SOLWODI-Beratungsstelle in Fulda eröffnet

Fulda. Am Freitag wurde die neue SOLWODI-Beratungsstelle in Fulda offiziell eröffnet. Erstmals wird die Menschenrechts- und Hilfsorganisation damit auch in Hessen vertreten sein. Thematisch konzentriert sich die neue Beratungsstelle auf Ehrverbrechen und Zwangsheirat. Aber die Fachberatung steht auch anderen, von Gewalt betroffenen Personen mit Migrationshintergrund zur Verfügung. Auf den Weg gebracht wurde das Projekt von einem Bündnis lokaler und regionaler Akteure, der Stadt und dem Landkreis Fulda sowie den Landkreisen Vogelsberg und Hersfeld-Rotenburg.

Dr. Lea Ackermann, die Leiterin und Gründerin von SOLWODI
Dr. Lea Ackermann, Leiterin und Gründerin von SOLWODI

Zu Beginn der Eröffnungsfeier hatte Dr. Heiko Wingenfeld, der erste Kreisbeigeordnete des Landkreises Fulda, die geladenen Gäste begrüßt. Im weiteren Verlauf hat Schwester Dr. Lea Ackermann, die Leiterin und Gründerin von SOLWODI, die Gesamtorganisation vorstellen. Zudem wird die Leiterin des zunächst auf drei Jahre angelegten Pilotprojekts, Kerstin Krüger, einen kurzen Einblick in ihre Arbeit geben und zur Besichtigung der Räumlichkeiten einladen. Für Abwechslung sorgte ein kleines Rahmenprogramm mit Lesung und Musikvideo.

Schwester Dr. Lea Ackermann ist froh über den neuen Standort in Fulda. Besonders schätzt sie das außergewöhnliche Engagement der Bündnispartner vor Ort – denn gerade in Bezug auf die speziellen Schwerpunkte, Ehrverbrechen und Zwangsheirat, sieht sie großen Handlungsbedarf. „Der Begriff, Ehre‘, wie er manchen Kulturen zu Grunde liegt, wird leider auch in Deutschland als Machtinstrument missbraucht. Im Namen der sogenannten Familienehre werden Frauen unterdrückt. Ehre – das heißt für Frauen vor allem: alles wird sexualisiert. Schon ein einziger falscher Blick genügt, um die Ehre zu beschmutzen. Weigert sich die junge Frau oder das noch minderjährige Mädchen, den von ihren Eltern ausgewählten Mann zu heiraten, ist die Ehre beschmutzt. Gleiches gilt für eine Frau, die sich scheiden lassen will: Sie beschmutzt die Ehre – auch dann, wenn sie in der Ehe massive Gewalt und Misshandlung erlebt.“ Grundsätzlich ist am Verlust der Ehre also immer die Frau „schuld“ – sogar bei einer Vergewaltigung. Im Verständnis dieser Kulturen ist es Aufgabe des Mannes, wieder Ehre und Ordnung herzustellen. Dafür darf er auch Gewalt einsetzen. Im schlimmsten Fall ist selbst ein Mord gerechtfertigt.

Dr. Heiko Wingenfeld
Dr. Heiko Wingenfeld

Ein Ehrenmord in der eigenen Nachbarschaft? Für Anwohner ist das ein kaum zu fassender Schock. Doch meist hat dieser plötzliche Ausbruch von Gewalt eine lange Vorgeschichte. Eine Vorgeschichte, die sich unbemerkt, im Verborgenen abspielt. Schon früh werden Mädchen aus stark patriarchal geprägten Kulturen unterdrückt und kontrolliert. Fügen sie sich dem Willen der Familie nicht, werden sie gedemütigt und unter Druck gesetzt. So wie zum Beispiel die junge Frau aus Pakistan, die sich vor einigen Jahren hilfesuchend an SOLWODI wandte. Nach ihrer Berufsausbildung in Deutschland sollte sie zur Zwangsverheiratung nach Pakistan geschickt werden. Dabei hatte sie Kindheit und Jugend in Deutschland verbracht, fühlte sich hier heimisch und westlichen Werten verbunden. Sie wehrte sich offen gegen das Vorhaben ihrer Familie und wurde dafür mehrfach von Bruder und Vater zusammengeschlagen.

Mehr Gäste als zunächst erwartet ...
Mehr Gäste als zunächst erwartet …

Wie schwer es ist, aus dieser Gewaltspirale auszubrechen, weiß Renate Hofmann aus langjähriger Erfahrung. Die Leiterin der SOLWODI-Beratungsstelle in Bad Kissingen hat das Projekt in Fulda mit geplant. „Frauen und Mädchen, die zwangsverheiratet werden sollen, stecken in einem unerträglichen Dilemma. Viele, die bei SOLWODI Hilfe suchen, glauben, dass sie nur zwei Möglichkeiten haben: ,Entweder ich nehme mir das Leben oder ich muss mich dem Willen meiner Familie beugen.‘ Wir zeigen ihnen, dass es noch ganz andere, echte Alternativen gibt.“ Damit dies gelinge, sei ein umfassendes Hilfsangebot mit langfristiger Begleitung durch eine Vertrauensperson notwendig. Schließlich müssten die Frauen und Mädchen oft erst lernen, was Eigenständigkeit bedeutet. „Eigene Entscheidungen treffen, eine Wohnung mieten, rechtliche Fragen klären, einen Beruf erlernen oder einen Arbeitsplatz finden – all das kann man nicht einfach von heute auf morgen.“, erklärt Hofmann. In erster Linie braucht die Neuorientierung offenbar Zeit – Zeit, die manchmal nicht mehr da ist. Menschen, die akut bedroht werden, müssen mitunter von jetzt auf gleich in eine sichere Unterkunft gebracht werden. In solchen Fällen kann SOLWODI auf ein bundesweites Netzwerk mit insgesamt sieben Schutzwohnungen und siebzehn Fachberatungsstellen zurückgreifen.

Seyedeh Seddigheh Fatemi
Lesung durch: Seyedeh Seddigheh Fatemi

Die junge Deutsch-Pakistanerin hatte übrigens Glück im Unglück. Eine besondere Rolle spielte dabei ihr hilfsbereiter Arbeitgeber. Der Chef vermittelte ihr nicht nur den Kontakt zu SOLWODI, sondern unterstützte auch die Vorbereitung ihrer Flucht aus der Familie. Am Tag nach ihrer Abschlussprüfung konnte sie dann mit Hilfe von SOLWODI in eine andere Stadt umziehen und dort ein neues Leben beginnen. Obwohl es für sie damals ein harter Schritt war, den Kontakt zur Familie abzubrechen, ist sie heute froh darüber: „Endlich kann ich leben wie jede normale deutsche Frau, kann Freunde haben und – was für mich das Schönste ist: Verreisen. Auf der Welt gibt es so viel mehr zu erleben, als nur die Angst vor einer erzwungenen Zukunft in Pakistan.“ +++ fuldainfo