IWH-Präsident hält Coronabeschränkungen ökonomisch für vertretbar

Ärzte in Gesundheitsämtern kritisieren Infektions-Obergrenze

Der Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Reint Gropp, hält die umstrittenen Corona-Einschränkungen ökonomisch für vertretbar. „Grundsätzlich ist ein Menschenleben nicht in Euro zu bewerten. Dennoch existieren im Kontext von Sicherheitsregulierungen am Arbeitsplatz Berechnungen, die bei Schadensersatzforderungen benutzt werden“, sagte Gropp dem Focus. In Deutschland betrage der sogenannte „statistische Wert des Lebens“ rund sieben Millionen Euro, sagte er. „Nimmt man jetzt an, dass die Lebenserwartung der Menschen in Deutschland bei ungefähr 81 Jahren liegt, käme man auf rund 90.000 Euro für den Wert eines menschlichen Lebensjahres.“

Die WHO schätzt, ohne Lockdown würden in Deutschland rund 500.000 Menschen mehr an Corona sterben als mit Lockdown. Diese Aussage ist Teil von Gropps Berechnung, über die der Focus berichtet: „Nimmt man an, dass das Durchschnittsalter derjenigen, die an dem Virus sterben, rund 75 Jahre ist, ergeben sich drei Millionen Lebensjahre (500.000 x sechs Jahre), die durch die Maßnahmen gerettet worden sind. Multipliziert mit den 90.000 Euro pro Lebensjahr wären das rund 270 Milliarden Euro“, sagte er dem Magazin. Demgegenüber stünden die negativen ökonomischen Auswirkungen der Maßnahmen und die direkten Staatsausgaben, um die Wirtschaft am Leben zu erhalten, im Wert von insgesamt rund 300 Milliarden Euro. „Man kommt also zu dem Schluss, dass auch ökonomisch die Kosten und der Nutzen der Maßnahmen in einem einigermaßen vernünftigen Verhältnis stehen“, sagte der IWH-Chef.

Ärzte in Gesundheitsämtern kritisieren Infektions-Obergrenze

Der Bundesverband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) hat die von Bund und Ländern vereinbarte Corona-Infektions-Obergrenze für die Rücknahme von Lockerungen als zu viel hoch kritisiert. „Wie die Gesundheitsämter damit klar kommen sollen, ist mir ein Rätsel. Das ist nicht zu schaffen“, sagte die Verbandsvorsitzende Ute Teichert dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Die Gesundheitsämter „werden ohne dauerhafte Personalunterstützung in die Knie gehen“, warnte sie. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Mittwoch mit den Ministerpräsidenten der Länder vereinbart, dass die beschlossenen Lockerungen regional dann zurückgenommen werden sollen, wenn sich mehr als 50 Menschen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen neu mit dem Coronavirus anstecken. Auf Nachfrage begründete Merkel die Zahl 50 mit den Kapazitäten der Gesundheitsämter, Quarantänemaßnahmen zu überwachen und die Infektionsketten nachzuverfolgen. Teichert sagte dazu: „Die Zahl 50 ist eine mir nicht bekannte Zahl. Uns ist schleierhaft, wo sie herkommt.“ Sie sagte, die Gesundheitsämter hätten in den vergangenen Wochen die Arbeit nur geschafft, weil das Personal unter anderem durch Medizinstudenten und viele Freiwillige verdrei- bis vervierfacht worden sei. „Und dennoch sind alle Mitarbeiter der Gesundheitsämter in den vergangenen Wochen auf dem Zahnfleisch gekrochen“, sagte sie. Die Aushilfskräfte seien nun teilweise schon wieder weg, weil sie ins Studium oder in ihren eigentlichen Job zurückgekehrt seien.

Mittelstandsverbund fordert regelmäßige Massentests auf Covid-19

Der Mittelstandsverbund, ein Verband mit 230.000 Unternehmen aus Handel und kooperierenden Branchen, fordert regelmäßige Massentests zur Eindämmung der Corona-Pandemie. „Was bisher viel zu kurz kommt, ist das Thema Corona-Tests“, sagte Eckhard Schwarzer, Präsident des Mittelstandsverbundes, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Wir müssen die Entwicklung des Virus stärker monitoren, denn es wird voraussichtlich noch Jahre dauern, bis das passende Mittel erforscht, getestet und in nötiger Menge verfügbar ist“, so Schwarzer. So bleibe nur eine einzige politische Option, die aktuell wirklich belastbar und „mit gutem Willen“ auch realisierbar sei: „ein hochfrequentes und massenhaftes Testen“. Teste man etwa alle Mitarbeiter eines Unternehmens oder einer Einrichtung und deren Kontaktpersonen aus dem privaten und beruflichen Umfeld regelmäßig in „von Virologen als sinnvoll erachteten Intervallen“, könnten sie ohne weitere Einschränkungen ihrer Arbeit wieder nachgehen – „und zwar mit einem extrem geminderten Risiko“. So könnten „auch die ohnehin schon immensen volkswirtschaftlichen Kosten der Pandemie-Bekämpfung unter Kontrolle gebracht werden und Wirtschaftsunternehmen, Bildungs- und Kulturbetriebe wieder eine echte Perspektive bekommen und bald wieder ihren gesellschaftlichen Aufgaben gerecht werden“, sagte der Mittelstandsverbunds-Präsident. +++