Ministerpräsident Weil nennt dritte Corona-Welle „brandgefährlich“

Intensivmediziner fordern strengeren Lockdown

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat die dritte Corona-Welle als brandgefährlich bezeichnet und um Verständnis für die Rücknahme von Lockdown-Lockerungen geworben. „Die Situation ist ernst“, sagte Weil dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Die dritte Welle sei da. Die Zahl der Neuinfektionen wieder zu drücken, werde dieses Mal weit schwieriger als im Frühjahr oder Herbst, warnte er. „Die dritte Welle wird durch ansteckendere Virusmutationen getrieben und trifft auf eine Corona-müde Bevölkerung – das macht sie so brandgefährlich.“ Für weitere Öffnungsschritte sehe er aktuell keine Spielräume, sagte Weil.

„In dieser brisanten Situation stur den Öffnungsplan abzuarbeiten, wäre verantwortungslos“, sagte er. Stattdessen müssten Öffnungsschritte zurückgenommen werden, wenn die Inzidenz über 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen steige. „Niedersachsen wird die beschlossene Notbremse ziehen, und ich rate allen, das auch zu tun“, sagte Weil. Der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, warf Bund und Ländern vor, jungen Menschen nicht genügend Raum in der politischen Debatte zu geben. „Die junge Generation steht bei der Ministerpräsidentenkonferenz mal wieder nicht auf der Tagesordnung“, so Kuban. Derzeit müssen Bewerbungsunterlagen erstellt, Schuleingangsuntersuchungen gemacht oder Abschlussprüfungen geplant werden. „All das findet nicht statt“, sagte er mit Blick auf geschlossene Schulen. Gleichzeitig seien tiefgreifende und langfristige psychische Folgen absehbar. Kuan forderte: „Neben den berechtigten Interessen der Wirtschaft und dem Schutz der älteren Generation braucht die Jugend jetzt Platz in den politischen Debatten.“

Intensivmediziner fordern strengeren Lockdown

Die deutschen Intensivmediziner pochen auf einen strengeren Lockdown. „Ich erwarte von den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin, dass sie sich an diesem Montag auf bundesweit einheitliche und ganz einfache Verschärfungen einigen“, sagte der wissenschaftliche Leiter des DIVI-Intensivregisters, Christian Karagiannidis, der „Rheinischen Post“. Es sei jetzt entscheidend, dass alle Länder dieselben Maßnahmen umsetzen und diese leicht zu verstehen seien. „Diese können nur sein, dass wir zurückkehren zu einem strengeren Lockdown wie Anfang März, Schulen und Kitas bis zur tatsächlichen Verfügbarkeit ausreichender Tests wieder schließen und die Kontaktmöglichkeiten massiv beschränken. Der R-Wert steigt viel zu schnell und wird bei diesem Tempo im April bis Mai für eine Überlastung der Intensivstationen sorgen“, so der Mediziner. „In Hamburg beispielsweise steigen die Zahlen bereits wieder deutlich an. Wir brauchen den Sommer für unser aller Erholung und sollten an diesem Ziel alles ausrichten. Das ist für das Krankenhauspersonal und die Wirtschaft viel wichtiger als jetzt ein oder zwei Wochen zu gewinnen.“

Handelsverband fordert Abkehr von Fixierung auf Inzidenzzahl

Der Handelsverband Deutschland (HDE) übt im Vorfeld der Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) scharfe Kritik an der Corona-Politik der Bundesregierung. „Das bundesweite Durcheinander unterschiedlicher Corona-Maßnahmen muss ein Ende haben“, sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth der „Bild“. „Wir müssen die Inzidenzzahl hinter uns lassen und Aspekte wie die höhere Testquote und die Auslastung der Intensivbetten einbeziehen.“ Es sei Zeit für „einfache Regeln“ und „eine einheitliche und evidenzbasierte Öffnungsstrategie“. Viele Händler kämpften jeden Tag um ihre Existenz. „Ihre Zukunft von einem Regelchaos und Inzidenzzahlen abhängig zu machen, ist nicht tragbar“, so Genth. Seit einem Jahr zeige der Handel, dass Geschäfte ein sicherer Ort zum Einkaufen seien. Hygienekonzepte und Abstandsregelungen hätten sich etabliert und zeigen Wirkung. Das Ansteckungsrisiko im Einzelhandel sei gering, wie das Robert-Koc  h-Institut bestätige. „Dazu hat auch die empfohlene Kundenbegrenzung von einem Kunden pro zehn Quadratmeter beigetragen. Funktionierende Konzepte sind da, jetzt bedarf es einer neuen Öffnungsstrategie.“

Städtetag fordert einheitliche Corona-Regeln

Städtetagspräsident Burkhard Jung hat Bund und Länder vor ihrer Videokonferenz an diesem Montag zur Geschlossenheit aufgerufen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten sollten „mit einer Stimme sprechen und auch so handeln“, sagte der Leipziger SPD-Oberbürgermeister den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Das Schlimmste ist die Kakophonie nach einem solchen Gipfel, wenn jedes Bundesland seinen eigenen Weg geht – obwohl es doch eine gemeinsame Grundlinie geben sollte. Wir verlieren die Menschen, wenn wir nicht zurückkehren zu klaren Botschaften und nachvollziehbaren Entscheidungen.“ Den Einwand, dass sich die Pandemielage von Region zu Region unterscheide, wollte Jung nicht gelten lassen: „Bei allem Föderalismus und aller kommunalen Selbstverwaltung: Die Mobilität ist groß, wir sind miteinander verwoben. Daher brauchen wir möglichst einheitliche Regeln.“ Der Präsident des Deutschen Städtetages appellierte zudem  an die Regierungschefs, ihre Entscheidungen „nicht nach vermeintlichen Stimmungen in der Bevölkerung“ zu richten. „Die Politik sollte sich stützen auf die Wissenschaft, zu der nicht nur die Medizin gehört. Soziologische, psychologische und pädagogische Sichtweisen brauchen mehr Raum“, forderte Jung. +++

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