Abstimmung mit AfD: Wissing macht CDU und FDP schwere Vorwürfe

Weil wirft Merz "Rechtsbruch" und "Tabubruch" vor

Friedrich Merz
Friedrich Merz (CDU)

Nachdem bereits die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) scharfe Kritik an CDU und FDP wegen deren gemeinsamer Mehrheitsbildung mit der AfD geäußert hat, macht auch Justiz- und Verkehrsminister Volker Wissing (parteilos) seiner ehemaligen Partei schwere Vorwürfe. „Bereits der Bruch der Ampel hat die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit unter Demokraten eingeschränkt, der gestrige Dammbruch erst recht“, schrieb Wissing in sozialen Medien. „Wer das besser findet, als Kompromisse zu schließen, hat die Mitte unserer Gesellschaft verlassen.“ Nach dem Ampel-Aus war Wissing aus der FDP ausgetreten und stattdessen Verkehrsminister geblieben. Er übernahm im Anschluss zusätzlich das Amt des Justizministers. Wissing hatte im Vorfeld öffentlich vor einem Bruch der Koalition gewarnt.

In einer seltenen Erklärung hatte am Donnerstag die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das erste gemeinsame Votum von Union und FDP mit der AfD kritisiert. Sie halte es für falsch, „sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen“, schrieb Merkel am Donnerstag auf ihrer Homepage. Die Bundeskanzlerin a. D. erinnerte zunächst daran, dass der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Kanzlerkandidat von CDU und CSU, Friedrich Merz, in seiner Rede am 13. November 2024 erklärt hatte, dass er mit SPD und Grünen vereinbaren will, „dass wir nur die Entscheidungen auf die Tagesordnung des Plenums setzen, über die wir uns zuvor mit Ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben, sodass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt“.

Dieser – nun gebrochene – Vorschlag „und die mit ihm verbundene Haltung waren Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung, die ich vollumfänglich unterstütze“, erklärte Merkel. „Für falsch halte ich es, sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen.“ Die Ex-Kanzlerin mahnte eine Rückkehr zu einem anderen Umgangston und sachlichen europarechtskonformen Vorschlägen an. Es sei „erforderlich, dass alle demokratischen Parteien gemeinsam über parteipolitische Grenzen hinweg, nicht als taktische Manöver, sondern in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts, alles tun, um so schreckliche Attentate wie zuletzt kurz vor Weihnachten in Magdeburg und vor wenigen Tagen in Aschaffenburg in Zukunft verhindern zu können“, so Merkel.

Weil wirft Merz „Rechtsbruch“ und „Tabubruch“ vor

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz nach der Abstimmung im Deutschen Bundestag über eine verschärfte Migrationspolitik scharf kritisiert. „Friedrich Merz muss sich vorwerfen lassen, einen Wortbruch, einen Rechtsbruch und einen Tabubruch begangen zu haben“, sagte Weil der Neuen Osnabrücker Zeitung und sprach von einem „schwarzen Tag für die Demokratie“. Zum ersten Mal hätten „radikale Kräfte“ eine Mehrheit im Bundestag beeinflussen können, obwohl „Friedrich Merz selbst versprochen hatte, dass es keine Entscheidung geben werde, die nur mithilfe der AfD erfolgen kann“, sagte der niedersächsische SPD-Landeschef. „Genau das aber ist gestern geschehen.“ Die Vorschläge von Merz seien „in weiten Teilen rechtswidrig“, so Weil. „Insbesondere widersprechen sie dem Recht der Europäischen Union.“ Das würden auch viele Unionsabgeordneten nicht mehr bestreiten, behauptete der Ministerpräsident. Es sei „verstörend“ gewesen, „wie nach der gestrigen Abstimmung die Mitglieder der Unionsfraktionen peinlich betreten zu Boden geblickt haben, während die der AfD gefeiert haben“, sagte Weil weiter. Merz habe der AfD „einen Triumph verschafft“ und „ein Fest bereitet“. Gestern war ein Antrag der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik im Bundestag unter anderem mit Stimmen der AfD-Fraktion angenommen worden. Im Antrag wird unter anderem die umfassende Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen gefordert.

