„Zustrombegrenzungsgesetz“ findet keine Mehrheit im Bundestag

Entscheidung war zuerwarten

Das sogenannte „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union hat am Freitag im Bundestag keine Mehrheit erhalten. In namentlicher Abstimmung votierten in zweiter Lesung 338 Abgeordnete für den Gesetzentwurf der Union, 350 Abgeordnete stimmten dagegen, fünf enthielten sich. Das Abstimmungsverhalten der einzelnen Abgeordneten wird später vom Bundestag veröffentlicht.

Vor der Abstimmung hatte es eine hitzige Debatte gegeben, weil die Unionsspitze offensichtlich in Kauf genommen hatte, mit Stimmen der AfD einen Gesetzentwurf durchzubringen.

Nachdem die FDP-Fraktion eine Verschiebung der Abstimmung vorgeschlagen hatte, war von der Unionsfraktion eine Unterbrechung der Sitzung beantragt worden und es wurde über Stunden hinter verschlossenen Türen verhandelt. Die FDP unterbreitete eigenen Angaben zufolge den Regierungsfraktionen von SPD und Grünen den Vorschlag, gemeinsam sowohl dem Gesetzesentwurf der Union als auch den Entwürfen von SPD und Grünen zur Begrenzung der Migration zustimmen zu können. Das sei nicht angenommen worden.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kritisierte in der Debatte das Vorgehen von CDU-Chef Friedrich Merz. „Immerzu, Herr Kollege Merz, wollen Sie mit dem Kopf durch die Wand. Aber ich sage es klar: Das Prinzip friss oder stirb muss für immer vorüber sein“, so Mützenich. Die Weimarer Republik sei einerseits an der mangelnden Geschlossenheit der Demokraten auch gescheitert, „aber Weimar ist auch deshalb gescheitert, weil das Obrigkeitsdenken nie ganz verschwunden war. Und ich sage es mit aller Deutlichkeit: Unterordnung widerspricht einer Demokratie, die sich aus pluralistischen Teilen zusammensetzt.“

Mützenich warnte davor, dass die AfD bei der Verabschiedung des Gesetzes entscheidend sein könnte, wie bereits bei der Verabschiedung eines Antrags am Mittwoch. „Der Sündenfall wird Sie für immer begleiten.“ Aber das „Tor zur Hölle“ könne man noch gemeinsam schließen. „Sie müssen die Brandmauer wieder hochziehen“, sagte der SPD-Politiker.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz widersprach der Darstellung Mützenichs: Die Vorwürfe einer Zusammenarbeit mit der AfD bezeichnete er als „konstruiert“. Von seiner Partei aus reiche niemand der AfD die Hand. „Diese Partei ist eine im großen Teilen rechtsextreme Partei. Diese Partei untergräbt das Fundament unserer Demokratie“, so Merz.

Schon allein die mehrstündige Unterbrechung der Sitzung habe Zweifel daran aufkommen lassen, ob „wir überhaupt noch in der politischen Mitte unseres Parlamentes entscheidungsfähig sind“, so Merz. „Sind wir uns einig darin, dass der Zustrom von Asylbewerbern in die Bundesrepublik Deutschland begrenzt werden muss? Ja oder nein?“ Um die Achtung der Mehrheit der Bürger in Deutschland zurückzugewinnen, müsse man sich als entscheidungsfähig erweisen.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warf der Union vor, in den vergangenen Monaten die Verhandlungen zum Thema Migration verlassen zu haben, und verwies auf die geplante Reform des europäischen Asylsystems. Man habe darin beispielsweise Flughafenverfahren und Screening-Maßnahmen im Inland verankert. „Dann haben wir sogar gesagt, wir können sowas machen wie ‚Dublinzentren‘ und dann sind Sie aufgestanden und sind einfach gegangen“, so Baerbock. Die Union wies die Darstellung zurück.

Der AfD-Politiker Bernd Baumann kritisierte die Union für ihre bisherige Ablehnung von AfD-Anträgen und legte CDU und CSU Todesfälle durch Menschen mit Migrationsgeschichte zu Last. „Das sind die Toten ihrer Brandmauer“, sagte Baumann. „Dauerhafte und glaubhafte Erlösung“ verspreche nur die AfD, fügte er hinzu.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, die Mutter des getöteten marokkanisch-stämmigen Jungen aus Aschaffenburg habe gebeten, den Tod ihres Sohnes nicht politisch zu instrumentalisieren. Gegen die dauerhafte Aussetzung des Familiennachzugs führte sie den Schutz der betroffenen Kinder ins Feld. Weiter verwies sie darauf, dass in den letzten Tagen mehrere Holocaust-Überlebende angekündigt hatten, ihre Bundesverdienstkreuze zurückzugeben – aus Protest gegen die gemeinsamen Mehrheiten von Union, FDP und AfD. „Das macht mich tief betroffen“, sagte Faeser.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr warf SPD und Grünen eine Verweigerungshaltung vor. Seine Fraktion habe in der Runde der Fraktionsvorsitzenden angeboten, den Gesetzentwürfen der SPD zuzustimmen, wenn im Gegenzug dem „Zustrombegrenzungsgesetz“ zugestimmt werde. „Mehr Angebot kann man nicht machen“, sagte Dürr.

