Rückblick auf die Arbeit im Impfzentrum – Görig: Marathonaufgabe hervorragend gemeistert

Ein bewegender Moment: „Das ist das Zeug, das uns retten wird“

Das Interesse an der Impfung hat merklich nachgelassen, auch an diesem Tag sind nur rund 100 Termine eingebucht, teilt Heidi Schmidt nach einem Blick auf den Monitor dem ärztlichen Leiter des Impfzentrums, Dr. Erich Wranze-Bielefeld, und dem organisatorischen Leiter Michael Jahnel (von rechts) mit. Foto: Sabine Galle-Schäfer

Es ist ein ernüchterndes Bild, das sich dort unten in der Hessenhalle bietet. Zwei Leute stehen an der Anmeldung, drei sitzen im Wartebereich, vor den Impfkabinen ist gerade gar niemand zu sehen. „Alles sehr überschaubar“, sagt Dr. Erich Wranze-Bielefeld, der von der Empore aus auf „sein“ Impfzentrum herunterschaut. In seinem Blick liegt Wehmut – zum einen, weil die Tage des Impfzentrums gezählt sind, zum anderen, weil auch heute wieder nur ganz wenige den Weg in die Hessenhalle finden, um sich die Schutzimpfung gegen das gefährliche Corona-Virus abzuholen. Das war einmal ganz anders. Es gab Phasen, in denen der Impfstoff denkbar knapp war. Jeder „Priorisierte“ wurde neidisch beäugt, weil er die rettende Spritze bekam. Es gab Phasen, da war richtig was los in der Halle, die Menschen saßen Schlange vor den Impfkabinen, Tag für Tag wurden mehrere Hundert Spitzen verimpft. Und es gibt seit Juli die Phase, in der die Impfbereitschaft der Menschen merklich zurückgeht, obwohl jetzt endlich ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht.

Erich Wranze-Bielefeld hat diese Phasen hautnah miterlebt. Als ärztlicher Leiter hat er mit seinem Team die größte Impfaktion in der Geschichte der Bundesrepublik im Vogelsberg umgesetzt. „Es war eine außergewöhnliche Situation und es war eine außergewöhnliche Zeit“, erinnert der Mediziner noch einmal an die vergangenen Monate. Von einer „noch nie dagewesenen Marathonaufgabe“ hatte Landrat Manfred Görig bereits am Jahresanfang gesprochen, als er die neuen Mitarbeiter im Impfzentrum begrüßt hatte. Wie Recht er damit haben sollte. Wobei: Der Ablauf im Zentrum klappte wie am Schnürchen, es waren die frustrierenden Wochen des Wartens, die an den Nerven zehrten. Erst dauerte es mehr als zwei Monate, bis überhaupt geöffnet werden durfte, dann fehlte der Impfstoff.
Noch einmal ein Blick zurück: Bereits am 10. Dezember des vergangenen Jahres ist die Hessenhalle fix und fertig hergerichtet. Doch die Türen bleiben verschlossen. Mehr als zwei Monate lang. Das Land erlaubt zunächst nur den Betrieb von sechs regionalen Zentren, alle anderen dürfen erst am 9. Februar öffnen. Das Team der Hessenhalle indes ist nicht untätig, wartet gespannt auf die erste Impfstoff-Lieferung. Ein Sprinter, kein Lastwagen, fährt am zweiten Weihnachtstag vor die Halle und bringt die ersten Dosen des begehrten Impfstoffs. „Es war lächerlich, es war so wenig“, erinnert sich Dr. Erich Wranze-Bielefeld. „Ein Karton, etwa 50 mal 50 Zentimeter groß, mehr wurde nicht ausgeladen. Und darin – umgeben von Trockeneis – ein kleines Häufchen Vakzin.“ Auf der anderen Seite: Es war auch ein beeindruckender Moment, erstmals die Glasfläschchen zu sehen. „Das ist das Zeug, das uns retten wird“, so der spontane Gedanke von Waldemar Kuhn, im Impfzentrum in der EDV tätig, in diesem Augenblick.

