
Berlin. Ökonomen in Deutschland sind uneins über die Notwendigkeit eines neuen Schuldenschnitts für Griechenland. Der Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Alexander Kritikos, hält zwar einen „echten“ Schuldenschnitt für Griechenland derzeit für „sehr unwahrscheinlich“. „Möglich sind eher Verhandlungen über eine Verlängerung der Laufzeiten und eine weitere Zinssenkung“, sagte Kritikos dem „Handelsblatt“. In der „mittleren Frist“ sei jedoch eine Umkehrung der Reihenfolge beim Schuldenschnitt denkbar, betonte Kritikos: „Nach Umsetzung der noch immer ausstehenden Strukturreformen könnte es seitens der EU die Bereitschaft zu einem gewissen Entgegenkommen geben und die Staatsschulden in gewissem Umfang erlassen werden“, sagte der DIW-Ökonom.
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, ist dagegen der Auffassung, dass ein Schuldenschnitt angesichts der niedrigen Zinsen und der 30-jährigen Laufzeit nicht notwendig ist. „Zudem wäre der langfristige Ansehensverlust für Griechenland erheblich, ein Zugang zum Kapitalmarkt wäre absehbar nicht gegeben“, sagte Hüther dem „Handelsblatt“. „Die neue Regierung wird hier auch nichts erreichen können, weil es die Solidarität der Partner ausbeuten würde.“ Eine „Vorwärtsstrategie“ läge nach der Überzeugung Hüthers „in forcierten Struktur- und Verwaltungsreformen sowie einer Bündelung und Konzentration der Investitionsmittel“. Der DIW-Ökonom Kritikos sieht den Syriza-Vorsitzenden Alexis Tsipras nun in der Pflicht, die Reformen anzupacken, die die jetzige Regierung verweigert habe zum Beispiel, indem er sich für die Öffnung geschlossener Berufe einsetze, den Markteintritt für neue Unternehmen erleichtere und den Wissenstransfer von der Forschung in neue Start-ups fördere. „Das würde den alten Eliten nicht gefallen und Herr Tsipras würde gleichzeitig auch noch etwas Gutes für sein Land tun: Den Grundstein für zukünftigen Wohlstand für eine breitere Bevölkerungsschicht legen“, sagte Kritikos.
Der Ökonom appellierte zugleich an die EU-Partner, sich darüber klar zu werden, dass Marktöffnungen allein Griechenland nur wenig weiter helfen. „Ein richtiger Wachstumsmotor kann daraus werden, wenn diese Reformen durch Investitionen in ein besser funktionierendes Innovationssystem unterstützt werden“, sagte der DIW-Experte. „Solche Investitionen fallen leider nicht vom Himmel, sie werden in einer rein marktwirtschaftlich funktionierenden Gesellschaft nicht getätigt, sondern benötigen zu einem großen Teil der staatlichen Finanzierung.“
Hessens Finanzminister Schäfer: Reformen fangen an zugreifen
Hessens Finanzminister Thomas Schäfer sprach sich am Rande der heutigen Kinderbuchvorstellung in der Surmiusschule in Fulda, über ein Regierungskonzept aus. „Jede neue Regierung müsse sich an das halten, was im Namen der Vorgängerregierung geschlossen wurde. Nur der Umstand, dass es einen neuen Ministerpräsidenten gibt, sorge nicht automatisch dafür, dass die Verträge geändert werden. Den Griechen müsse vermittelt werden, das sie in der Euro-Zone die größten Chancen haben“, so der Finanzminister. „Man sehe ja, dass die Reformen in Griechenland, langsam zu greifen begonnen haben; die Arbeitslosigkeit ist gesunken, das Wirtschaftswachstum und der Primärsaldo sind positiv. All die Anstrengungen der letzten Jahre, beginnen sich zu lohnen“, so Schäfer weiter. Das alles weg zuwerfen, und in eine chaotische Situation einer eigenen Währung zugeben, wäre aus Sicht von Schäfer unverantwortlich.
Anlegerschützer: Schuldenschnitt würde Athen nur kurzfristig helfen
Nach Auffassung der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) wird ein möglicher neuer Schuldenschnitt für Griechenland dem Land nur kurzfristig Entlastung bringen. „Um langfristig die Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen zu können, muss Griechenland unserer Einschätzung nach wohl entweder aus dem Euro ausscheiden oder wirklich ein umfangreiches Reformprogramm vollziehen“, sagte SdK-Vorstandsmitglied Daniel Bauer dem „Handelsblatt“.
„Bisher wurde wohl vor allem in der Mittel- und Unterschicht gespart, aber kein wirkliches Reformprogramm, zum Beispiel die Sicherstellung des Zugangs zu allen Märkten und eine Steuerreform, vollzogen. Hier könnte die Abwahl der bisherigen Eliten in der Politik eventuell für neuen Schwung sorgen.“ Wie Bauer weiter sagte, ist es „eher unwahrscheinlich, dass Griechenland trotz umfangreicher Hilfsprogramme vonseiten der Euro-Länder mittelfristig die Zins- und Tilgungszahlungen für die bestehenden Staatsschulden aus eigener Kraft leisten können wird“. Da die Zinsen für die bilateralen Kredite an Griechenland bereits auf nahe null gesenkt worden seien, Griechenland für einen Großteil seiner Schulden also bereits heute weniger Zinsen zahlen müsse als die Länder, von denen sich Griechenland das Geld geliehen habe, scheine ein weiteres Entgegenkommen vonseiten der Gläubiger bei den Konditionen „wenig hilfreich“ zu sein.
„Daher dürfte ein harter Schuldenschnitt nicht ausgeschlossen sein, denn wirtschaftlich gesehen dürfte die derzeitige Schuldenlast von Griechenland nicht getragen werden können“, ist Bauer überzeugt. Ein solcher Schuldenschnitt müsse jedoch dieses Mal auch die Europäische Zentralbank (EZB) treffen, betonte der Anlegerschützer. Denn die EZB sei bereits beim letzten Schuldenschnitt im Jahr 2012 durch einen Buchungstrick verschont geblieben. Es gebe zudem „keine erkennbare gesetzliche Grundlage“, nach der ausgeschlossen sei, „dass die EZB nicht wie jeder andere Gläubiger behandelt wird, sofern diese zuvor wie ein Privatmann an den Märkten Staatsanleihen gekauft hat“. +++ fuldainfo
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