Migrationsforscher Knaus hält Merz-Plan für „nicht umsetzbar“

Der Migrationsexperte Gerald Knaus hat vor einer Kettenreaktion in Europa gewarnt, falls weitere Staaten in Sachen Migration eine Notlage erklärten, wie es CDU-Chef Friedrich Merz für den Fall seiner Wahl zum Kanzler angekündigt hat. „Vielleicht schaffen andere Länder ihr Asylsystem daraufhin ganz ab“, sagte Knaus dem Nachrichtenmagazin „Focus“. Am Ende kämen dann noch mehr Menschen nach Deutschland, „weil es nur hier eine Möglichkeit auf Asyl gibt“. Ohne ein funktionierendes System gelte auch kein Nachbar mehr als sicherer Drittstaat, so Knaus. Der Migrationsexperte wirft den demokratischen Parteien vor, „mit dem Feuer zu spielen“. Die Ampel-Jahre seien „Rekordjahre für Asyl“ gewesen, sagte er. Keine der Parteien habe das jedoch analysiert. Zugleich sei der sogenannte Fünf-Punkte-Plan der Union „nicht umsetzbar und in Teilen politisch gefährlich“ und „weniger gut vorbereitet als ein normaler Kindergeburtstag“. Es sei verwirrend, dass die CDU im Grundsatzprogramm Europa als „Herzenssache“ bezeichne und zugleich „dauerhafte Grenzkontrollen“ fordert. „Das bedeutet Ausstieg aus Schengen. Will die Union das wirklich?“, fragte er. Zugleich sei es widersinnig, nach Afghanistan abschieben zu wollen „aber nichts über die Beziehungen zu den Taliban zu sagen“. Als Ausweg aus der Migrationskrise sieht Knaus, der auch als Ideengeber des EU-Türkei-Deals 2016 gilt, weitere Abkommen dieser Art. „Das wäre ein Weg, um irreguläre Migration zu reduzieren und die Freiheiten der EU zu erhalten.“

Gefährliches Spiel mit der Demokratie

Marie-Louise Puls, die osthessische Direktkandidatin für die Bundestagswahl 2025, kritisierte scharf das Verhalten der CDU im Bundestag. Sie warf der Partei vor, mit einem populistischen Wahlkampfmanöver direkt der AfD in die Hände gespielt zu haben. Statt seriöser Politik sei es lediglich um Schlagzeilen und Bilder zur Wählermobilisierung gegangen, wobei viele der vorgeschlagenen Maßnahmen rechtlich nicht umsetzbar seien. Besonders problematisch sei der Zeitpunkt gewesen: Während der Holocaust-Überlebende Roman Schwarzman im Plenum sprach und Margot Friedländer anwesend war, habe die CDU die politische Bühne für die extreme Rechte geöffnet. Dies sei ein geschichtsvergessener Affront gegenüber all jenen, die gegen das Vergessen kämpfen. Puls betonte, dass eine Politik, die auf Stimmen der extremen Rechten baue, die Grenzen des Erlaubten verschiebe und der AfD eine gefährliche Bühne biete. Sie erinnerte daran, dass selbst Alt-Kanzlerin Merkel sowie die großen Kirchen eine Zusammenarbeit mit der AfD strikt ablehnten, da sie für christliche Werte und demokratische Verantwortung stünden. Populismus schade letztlich der Demokratie und dem Land – und das opportunistische Vorgehen der CDU nutze einzig den Feinden der Demokratie, die diese gezielt zu zerstören versuchten. Verantwortung bedeute, rechte Erzählungen nicht zu normalisieren und kurzfristiges Kalkül hintanzustellen. +++

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