Biden-Sieg nach US-Präsidentschaftswahl immer wahrscheinlicher

Brüssel und Berlin fürchten geschwächten US-Wahlsieger

Nach der Präsidentschaftswahl in den USA wird ein Sieg von Herausforderer Joe Biden immer wahrscheinlicher. Zuletzt übernahm Biden auch die Führung im mitentscheidenden Bundesstaat Georgia. Zuletzt lief alles auf die Resultate in den vier noch nicht vollständig ausgezählten Bundesstaaten Georgia, Nevada, North Carolina und Pennsylvania hinaus. Trump müsste zwingend alle vier Bundesstaaten gewinnen um vier weitere Jahre an der Macht zu bleiben, führt aber nun nur noch in zwei von ihnen.

Auch in Nevada liegt Biden vorn. In einer Erklärung am Donnerstagabend (Ortszeit) hatte der US-Präsident seine Vorwürfe wiederholt und eine Klagewelle auch gegen die Stimmauszählung in anderen, von ihm bereits offensichtlich verlorenen Bundesstaaten angekündigt. In der Nacht zu Freitag (Ortszeit) legte er per Twitter nach und forderte eine Entscheidung des Supreme Court. Wenn man die „legalen Stimmen“ zähle, würde er leicht die Präsidentschaftswahl gewinnen, wenn m  an die „illegalen Stimmen“ zähle, könne die Wahl „gestohlen“ werden, sagte er wie bereits in der Wahlnacht. US-Medien, selbst manche Moderatoren im konservativen Nachrichtensender „Fox News“, kritisieren, dass Trump für seine Behauptung eines Wahlbetrugs keine Beweise vorlege. Mehrere Fernsehsender unterbrachen gar die Übertragung einer Ansprache Trumps, weil dieser falsche Behauptungen aufstelle. Da Trump jedoch beispielsweise im Bundesstaat Wisconsin aufgrund des knappen Ergebnisses juristisch Anspruch auf eine Neuauszählung der Stimmen hat, droht eine wochenlange Hängepartie.

Brüssel und Berlin fürchten geschwächten US-Wahlsieger

Das lange Kopf-an-Kopf-Rennen bei der US-Präsidentschaftswahl hat in Brüssel und Berlin die Hoffnung schwinden lassen, dass sich das transatlantische Verhältnis nach der Wahl entspannen könnte. Wenn der Demokrat Joe Biden den republikanischen Präsidenten Donald Trump beerben würde, träte er das Amt „aus einer Position ausgeprägter innenpolitischer Schwäche an“, sagte Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, dem „Spiegel“. Noch stärker als unter Barack Obama würde ein möglicherweise weiter republikanisch dominierter Senat Sand ins Getriebe einer demokratischen Präsidentschaft streuen. Aus Sicht Ischingers steht die EU nun vor außenpolitischen Herausforderungen. „Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und auf eine neue transatlantische Harmonie hoffen“, mahnt der ehemalige Botschafter. „Wir müssen uns jetzt zu einer proaktiven USA-Politik verpflichten und nicht auf die USA warten.“ Eine längere Hängepartie mit juristischen Auseinandersetzungen und Nachzählungen in verschiedenen Bundesstaaten könnte, so die Befürchtung in Berlin, den Wahlgewinner zusätzlich schwächen. „Wir haben schon im Laufe des Wahlkampfs unsere Sorgen über die Integrität des Wahlprozesses geäußert“, sagte Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, dem „Spiegel“. „Gerade an unsere engen Partner und Verbündeten haben wir die Erwartung, dass Grundprinzipien demokratischer Wahlen akzeptiert und eingehalten werden.“ Am Tag nach der Wahl herrschte in Berlin Ratlosigkeit. „Man glaubte bis zuletzt, dass Trump ein Betriebsunfall der amerikanischen Demokratie gewesen sei“, sagt ein Spitzenbeamter. Das Ausbleiben eines klaren und schnellen Biden-Siegs habe gezeigt, dass diese Hoffnung vergebens war, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer dem „Spiegel“: „Der Trumpismus wird bleiben.“ +++