Ausstellung „Maschinenraum der Götter“

In der Antike ist unsere Zukunft geboren

Kräftig Orange leuchtet der Eingangsbereich des Liebieghauses bereits von Ferne. Im eleganten Foyer entfaltet sich das tiefblaue Himmelszelt mit bewegten Sternen über den Köpfen der Besucherinnen und Besucher. Schon die Eröffnung der aktuellen Ausstellung „Maschinenraum der Götter – Wie unsere Zukunft erfunden wurde“ ist gekonnt inszeniert. Weckt Interesse.

Große Kunst im Dornröschenschloss

Was dieses Museum am Mainufer für viele so einzigartig macht? Gewiss ist es die eindrucksvolle Architektur. Mit dem mächtigen Turm, den Erkern, Säulen, Vorsprüngen und Arkaden samt kleinem verwunschenen Skulpturen-Park hat der Bau alle „Zutaten“ eines Dornröschenschlosses. Eine Traum-Villa aus der Gründerzeit eben, die sich Textilfabrikant Heinrich Baron von Liebieg zwischen 1892 – 1896 vom Münchner Star-Architekten Leonhard Romeis errichten ließ. Zweifellos ist es aber auch das feine, sichere Gespür des Museums-Teams für außergewöhnliche, herausragende Ausstellungen. Künstler wie der US-amerikanische Maler und Bildhauer Jeff Koons wissen das zu schätzen. Ebenso das Kunst begeisterte Publikum des Liebieghauses.

Koons musizierender Apoll

In der aktuellen, noch bis September 2023 dauernden Schau zeigt Koons gleichsam als Höhepunkt und Abschluss des Rundgangs seinen polychromen (mehrfarbigen) musizierenden „Apollo Kithara“ mit animierter züngelnder Python-Schlange. Warum der Künstler ausgerechnet ein Motiv der Vergangenheit für eines seiner neuestes Oeuvres ausgewählt hat? Nun: „Ich habe mich schon immer für die Vorstellung der antiken Welt interessiert. Ich liebe die Möglichkeit, auf die Kunst der Vergangenheit Bezug zu nehmen, weil sie eine Beziehung herstellt, was es wirklich bedeutet, ein Mensch zu sein“, betont der US-Amerikaner im Interview mit dem Hessischen Rundfunk.

Doch: Nicht nur der griechische Gott des Lichts und der Künste zeugt vom künstlerischen Können Koons. Auch sein filigranes, glitzerndes Windspiel. Lichtreflektionen, Schatten und Bewegung verschmelzen in diesem Werk zu einer geradezu meditativen Einheit. Insgesamt 97 bedeutende Werke aus internationalen Museumssammlungen wie dem Benaki Museum in Athen, dem Museo Archeologico Nazionale in Neapel, den Musei Capitolini in Rom oder dem New Yorker Museum of Art  sind es, die das Publikum aktuell im Liebieghaus mitnehmen auf Entdeckungsreise in eine der „aufregendsten Verbindungen in der Geschichte der Menschheit – jener zwischen Kunst und Technik.“

Antikytera Mechanismus – einer der ersten Computer

Fünf Jahrtausende mit alle ihren Epochen, Kulturen und schöpferische Ideen sollen und wollen im Liebieghaus entdeckt werden: von der geometrischen Formel auf einer eher unscheinbaren, 4.000 Jahre alten mesopotamischen Keilschrifttafel – später als „Satz des Pythagoras“ bekannt, aber lange vor den Griechen entdeckt – über den so gennannten „Atlas Farnese“, eine römische Marmorkopie einer griechischen Bronzeskulptur, die einen Himmelsglobus mit 41 Sternbildern trägt bis hin zum unglaublichen Mechanismus von Antikytera. Dieses hochkomplexe, antike astronomische Gerät aus Zahnrädern war vor 120 Jahren als oxidierter Bronzeklumpen von Schwammtauchern entdeckt worden. Mehrere Räume versuchen die dank Computertomografien gewonnenen Erkenntnisse des englischen Wissenschaftlers Tony Freeth (Gründer des Antikythera Mechanism Research Project) dem Museumspublikum nahe zu bringen. Die Präsentation sowie die „Entschlüsselung des sensationellen Mechanismus von Antikytera – eines der ersten Computer, mit dem Planetenkonstellationen berechnet wurden und die Menschen in die Zukunft blickten“, wie der Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung, Dr. Philipp Demandt formuliert, komme einer „Weltpremiere“ gleich.

Reifeprozess

Dass eine solche Ausstellung einen konzeptionellen Reifeprozess braucht, liegt auf der Hand. Erste Überlegungen von Kurator Professor Dr. Vinzenz Brinkmann, dem Leiter der Abteilung Antike und Asien des Liebieghauses, reichen fast zehn Jahre zurück. In den letzten drei Jahren ist quasi der inhaltliche „Feinschliff“ erfolgt, für dessen Erfolg nun der Publikumsansturm am Eröffnungstag steht. Nicht zuletzt das Künstlergespräch Brinkmanns mit US-Künstlerikone Jeff Koons auf Englisch hat einen tieferen Einblick in dessen Beziehung zum Lebieghaus und Frankfurt, zu seinem bereits auf der griechischen Insel Hydra gezeigten „Apollo Kithara“, letztlich aber auch in die innere Zielsetzung der Ausstellung „Maschinenraum der Götter“ ermöglicht. Denn so wie Koons als Künstler der Moderne mit seiner täuschend echt wirkenden bewegten Schlange die Natur nachahmt, sind in der gleichen Absicht schon in der Antike Automaten geschaffen worden.

