Özdemir stellt Strafanzeigen wegen Hitlergruß in Chemnitz

Vorfälle in Chemnitz alarmieren Ökonomen

Grünen-Chef Cem Özdemir
Cem Özdemir (Grüne)

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir hat nach den Ausschreitungen in Chemnitz wegen des dort mehrfach gezeigten Hitlergrußes Strafanzeigen gegen Unbekannt gestellt. „Dass die selbst ernannten `besorgten Bürger` blindlings Nazis hinterherlaufen, ist schlimm genug. Aber dass in Chemnitz nun auch Hetzjagden auf Menschen gemacht und der Hitlergruß vor den Augen von Polizei und ganz offen in die Kamera gezeigt wird, das hat mich entsetzt“, sagte Özdemir der „Welt“. Für „Selbstjustiz“ gebe es keine Rechtfertigung. „Diesem Aufkeimen von `Selbstjustiz` und dieser geschichtsvergessenen Volksverhetzung muss sich die wehrhafte Demokratie entschlossen entgegenstellen und all ihre Rechtsmittel ausschöpfen. Nur so wird für jeden unmissverständlich klar, wer für die öffentliche Sicherheit zuständig ist: Der Staat, und zwar ausschließlich der Staat.“ Die Politik müsse sich jetzt einige Fragen gefallen lassen, zum Beispiel warum in der zweiten Demonstrationsnacht nicht ausreichend Beamte nach Chemnitz geschickt worden seien, sagte der frühere Grünen-Chef. Er richtete diese Frage explizit an den sächsische Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU). An Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gerichtet fragte Özdemir, warum von ihm „nur dröhnendes Schweigen“ in dieser Sache zu hören sei. „Statt Hinweise auf ein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus regelmäßig als Sachsen-Bashing abzutun, sollten der sächsische Ministerpräsident und der Heimatminister das Thema endlich ernsthaft angehen.“

Vorfälle in Chemnitz alarmieren Ökonomen

Führende Ökonomen zeigen sich alarmiert angesichts der Gewaltausbrüche in Chemnitz. Der Präsident des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte insbesondere vor den Folgen einer zunehmenden Aggression gegen Zuwanderer: „Ereignisse wie in Chemnitz werden die wirtschaftliche und soziale Polarisierung in Deutschland weiter verstärken“, sagte Fratzscher dem „Handelsblatt“. „Nicht nur Ausländer, sondern auch eine große Mehrheit der Deutschen will nicht in Städten und Regionen leben, in denen Menschen Selbstjustiz betreiben und Fremdenhass vorherrschen.“ Es sei daher „höchste Zeit“, dass die Politik in den betroffenen Regionen Farbe bekenne und sich klar für Zuwanderung, Toleranz und Vielfalt ausspreche. „Nur so kann der Teufelskreis durchbrochen werden, bei dem vor allem schwache Regionen in Ostdeutschland immer weiter abgehängt werden – wirtschaftlich, sozial und auch politisch.“ Auch der Vize-Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), Oliver Holtemöller, warnte vor den wirtschaftlichen Folgen. „Die öffentliche Ordnung ist ein wichtiger Faktor für wirtschaftlichen Wohlstand“, sagte Holtemöller dem „Handelsblatt“. Dazu gehörten „verlässliche“ rechtsstaatliche Strukturen und das Gewaltmonopol des Staates. „Die aktuellen Ereignisse in Chemnitz könnten durchaus auch die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt negativ beeinflussen“, so Holtemöller. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU), warnte hingegen vor überzogenen Schlussfolgerungen aus den Ereignissen. „Niemand sollte aus der schnellen Empörung heraus über einem ganzen Bundesland und seinen Bürgern den Stab brechen“, sagte Hirte der Zeitung. „Der Freistaat Sachsen und alle, die sich dort für Recht, Ordnung und Offenheit einsetzen, haben unsere Unterstützung verdient und nicht unsere Belehrungen.“ Gleichwohl dürfe eine Tat wie in Chemnitz nicht dazu führen, dass ein Mob versuche, den Rechtsstaat außer Kraft zu setzen.

Widmann-Mauz: Rechtsstaat muss in Chemnitz klare Haltung zeigen

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), fordert nach den Ausschreitungen von Chemnitz rasche Konsequenzen. „Der Rechtsstaat muss in jeder Richtung klare Haltung zeigen, bei der Verfolgung von schwersten Straftaten wie Tötungsdelikten ebenso wie bei der Bekämpfung von Extremismus, Rassismus und bei der Ahndung von Hitlergrüßen“, sagte Widmann-Mauz dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Gewalt hat in unserem Land keinen Platz – genauso wenig wie Hetze und Selbstjustiz.“ Widmann-Mauz forderte im Fall des in Chemnitz durch Messerstiche getöteten Mannes konsequente Aufklärung und Strafverfolgung. Diese hätten die Angehörigen verdient.

Sachsens Innenminister will Polizeimaßnahmen in Chemnitz ausweiten

Der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) will die polizeilichen Maßnahmen in Chemnitz in den nächsten Tagen und Wochen „erheblich ausweiten“. Das kündigte er am Dienstag in Dresden an. Gleichzeitig verteidigte er das Vorgehen der Polizei bei den Ausschreitungen am Montagabend. „Es war die größte Lage jemals mit einem solchen Gewaltpotenzial.“ Die Beamten hätten „einen verdammt guten Job gemacht“, sagte er. Die Gewalt vor Ort mache ihn auch persönlich betroffen. Unterdessen versprach Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), das Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen. „Wir sind entschieden, diesen Kampf zu gewinnen und wir werden ihn auch gewinnen“, sagte er am Dienstag in Dresden. Nach einer tödlichen Auseinandersetzung beim Chemnitzer Stadtfest am Wochenende hatten am Sonntag und am Montag unter anderem Hooligans und andere rechte Gruppierungen zu Demonstrationen aufgerufen. Bei den Protesten am Montagabend kam es zu schweren Ausschreitungen, wobei mehrere Menschen verletzt wurden. Gegen mehrere Personen wurden Ermittlungsverfahren wegen des Zeigens des Hitlergrußes eingeleitet. +++