Corona-Forscher für kurzen und harten Lockdown

SPD und FDP gegen allgemeine Impfpflicht

Angesichts neuer Corona-Höchstwerte in Deutschland fordert der Saarbrücker Pandemieforscher und Pharmakologe, Thorsten Lehr, einen baldigen bundesweiten Lockdown. „Wir brauchen einen kurzen, kollektiven Lockdown für Geimpfte und Ungeimpfte“, sagte der Wissenschaftler den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Notwendig sei eine „massive Reduktion von Kontakten, um mindestens 30 Prozent, eher um 50 Prozent“.

Der Pharmazie-Professor hob hervor: „Wenn wir Maßnahmen treffen, bei denen alle Kontakte um 50 Prozent reduziert werden und die in einer Woche starten“, dann könne man in der zweiten Dezemberwoche bereits in moderate Inzidenzbereiche kommen. Der Wissenschaftler sagte, es sei wie bei einem Auto: „Je schneller man fährt, umso länger ist der Bremsweg. Je höher die Inzidenz, umso länger dauert es, bis die Lage sich stabilisiert.“ Es sei daher wesentlich sinnvoller, jetzt „mit einer kurzen, harten Maßnahme“ die Zahlen zum Sinken zu bringen, als mittelharte Maßnahmen lange zu ziehen, wie im vergangenen Jahr. In Bezug auf einen Lockdown nur für Ungeimpfte äußerte sich der Forscher skeptisch, da man eine solche Maßnahme zum einen kaum kontrollieren könne. Zudem könnten „auch Geimpfte Überträger sein“. Eine flächendeckende 2G-Regelung, wonach nur Geimpfte und Genesene Zutritt zu bestimmten öffentlichen Angeboten haben, zeigt nach Lehrs Worten zum aktuellen Zeitpunkt keine Wirkung mehr bei der Eindämmung des Virus. „2G flächendeckend hätte gereicht, wenn wir damit vor vier oder sechs Wochen angefangen hätten. Aber jetzt wird es nicht mehr reichen“, sagte er den Funke-Zeitungen. Der Forscher sprach sich zudem für eine Impfpflicht aus. „Ich gehe davon aus, dass wir eine allgemeine Impfpflicht brauchen und bekommen werden“, sagte er. Wenn man im kommenden Sommer eine Impfpflicht einführe „und alle bis jetzt nicht-geimpften Menschen über den Sommer impft, dann kommen wir, unter den Bedingungen, die wir jetzt haben, im nächsten Herbst und Winter zurück zur Normalität“. Niemand wolle im nächsten Herbst „wieder an dieser Stelle stehen“, sagte Lehr.

