Das transatlantische Verhältnis zwischen den USA und Europa ist geopolitisch weiterhin wichtig. Längst aber nicht so wie in den vergangenen Jahrzehnten. Denn der indo-pazifische Raum rückt mehr und mehr in den Fokus der Weltpolitik. Ursprüngliche Schwellenländer haben sich angeschickt, politische und wirtschaftliche „Global Player“ zu werden. Wie sehr Indien zwischen den Polen „Supermacht“, Rückständigkeit und bitterer Armut hin und her laviert, arbeitete Asien Experte Dr. Bernd Basting in seinem Vortrags „Indien im 21. Jahrhundert – zwischen Supermacht und Entwicklungsland“ mit einer Fülle an Details heraus. Auf Einladung der Katholischen Akademie des Bistums Fulda sowie der Fuldaer Sektion für Sicherheitspolitik (GSP) referierte er im Bonifatiushaus. Sein Beitrag über die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, wie Basting die Lage in Indien als einem Land „zwischen Steinzeit und 21. Jahrhundert“ umschrieb, sorgte nach gut einstündiger Analyse für eine lebhafte Diskussion mit vielen Fragen beim heimischen Publikum.
Bedeutung der USA wächst
Die beiden Gastgeber, Akademiedirektor Gunter Geiger, und GSP-Sektionsleiter Michael Schwab, sprachen von einem spannenden Themenfeld, das anknüpft an einen Vortrag Bastings im Frühjahr über die aktuelle Entwicklung im indo-pazifischen Raum. Während Geiger die hohe Expertise des Referenten lobte, die sich in seiner Vita widerspiegele, ließ Schwab anklingen, wie sehr die Bedeutung des guten Verhältnisses Indiens zu den USA weiter wachse. Auch Deutschland habe die Zeichen der Zeit erkannt und wolle im „großen Konzert der Nationen nach Kräften mitspielen.“
Indien war lange Zeit Synonym für Armut und Unterentwicklung. Heute schicke sich das Land Gandhis, das im Sommer als größte Demokratie der Welt seine neue Regierung bestellt hat, an, ein wichtiger Spieler in der internationalen Staatenwelt zu werden – allseits umworben von mächtigen Akteuren aus Ost und West. Indien habe „sogar Potential, neben den USA und China zur neuen Supermacht unserer Zeit zu avancieren.“ Für einen Teil der Milliarden-Bevölkerung stelle das Land „aber auch noch immer eines der ärmsten Entwicklungsländer auf unserem Globus dar“, betonte der Referent. 230 Millionen Inder lebten in absoluter Armut. 15 Prozent der Bevölkerung sind laut Basting unterernährt. Die Kindersterblichkeit sei nach wie vor hoch. Hoch ist nach seiner Darstellung auch die Quote der Analphabeten. Sie liegt derzeit immer noch bei 30 Prozent (350 Millionen Menschen). Dem stehen viele gut ausgebildete junge Fachkräfte gegenüber. 20 Prozent dieser Gruppe sind jedoch arbeitslos.
Globale Supermacht
In der indo-pazifischen Region, zu der auch Indien gehört, lebe inzwischen die Hälfte der Weltbevölkerung. Diese Region könne „uns deshalb nicht egal sein.“ Im Hinblick auf die Konfliktlage im indo-pazifischen Raum geht Basting davon aus„ dass sich Indien „auf die Seite des Westens schlagen“ wird. Auch wenn sich das Land im Sinne einer Äquidistanz (gleicher ideologischer Abstand) „nicht so sehr an einen Partner binden“ wolle. Vor allem China sei der Nachbar, den Indien aufmerksam und kritisch beobachte. Denn mehrfach ist der asiatische Staat von China entlang der 3.500 Kilometer langen gemeinsamen Grenze angegriffen worden. Permanente Grenzkonflikte bestehen zwischen beiden Ländern beispielsweise in der Himalaya-Region und im Nordosten. Hinzu komme, dass sich Indien zunehmend durch eine „Perlenkette“ chinesischer Marinebasen in Myanmar, Bangladesh, Sri Lanka und Pakistan eingekreist fühle. Diese Basen sind aus chinesischer Sicht jedoch von „vitalen eigenem Interesse, damit die Gewässer frei bleiben für den Warenverkehr“, auf den China so dringend angewiesen ist, um seine Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Vor diesem Hintergrund besteht nach indischer Lesart also eine Konflikt-Konstellation im indo-pazifischen Raum.
Seit 1998 zählt der inzwischen bevölkerungsreichste Staat der Welt zu den Nuklearmächten. Mit einem Militäretat in Höhe von 81 Milliarden US-Dollar in 2022 (geschätzt sogar doppelt so hoch, weil Mittel in den Etats anderer Ministerien veranschlagt werden) ist Indien nach den USA (2024: 886 Mrd.US-Dollar) und China (2024: 232 Mrd. US-Dollar) die Nummer drei in der Welt-Rangliste der Militärausgaben – noch vor Russland. Das Land verfüge über eine 1,35 Millionen Mann starke Armee, rund 3.500 Panzer, 2.000 Flugzeuge sowie nuklear bestückte U-Boote. Für die USA, aber auch für Deutschland und Frankreich sei Indien zum „wichtigen Partner“ mit zukunftsträchtigen Branchen geworden, wie IT, Pharmazie, Medizin-, Nano-, Nuklear- und Raumfahrttechnik. Gleichzeitig sei der asiatische Staat ein „Entwicklungsland, das in verschiedenen Zeitaltern existiert“ mit riesigen Slums, gewaltigen Umweltproblemen und oftmals problematischem Unternehmerverhalten. All das stehe Indien, wenn das Land eine Supermacht sein wolle, entgegen und „nicht gut zu Gesicht.“
Terrorstaat Pakistan
Doch nicht nur China stellt eine Gefahr für Indien dar. Auch Pakistan, das Basting als einen „Terrorstaat bezeichnet, in dem der islamistische Terror aufblüht.“ Mehrfach habe Pakistan seinen „Nachbarn“ angegriffen. Seit 1947 ist das Land eine islamische Republik, seit 1998 ebenfalls Atommacht. Erhebliches Geld aus China werde in die Infrastruktur des Landes investiert. Dafür erhalte die Volksrepublik U-Boot Häfen auf pakistanischem Boden und kreise so seinen Gegner Indien mehr und mehr ein. Pakistan, so Bastings Prognose, „wird sich in den nächsten zehn Jahren zu einer chinesischen Kolonie entwickeln.“
Akademiedirektor Geiger dankte für das „profunde, aber auch erschreckende Bild der Realitäten“ in Indien, wie Basting es gezeichnet habe. +++ mb
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