Einen Tag später werden die ersten Vogelsberger geimpft. Im Altenheim. Mobile Teams fahren in den folgenden Wochen in die Pflegeeinrichtungen, um die alten Menschen und die Pflegekräfte zu impfen. Gleichzeitig laufen im Impfzentrum in der Hessenhalle die ersten Sonderimpfungen – beispielsweise für ärztliches Personal und Pflegekräfte aus den Krankenhäusern oder für Mitarbeiter des Rettungsdienstes – an. Man hat Zeit, die Abläufe durchzuspielen und zu optimieren. Und so hat das lange Warten auf die Öffnung fast schon etwas Gutes an sich. Es dauert bis zum 9. Februar, dann öffnen sich die Türen der Hessenhalle. Endlich kann geimpft werden – wenn auch nur in überschaubarer Menge. Der Impfstoff fehlt. Jeden Monat wird mehr versprochen, jeden Monat gibt es Ankündigungen, dass die Zuteilung aufgestockt wird. „Im April haben wir extra noch einmal das Personal aufgestockt, um das Zentrum unter Volllast laufen zu lassen“, sagt Dr. Wranze-Bielefeld. Doch die von Berlin versprochenen Impfstoffmengen treffen einfach nicht ein. Die 1000 Impfungen, für die das Zentrum ausgelegt sein musste, werden nie erreicht. „Wir hätten im normalen Tagesablauf sogar 1200 Menschen impfen können, wenn wir die Öffnungszeit ein wenig ausgeweitet hätten, sogar 1500 an nur einem Tag…“, schildert Wranze-Bielefeld. Immerhin: Im späten Frühjahr läuft es besser, es gibt mehr Impfstoff, die Priorisierung wird peu à peu aufgehoben, im Impfzentrum ist richtig Betrieb. Der 13. Juni ist der Rekord-Tag mit insgesamt 844 Impfungen. Der Ablauf klappt hervorragend. „Ich möchte dem gesamten Team ein großes Lob aussprechen, die Marathonaufgabe wurde bestens gelöst“, zieht Landrat Manfred Görig ein positives Fazit, was ihm auch viele Besucher des Impfzentrums immer wieder bestätigt haben. „Wir hatten an den entscheidenden Positionen Mitarbeiter, auf die man sich 100prozentig verlassen konnte“, ergänzt Wranze-Bielefeld. Und: Sie sind richtig kreativ, das Impfzentrum des Vogelsberges macht hessenweit Schlagzeilen. Etwa mit der Aktion „Impfspringer“, bei der man sich online direkt einen Termin in der Hessenhalle buchen kann. Die Aktion offenbart aber auch: Das Interesse an der Impfung lässt wie überall in Deutschland mehr und mehr nach. Sind es anfangs nur wenige, die ihren Impftermin schwänzen, nimmt die Zahl stetig zu. Ende Juni/Anfang Juli ist endlich genügend Impfstoff da – aber nun fehlen die Leute! Was tun? Das Team des Impfzentrums bietet eine Reihe von Sondertermine an, die gut angenommen werden. Zuletzt gibt es Termine in der Fläche, so wird in Schotten, in Schlitz, in Lauterbach, in Grebenhain und sogar auf dem Fealler Bauernmarkt geimpft. In der Hessenhalle indes ist kaum noch etwas los. Etwa 100 Impfungen werden dort noch durchgeführt. Die Stimmung ist gedrückt, man hat den Rückbau schon fest im Blick. Bis 15. Oktober muss alles erledigt sein… +++ pm

Rückblick auf die wichtigsten Daten und Ereignisse
Es ist kurz nach 11 Uhr an diesem Montagvormittag, als der Einsatzbefehl des Landes eintrifft: Innerhalb von noch nicht einmal drei Wochen muss der Vogelsbergkreis ein Impfzentrum einrichten. Doch es soll noch mehr als zwei Monate dauern, ehe dort die erste Seniorin aus dem Vogelsberg die rettende Schutzimpfung gegen das Corona-Virus bekommt. Ein Blick zurück auf die wichtigsten Daten und Ereignisse rund um das Impfzentrum:
23. November 2020: Am Vormittag trifft der Einsatzbefehl des Landes ein, ein Impfzentrum zu errichten, in dem täglich 1000 Impfungen durchgeführt werden können. Die Zeit drängt, bis zum 11. Dezember 2020 muss das Zentrum stehen. Alle Vorbereitungen laufen sofort an, involviert sind neben der Kreisspitze und dem Verwaltungsstab auch das Gesundheitsamt und das Amt für Gefahrenabwehr. Als Standort wird die Hessenhalle in Alsfeld ausgewählt.
26. November 2020: Nach nur drei Tagen steht die Planung, sie wird von Landrat Manfred Görig in einer Pressekonferenz vorgestellt. Herzstück des Zentrums sind die insgesamt acht Impfkabinen. Daneben werden Bereiche für An- und Abmeldung geschaffen, Wartebereiche eingerichtet und natürlich Lagerräume und sterile Bereiche, in denen die Spritzen aufgezogen werden, abgetrennt.
10. Dezember 2020: Das Impfzentrum steht, noch vor der vom Land genannten Frist hat sich die Hessenhalle in ein medizinisches Zentrum verwandelt. Wenn Impfstoff da wäre, könnte das Team dort sofort loslegen, sogar die Abläufe sind bereits festgelegt.
27. Dezember 2020: Der erste Vogelsberger bekommt seine Corona-Schutzimpfung – allerdings nicht im Impfzentrum, sondern im Altenheim. Tags zuvor war der erste Impfstoff in Alsfeld eingetroffen und im Impfzentrum aufbereitet worden. Am dritten Weihnachtsfeiertag nun fahren mobile Teams in die ersten beiden Alten- und Pflegeheime im Kreis, wo sie gemeinsam mit Hausärzten die ersten Impfungen durchführen. 45 Bewohner und 41 Mitarbeiter sind es zum Auftakt.
19. Januar 2021: Der Impfstoff ist knapp, noch immer darf das Impfzentrum in der Hessenhalle nicht öffnen, lediglich sechs regionale Zentren in Hessen dürfen an den Start gehen. Der Vogelsberg wird dem regionalen Zentrum in Fulda zugeordnet. Über 80-Jährige in der Priorisierungsgruppe 1 können sich dort ihre Schutzimpfung geben lassen.
9. Februar 2021: Endlich! Das Impfzentrum öffnet die Pforten, die erste Spitze bekommt eine 91-jährige Dame aus der Gemeinde Anrifttal.
28. Juli 2021: Nachdem bereits seit Wochen über die Schließung der Impfzentren spekuliert wurde, steht es nun fest: Am 30. September wird Schluss sein, der entsprechende Einsatzbefehl des Landes liegt nun vor.
29. September: Um 15 Uhr wird die letzte Spitze verimpft werden.
30. September: Der letzte Tag im Impfzentrum in Alsfeld, das wie alle anderen in Hessen seine Pforten schließen muss.