Prekärer Aufenthaltsstatus: Wie europäische Städte Inklusion ermöglichen

Ob Gesundheit, Unterkunft oder Bildung – Migranten mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus bleibt der Zugang zu sozialen Leistungen oftmals verwehrt. Kommunale und zivilgesellschaftlich getragene soziale Einrichtungen sind mit den teils gravierenden Folgen dieser Ausgrenzung konfrontiert. Einige Städte und Gemeinden entwickeln daher Maßnahmen, um Menschen ohne Aufenthaltstitel in die soziale und gesundheitliche Versorgung einzuschließen. Die rechtlichen, politischen und praktischen Herausforderungen, die sich dabei ergeben, beleuchtet jetzt eine Publikation unter dem Titel „Lokale Antworten auf aufenthaltsrechtliche Prekarität: Zugänge zu Gesundheitsversorgung, Unterbringung und Bildung“.

Die Publikation setzt auf dem in den Jahren 2021 und 2022 durchgeführten europäischen Forschungsprojekt „Local Responses to Precarious Migrants: Frames, Strategies and Evolving Practices in Europe“ (kurz: LoReMi) auf. Finanziert wurde es im Rahmen des Horizon 2020-Programms der EU von der Joint Programming Initiative Urban Europe mit knapp 227.000 Euro. Der deutsche Projektteil wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.  Teams der Hochschule Fulda, der Technischen Universität Wien und der University of Oxford haben am Beispiel von Cardiff, Frankfurt am Main und Wien untersucht, wie Stadtverwaltungen und zivilgesellschaftliche Akteure auf Migrantinnen und Migranten ohne Aufenthaltstitel reagieren.

Mit dem Ziel, soziale Innovationen anzustoßen, analysierten sie für die Bereiche Gesundheit, Bildung und Wohnen die lokalen Strategien und Maßnahmen. Das Projekt wurde in allen drei Städten in Kooperation mit der jeweiligen Stadtverwaltung durchgeführt. Welche Ansätze entwickeln die lokalen Behörden für diese Bevölkerungsgruppe? Wie rahmen und rechtfertigen sie diese? Welche konkreten Maßnahmen setzen sie um? Und wie arbeiten kommunale und zivilgesellschaftliche Organisationen dabei zusammen? Das Buch liefert Städten und Gemeinden ausgewählte und einschlägige Good-Practice-Beispiele. Lehrenden, Forschenden und Studierenden insbesondere der Soziologie, Geographie, Politikwissenschaft und der Sozialen Arbeit bietet es eine Einführung in die Thematik.

Zwischen erwünschter und unerwünschter Migration

„Der Umgang mit Migration ist von vielen Widersprüchen geprägt“, erläutert Professor Dr. Ilker Ataç, Mitherausgeber des Buches und Professor für Politik in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Fulda. Mit dem Ziel der Abschreckung seien in den vergangenen Jahren in Europa einerseits die externen und internen Maßnahmen der Migrationskontrolle verschärft worden. Auch die lokalen Akteurinnen und Akteure würden in die Grenzarbeit einbezogen. Andererseits widerspreche diese Entwicklung den Menschenrechten sowie den Zielsetzungen lokaler administrativer und politischer Akteurinnen und Akteure. Kommunale Aufgaben, wie Wohnungslosigkeit zu verhindern und die öffentliche Gesundheit zu schützen, würden durch die Ausgrenzung eines Teils der Stadtgesellschaft von sozialen Leistungen deutlich erschwert.

„In der Praxis führen diese Widersprüche, Spannungen und Konflikte zu einem dynamischen und kaum überschaubaren Feld sozialer Inklusion und Exklusion“, sagt der Wissenschaftler, der an der Hochschule Fulda forscht und lehrt. Der Zugang zu Unterstützungsleistungen hänge davon ab, wie Fachkräfte in Verwaltungen, sozialen Einrichtungen und Beratungsstellen Ansprüche, Bedarfe und Notwendigkeiten situativ deuten. Es fehle ein einheitlicher Ansatz. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessierten sich besonders für die Frage, unter welchen Rahmenbedingungen sich Wohlfahrtsverbände und NGOs dafür engagieren, Dienstleistungen für prekäre Migrantinnen und Migranten bereitzustellen, und wie es um Finanzierung, Beauftragung, Informationsfluss, Fachwissen sowie um die Zusammenarbeit bei Problemdeutung, Leistungsdefinition und Umsetzung bestellt ist.

Evidenzbasis für kommunale Entscheidungen

Die Publikation fasst die Ergebnisse des Projekts LoReMi zusammen, liefert darüber hinaus aber auch weitere Forschungsergebnisse sowie Einblicke in die Praxis. Kommunen erhalten damit eine Evidenzbasis für die Erreichung ihrer politischen Ziele und Anregungen, wie sich die Interaktion zwischen den Akteuren aus Politik, Verwaltung und Praxis verbessern lässt. Teil eins der Publikation widmet sich dem Forschungsprojekt LoReMi. Ein einleitender Beitrag legt den Forschungsansatz dar und erklärt, wie das Aufenthaltsrecht zu Prekarisierung beitragen kann und wie dieser Zusammenhang empirisch beleuchtet wurde. Drei Fallstudien arbeiten die Besonderheiten der Städte Cardiff, Frankfurt am Main und Wien heraus. Ein Vergleich der drei Städte nimmt schließlich die variierenden Strategien in den Blick und zeigt ähnliche Muster wie auch Unterschiede und verbleibende Herausforderungen auf. Ein weiterer Beitrag fokussiert auf die aus den ambivalenten Regelungen resultierende Prekarität und die Umgangsweisen der betroffenen Personen damit.

Teil zwei erweitert die Perspektive. Hier kommen weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort, die ebenfalls zu Migrantinnen und Migranten mit prekärem Aufenthaltsstatus forschen. Damit werden die Projektergebnisse konzeptionell ergänzt und regional erweitert.  Im dritten Teil dieses Buches erhalten Akteurinnen und Akteure aus der Praxis Gelegenheit, ihre Arbeit und ihre Positionen zu präsentieren. Soziale Einrichtungen aus Frankfurt am Main, Wien und Cardiff sowie die Stadtverwaltung in Zürich gewähren an dieser Stelle Einblick in ihre Praxis. Das Buch steht als Open Access frei zum Download zur Verfügung. +++

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