Marburger Bund gegen Großveranstaltungen und volle Stadien

Im Kampf gegen die vierte Corona-Welle hält die Ärztegewerkschaft Marburger Bund die neuen Maßnahmen des geänderten Infektionsschutzgesetzes für unzureichend. Man fordere unter anderem den Verzicht auf Großveranstaltungen, etwa auf Fußballspiele in voll besetzten Stadien, sagte die Vorsitzende Susanne Johna, der „Rheinischen Post“. „Wir haben in Deutschland viel zu lange wie das Kaninchen auf die Schlange gestarrt und uns nicht bewegt, so dass jetzt kleinere Bewegungen leider nicht mehr reichen. Konkret heißt das: Die jetzt neu beschlossenen Maßnahmen werden nicht ausreichen, um die vierte Welle zu brechen, insbesondere nicht in Bundesländern wie Sachsen und Bayern mit sehr hohen Inzidenzen und Krankenhausbelegungen.“ In diesen Ländern seien weitere Schritte wie strengere Kontaktbeschränkungen unabwendbar. „Weniger Kontakte heißt weniger Infektionen“, sagte Johna. „Auch Großveranstaltungen können in der jetzigen Situation nicht mehr wie gewohnt stattfinden. Die Landesparlamente der besonders stark betroffenen Länder sollten diese Schritte nun schnell beschließen. Das hätte kurzfristig einen erheblichen Effekt und kann dabei helfen, das exponentielle Wachstum der Infektionszahlen wirklich zu brechen, nicht nur zu verlangsamen“, so die Marburger-Bund-Vorsitzende weiter. Dabei hob Johna hervor, dass die Aufrechterhaltung des Schulbetriebs eindeutig Priorität vor Großveranstaltungen haben müsse. „Den Schulbetrieb müssen wir uns trotz der akuten Infektionslage weiterhin leisten können. Anstatt Schulen erneut zu schließen, sollte die Politik lieber in andere Bereiche stärker eingreifen und Großveranstaltungen in den besonders betroffenen Regionen absagen, vor allem dann, wenn sie drinnen stattfinden.“ Auch volle Fußballstadien seien in dieser Phase kaum zu verantworten. „Die Vereine sollten von sich aus aktiv werden“, forderte Johna. Sie plädierte für die Beibehaltung von Masken im Schulunterricht, bemängelte aber „große Defizite“ bei der Ausstattung der Schulen. „Bei den Lüftungsmöglichkeiten und den sanitären Einrichtungen wären längst Verbesserungen notwendig gewesen“, sagte Johna. Damit die neu beschlossenen Maßnahmen Wirkung zeigen könnten, forderte die Gewerkschafterin strengere Kontrollen und Sanktionen. „An einer wirksamen Um- und Durchsetzung mangelt es nach wie vor am allermeisten. Hier stehen zum einen die Veranstalter in der Pflicht: Sie sind verantwortlich dafür, die geltenden Regeln auch konsequent zu kontrollieren. Zum anderen geht es um die Frage, ob man die stichprobenartigen Kontrollen im Verhältnis 1:1.000 oder 1:20 einführt. Zumindest zu Beginn der neuen Maßnahmen plädiere ich sehr für engmaschige Stichproben.“

SPD und FDP gegen allgemeine Impfpflicht

Nach der Ankündigung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht in Österreich schließen Politiker der möglichen künftigen „Ampel“-Koalition eine solche Regelung für Deutschland aus. „Die wird`s nicht geben“, sagte der geschäftsführende Bundesaußenminister Heiko Maas der „Bild“. Und weiter: „Weil wir es nicht für notwendig halten, weil wir es auch aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten für schwierig halten.“ Die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus kritisierte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der sich zuvor offen für eine Corona-Impfpflicht gezeigt hatte. „Die allgemeine Impfpflicht als Drohkulisse in den Raum zu stellen, hilft niemandem. Gerade die Länder mit dramatischen Corona-Zahlen sollten sich darauf konzentrieren, wie vereinbart die Impfangebote auszuweiten und die neuen Corona-Maßnahmen umzusetzen“, sagte Aschenberg-Dugnus der „Bild“.

NRW-Grüne: Kliniken zur Verschiebung planbarer Eingriffe anweisen

NRW-Grünen-Chefin Mona Neubaur hat das Land dazu aufgefordert, die Krankenhäuser zu entlasten. „Die Lage ist ernst, sehr ernst. Unsere Krankenhäuser stehen in einigen Regionen schon jetzt kurz vor dem Kollaps“, sagte sie der „Rheinischen Post“ (Samstagausgabe). „Meine Befürchtung ist, dass sie diesem Druck nicht mehr lange standhalten können. Längere Verlegungsfahrten in andere Krankenhäuser, die Verschiebung eigentlich notwendiger OPs und Intensivpatienten auf Normalstationen sind bereits an der Tagesordnung.“ Jeder Herzinfarkt, jeder Verkehrsunfall berge das Risiko, nicht mehr intensivmedizinisch versorgt werden zu können. „Damit werden wir alle zu potenziellen Risikopatienten.“ Neubaur forderte, die Landeregierung müsse jetzt die Kliniken umgehend anweisen, mit Ausnahme von Krebsoperationen und anderen notfallmedizinischen Maßnahmen alle planbaren Eingriffe zu verschieben. „Ministerpräsident Hendrik Wüst sollte zudem das Angebot an die noch härter getroffenen Bundesländer aussprechen, Intensivpatienten zu übernehmen. Die nationale Notlage, in der wir uns befinden, verlangt diese länderübergreifende Solidarität.“ +++

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