EU-Kommission mahnt Türkei zur Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien

Europarat fürchtet Abdriften der Türkei in Autokratie

EU-Kommission

Brüssel. Im Fall des verhafteten „Welt“-Journalisten Deniz Yücel hat sich nun auch die Brüsseler EU-Kommission geäußert und die Türkei zur Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien aufgefordert. „Die Europäische Kommission ist sehr besorgt über die große Zahl an Verhaftungen von Journalisten in der Türkei und der selektiven Anwendung der Anti-Terror-Gesetzgebung“, sagte der zuständige EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn der „Welt“. „Der Fall von Deniz Yücel zeigt leider, wie berechtigt diese Sorgen sind.“ Hahn, der auch für die seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei verantwortlich ist, sagte weiter: „Die EU hat wiederholt betont, dass die Türkei als Kandidatenland die höchsten demokratischen und rechtsstaatlichen Standards einhalten muss, insbesondere was die Meinungs- und Medienfreiheit betrifft.“ Freie und unabhängige Medien seien „essentiell“ für eine demokratische Gesellschaft. „Die Union wird diese Position auch weiterhin auf höchster Ebene in Ankara vorbringen“, betonte der EU-Kommissar aus Österreich.

Europarat fürchtet Abdriften der Türkei in Autokratie

Der Europarat in Straßburg befürchtet ein Abdriften der Türkei in eine Autokratie. Wochenlang hat die für Verfassungsreformen zuständige Venedig-Kommission des Europarats die Lage in der Türkei unter die Lupe genommen, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“. Nun komme sie zu dem Ergebnis, dass das Land vor einem „dramatischen Rückschritt der demokratischen Ordnung“ stehe und auf dem Weg „zu einer Autokratie und einem Ein-Personen-Regime“ sei. In ihrem Resümee schreibt die Kommission laut Zeitung, es fehlten „alle nötigen `checks and balances`, die ein autoritäres System verhindern“. Die Venedig-Kommission überprüft seit Jahrzehnten im Namen des Europarats geplante Verfassungsänderungen in ihren 58 Mitgliedstaaten. In der Türkei sieht sie sowohl den geplanten Staatsumbau als auch die Umstände, in denen die neue Verfassung durchgesetzt werden soll, außerordentlich kritisch. So beklagt sie unter anderem den Abbau fast aller Kontrollmöglichkeiten, durch die das Parlament oder die Justiz Entscheidungen des Präsidenten prüfen oder auch stoppen könnten. Ohne jede Kontrolle könne der Präsident künftig Minister berufen und entlassen; er erhalte noch ausgeprägter als bisher die Möglichkeit, über Dekrete alle Macht im Lande auszuüben und könne nach eigenem Gutdünken den Ausnahmezustand verhängen. Und schließlich verliere auch die ohnehin geschwächte Justiz noch die letzten Reste ihrer Unabhängigkeit, schreibt die Kommission. Ebenso scharfe Kritik übt sie an der Tatsache, dass die Reform im Ausnahmezustand durchgesetzt werden soll. Die „tief gehenden Einschränkungen“ politischer Freiheiten schafften mitnichten den nötigen demokratischen Rahmen für das Verfassungsreferendum, heißt es in ihrer Schluss-Bewertung. Daher verlangen die Autoren, dass Ankara das Referendum bis zum Ende des Ausnahmezustands verschieben oder die Beschneidung der politischen Freiheiten aufheben müsse. Was Ankara von dem Bericht hält, kann sich schon an diesem Mittwoch zeigen, schreit die SZ. Dann wird der türkische Justizminister Bezir Bozdag im Europarat in Straßburg auftreten. Er soll sagen, an welchen Stellen Ankara bereit ist, die jetzigen Notstandsdekrete zu lockern.

Özoguz: Fall Yücel beschädigt deutsch-türkische Beziehungen

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), sieht die deutsch-türkischen Beziehungen durch den Fall des inhaftierten Journalisten Deniz Yücel nachhaltig beschädigt. „Der türkische Staat scheint nur noch mit Verboten und Inhaftierungen auf jede Form der Kritik zu reagieren. Dieses Vorgehen und der Fall Yücel schaden den deutsch-türkischen Beziehungen nachhaltig“, sagte Özoguz der „Rheinischen Post“. Die Türkei entferne sich mit dieser Politik nur noch weiter von Europa, sagte Özoguz. In der Türkei seien mehr Journalisten in Haft als in China, Iran oder vielen anderen Ländern, die keine Demokratien sind. „Nun hat es mit Deniz Yücel auch einen deutsch-türkischen Journalisten getroffen, der bekannt ist für seine unbequemen Artikel. Die türkische Justiz zeigt dabei eine Härte, die vollkommen unverhältnismäßig erscheint.“ +++

Sie können uns jederzeit Leserbriefe zukommen lassen.

Diskutieren kann man auf Twitter oder Facebook

Hier können Sie sich für den fuldainfo Newsletter anmelden. Dieser erscheint täglich und hält Sie über alles Wichtige, was passiert auf dem Laufenden. Sie können den Newsletter jederzeit wieder abbestellen. Auch ist es möglich, nur den Newsletter „Klartext mit Radtke“ zu bestellen.

Newsletter bestellen