Camera Obscura und mehr

Ebenso bemerkenswert an „Maschinenhaus der Götter“ ist, wie elegant Kurator Brinkmann und Jakob Salzmann (Projektleitung) die an sich schon spannenden Schau-Objekte mit den bestehenden Exponaten des Liebighauses verbinden. Eindrucksvoll wirken so Dichte und Ästhetik des Gezeigten. Gut bestückte Schrifttafeln, unterstützt durch Multimedia-Angebote und „gelbe Dreiecke“ als auffällige Wegweiser helfen den Besucherinnen und Besuchern sich gut zurechtzufinden in der schieren Fülle. Nur, was zuerst und wo, lautet mitunter die Frage, die sich die Betrachter:innen stellen. Ein Blickfang jedenfalls ist das 3-D-Modell zweier Bronzestatuen, das in enger Zusammenarbeit mit dem New Yorker Metropolitan Museum of Modern Art entstanden ist. Die beiden Kinder, die ein Rebhuhn jagen, waren vermutlich Teil eines kinematografischen Wunderrades. Wie diese Darstellung optisch gewirkt haben könnte, ist auf einem Monitor zu sehen. Dass ausgerechnet auch der mörderische römische Kaiser Nero nicht unbedingt der Technik abgeneigt gewesen war, belegen die durch das Team von Francoise Villedieu dokumentierten Ausgrabungsergebnisse an Neros Palastanlage, der „Domus Aurea“. Für damalige Zeiten geradezu sensationell war der sich dank ausgeklügelter Technik drehende Bankettsaal mit künstlichem Sternenhimmel. Die Reihe spektakulärer Modelle oder Ausstellungsstücke lässt sich mühelos fortsetzen: von der „Camera Obscura“ über die wassergetriebene astronomische Uhr des chinesischen Universalgelehrten Su Song (1020 bis 1101) bis zur Zeichnung der „Elefantenuhr“ des islamischen Ingenieurs al-Gazari. Die Qual der Wahl liegt beim Betrachter selbst.

Was aber macht die Qualität der Ausstellung „Maschinenraum der Götter“ aus? Der Reiz liegt darin, aus vielen hochspannenden „Mosaiksteinen“ nachvollziehen zu können, wie aus der antiken „Wissenschaft die Vorstellung einer zukünftigen fantastischen Technologie entwickelt wurde, in etwa so, wie wir es heute aus dem Genre der Science-Fiction kennen.“ Dabei reihen die Ausstellungsmacher wie an einem roten Band die kulturelle, wissenschaftliche Entwicklung auf, ausgehend vom vorderasiatischen und ägyptischen Raum über die Zeit der Griechen und Römer bis hin zu den bahnbrechenden Entdeckungen in Indien und China sowie der Zeit des Islams oder der Renaissance. Umfassend, abwechslungs- und erkenntnisreich.

Gerade das Wissen der europäischen Antike entstammt vor allem den Kulturen des vorderasiatischen und ägyptischen Raums. Griechen und Römer entwickelten es weiter, indem sie philosophische Gedanken einfließen ließen. Ein jäher Bruch dieser Entwicklung vollzog sich in der Spätantike, als die Naturwissenschaften aus religiösen Gründen unterdrückt wurden. Kriege und Kreuzzüge sowie der Einfluss der christlichen Kirche im westlichen Europa bedrohten das Wissen der Antike. Einen Gegenpol bildete der arabisch-islamische Kulturraum. Künstler und Wissenschaftler bewahrten die Errungenschaften der antiken Naturwissenschaften und Philosophie: sammelten, übersetzen und entwickelten sie fort.

Einheit von Kunst und Technik

Und noch etwas möchte Kurator Brinkmann mit der Schau im Liebieghaus erreichen: Den Graben wieder schließen, „um der Kunst und ihrer Geschichte gerecht zu werden.“ Denn die Bedeutung von Naturwissenschaften und Technologie für die Kunst sei den Menschen offensichtlich zu allen Zeiten bewusst gewesen. „Außer im 20. Jahrhundert“, urteilt der Wissenschaftler. Bis dahin habe sich niemand an der „Engführung von Technik und Ästhetik gestört, die in den antiken, arabischen und asiatischen Kulturräumen als selbstverständlich galten.“ Erst im 20. Jahrhundert sei diese Einheit von Kunst und Technik irrtümlich aufgespalten worden. Ein Beitrag, um dies zu korrigieren, ist nach Brinkmanns Worten die aktuelle Ausstellung, die „dafür ein Netzwerk von Künstlern und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen zusammenführt, um ihre neuesten Forschungen und Leistungen im Bereich der Wissenschaftsgeschichte vorzustellen.“

Dauer der Ausstellung „Maschinenhaus der Götter“ im Frankfurter Liebighaus: Bis 10. September 2023. Öffnungszeiten: Di., Mi. 12.00-18.00 Uhr, Do. 10.00-21.00 Uhr, Fr.-So. 10.00-18.00 Uhr. Montags geschlossen. +++ ms

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