
Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat sich gegen ein AfD-Verbotsverfahren ausgesprochen. „Mein Bauchgefühl würde der Partei das Verbot herzlich gönnen“, sagte Gauck den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
„Aber in der Politik darf man nicht nur fühlen. Und die Ratio sagt mir, dass wir mit einem Verbotsverfahren die Wählerschaft der Partei ja nicht einfach abschaffen würden. Vielmehr würden wir noch mehr Wut und noch mehr Radikalität erzeugen – und das wäre politisch schädlich.“ Bei einem AfD-Verbot würden verunsicherte konservative Bürger den Staat als Feind erleben. „Das brauchen wir nicht“, sagte Gauck.
Zudem würde von Verfassungsrechtlern und Politikwissenschaftlern sowohl die Sinnhaftigkeit als auch ein Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht bezweifelt. „Wir sollten deshalb weniger auf staatliche Eingriffe setzen, sondern unsere eigenen Fähigkeiten, die Demokratie zu verteidigen, stärken“, mahnte der frühere Bundespräsident.
Es brauche eine aktivere Zivilgesellschaft und einen engagierten Kampf gegen Nationalpopulismus. „Die Mehrheit der Wähler der AfD sind keine Nazis, sie sind einfach demokratiefern. Darum brauchen wir Beispiele für das Gelingen der Demokratie, die wir ihnen immer wieder unter die Nase halten müssen“, sagte Gauck.
Gauck wirbt für Zuzug von Arbeitskräften
Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hält einen Zuzug von Arbeitskräften für dringend geboten, damit Deutschland als Exportnation wirtschaftlich erfolgreich sein kann. „Jedem, der sich unsere Wirtschaft anschaut, wird klar, dass dieses Land ohne den Zuzug von Arbeitskräften nicht erfolgreich sein kann“, sagte Gauck den Zeitungen der Funke-Mediengruppe weiter. „In Deutschland werden einfach zu wenig Kinder geboren, und es gibt einfach zu wenig arbeitsfähige und arbeitswillige Bio-Deutsche.“
Zugleich erklärte der ehemalige Bundespräsident aber auch, dass es ein „Gebot der politischen Vernunft“ sei, Zuwanderung zu steuern und nötigenfalls auch zu begrenzen. „Wenn die traditionellen Parteien der Mitte die durch die Zuwanderung mitgebrachten Probleme nicht deutlich besprechen und aktiv gegensteuern, entsteht ein Gefühl von Kontrollverlust.“
Der Satz der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), „Wir schaffen das“, sei eine gute Botschaft gewesen. Wenn darauf aber nicht folge, wie man es schaffe und konkrete Maßnahmen ergriffen würden, dann könne „fehlende Handlungsbereitschaft zum Verstärker einer anthropologisch angelegten Angst vor dem Fremden werden“, so Gauck.
Trotzdem lasse sich nicht rational erklären, dass ausländerfeindliche Forderungen der AfD im Osten stärker als im Westen verfangen würden. „Aber ein Teil des Wahlvolkes und auch einige politische Akteure sind mit rationalen Argumenten nicht mehr zu erreichen. Unsere humanitären Verpflichtungen und der Zusammenhalt in Europa interessieren die AfD nicht“, sagte Gauck.
Als Gründe für das Erstarken der AfD im Osten nannte Gauck „viel Frust und eine Erfahrung der Entwurzelung“, die unter aus den Erfahrungen der Nachwendezeit entstanden seien, als viele ostdeutsche Betriebe schließen mussten und die Menschen arbeitslos geworden seien. „Es gibt keine Charaktermängel der Ostdeutschen, die zu einem abweichenden Wahlverhalten führen“, so Gauck. „Vielmehr: die anderen Lebensumstände erschwerten das Erlernen von Eigenverantwortlichkeit.“ +++