden, wie unsicher die amerikanische Unterstützung für die Ukraine geworden ist“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Es kann sein, dass das für sehr lange Zeit das vorerst letzte US-Hilfspaket ist – oder sogar überhaupt das letzte. Das bedeutet: Wir Europäer müssen deutlich mehr tun für die Ukraine.“ Das von den Republikanern dominierte Repräsentantenhaus in Washington hatte das Hilfspaket am Samstag nach monatelanger Auseinandersetzung mit großer Mehrheit gebilligt. Nun ist der Senat am Zug, wo die Demokraten von Präsident Joe Biden über eine Mehrheit verfügen. Der Senat könnte bereits in der neuen Woche über die Hilfen befinden, eine Zustimmung hier gilt als sicher. Auch wegen ausbleibender westlicher Hilfe waren die ukrainischen Truppen zuletzt deutlich gegenüber den russischen Invasoren in die Defensive geraten. Hofreiter sagte jetzt den Funke-Zeitungen: „Die Entscheidung des US-Repräsentantenhauses ist von allergrößter Bedeutung. Wichtig ist, dass die Lieferung der amerikanischen Waffen an die Ukraine umgehend beginnt, sobald auch der Senat zugestimmt hat.“ Noch behindere die Schlammperiode in der Ukraine die Offensiv-Operationen Russlands. „Diese Zeit muss genutzt werden, um die ukrainischen Streitkräfte zu ertüchtigen. Geschieht das nicht, sind die Menschen im Land in noch größerer Gefahr, sobald die Böden trocknen.“
Lindner nennt Freigabe der US-Hilfen für Ukraine „enorm wichtig“
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat die Freigabe weiterer Hilfen für die Ukraine durch das US-Repräsentantenhaus als überlebenswichtig für das von Russland überfallene Land begrüßt. Die Entscheidung sei „enorm wichtig“ für die Ukraine, sagte Lindner dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Die Finanzierung des Staates unter Kriegsbedingungen ist damit für dieses Jahr gesichert“, sagte er. „Es war auch immer klar, dass die europäischen Staaten – und erst recht nicht Deutschland allein – einen Ausfall der USA nicht hätten ersetzen können“, stellte Lindner klar. Auch insofern sei die Freigabe eine gute Nachricht. Deutschland leiste bereits jetzt die Hälfte der europäischen Hilfe für die Ukraine und sei damit stark gefordert. „Wir tun bereits das, was verantwortbar und möglich ist“, erklärte er und verwies auf die kürzlich zugesagte Lieferung eines dritten „Patriot“-Flugabwehrsystems. Der Finanzminister sagte, er habe gerade in Washington ein Gespräch mit dem ukrainischen Finanzminister Serhij Martschenko geführt. „Er sprach von einer großen Dankbarkeit in der Ukraine für das, was Deutschland leistet. Die Frage nach zusätzlicher Hilfe wurde dort nicht gestellt“, so der FDP-Politiker.
Masala: Ukraine-Hilfe aus USA kommt für Front „nicht rechtzeitig“
Der Militärexperte Carlo Masala begrüßt die Freigabe neuer Hilfsgelder durch das US-Repräsentantenhaus. Bis das neue Hilfspaket aber in der Ukraine zu spüren sei, könnten Monate vergehen, sagte der Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München dem „Tagesspiegel“. Am Samstag hatte das US-Repräsentantenhaus nach monatelanger Verzögerung einen neuen Gesetzesentwurf gebilligt, der rund 61 Milliarden US-Dollar (57 Milliarden Euro) für Kiew vorsieht. „Das Hilfspaket kommt insofern rechtzeitig, als dass es überhaupt kommt vor der heißen Phase der US-Wahlen, die im November stattfinden“, so Masala. „Aber es kommt natürlich nicht rechtzeitig, wenn man die Situation an der Front betrachtet.“ Es werde mindestens zwei bis drei Monate dauern, bis die in dem US-Paket enthaltenen Güter alle die Front erreichen. „Neue Munition wird glücklicherweise wohl recht schnell da sein, was wichtig ist, da dies eines der größten Probleme der Ukrainer aktuell in ihrer Verteidigung gegen Russland ist“, so der Experte. „Doch alles, was die Luftverteidigung und Raketen betrifft, wird mehrere Monate dauern.“ Dabei bräuchte sie diese ebenso dringend, „um die russische Logistik zerstören und Durchbrüche der Russen verhindern zu können“, so der Experte. +++