Linken-Gruppenchefin Heidi Reichinnek forderte Merz zum Rücktritt von seiner Position als Kanzlerkandidat auf. „Erklären Sie mir doch bitte, wie Sie für Sicherheit Sorgen wollen, indem Sie den Familiennachzug aussetzen, indem Sie Frauen und Kinder zwingen, in Kriegs- und Krisengebieten zu bleiben. Warum bestrafen Sie die, die unseren Schutz brauchen“, sagte die Linken-Politikerin. „Ist das christlich?“

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht nannte die Debatte „hysterisch“ und sprach von „Wahlkampfhilfe“ für die AfD. SPD und Grüne warf sie vor, dass deren Politik maßgeblich für das Erstarken der AfD verantwortlich sei.

Das sogenannte „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union sieht unter anderem Einschränkungen für subsidiär Schutzberechtigte vor. Damit sind Personen gemeint, denen in ihrem Herkunftsland die Todesstrafe oder Folter droht, oder für die eine ernsthafte individuelle Bedrohung durch bewaffnete Konflikte besteht, die dennoch keinen vollen Asylstatus in Deutschland erhalten. Sie sollen nach den Plänen der Union kein automatisches Recht mehr darauf haben, dass Familienangehörige nach Deutschland nachkommen.

Das Vorhaben ist umstritten: Zwar hatte bereits die Koalition aus Union und SPD den Familiennachzug pausiert. Der Europäische Gerichtshof hatte jedoch in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass minderjährige Flüchtlinge ein Recht auf Familiennachzug haben.

Außerdem soll nach den Plänen der Union künftig die Bundespolizei Haft und Abschiebegewahrsam bei „vollziehbar ausreisepflichtigen Drittstaatsangehörigen ohne Duldung sowie solchen mit einer Duldung wegen fehlender Reisedokumente“ beantragen können. Das soll in „ihrem örtlichen Zuständigkeitsbereich“ gelten, also etwa an Bahnhöfen.

Das Aufenthaltsgesetz, das die Bedingungen für die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern enthält, soll nach den Unionsplänen künftig als „ausdrückliche übergeordnete Vorgabe“ das „Ziel der Begrenzung der Zuwanderungssteuerung“ haben.

Union und FDP stehen bereits in der Kritik, nachdem sie am Mittwoch in einer gemeinsamen Mehrheit mit der AfD einen Entschließungsantrag zur Begrenzung von Migration verabschiedet haben. Nach Polizeiangaben protestierten am Donnerstag bundesweit über 80.000 Menschen. Für das Wochenende sind rund 150 weitere Demonstrationen geplant. Ex-Bundeskanzlerin Merkel schaltete sich am Donnerstag ein, um Merz an seine „staatspolitische Verantwortung“ zu erinnern, die er im November 2024 mit seinem Vorschlag zum Ausdruck gebracht habe, zu verhindern, dass „nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD“ zustande kommt.

Merz: Zwölf Abweichler in Unions-Fraktion

Laut Aussagen des Fraktionschefs Friedrich Merz gab es in den Reihen der Union ein Dutzend Abweichler bei der Abstimmung über das sogenannte „Zustrombegrenzungsgesetz“. „Es hat aus der CDU/CSU-Fraktion insgesamt zwölf Kolleginnen und Kollegen gegeben, die unserem Antrag nicht gefolgt sind“, sagte er am Freitag nach der Abstimmung im Bundestag. Das „respektiere“ er „selbstverständlich“, fügte er hinzu. Er sei trotzdem „dankbar, dass die Fraktion den Weg mitgegangen“ sei. Wenige Tage in der Geschichte des Bundestags seien „so spannend und so ereignisreich“ wie der Freitag gewesen, so der CDU-Chef weiter. Der Parlamentarismus sei der „Sieger der Woche“, sagte Merz. Das sogenannte „Zustrombegrenzungsgesetz“ hatte zuvor am Freitagnachmittag nach langer Debatte in zweiter Lesung keine Mehrheit erhalten. 338 Abgeordnete enthielten sich, 350 stimmten dagegen bei fünf Enthaltungen. An dem Vorhaben gab es scharfe Kritik, weil die Union es mit Stimmen der AfD beschließen wollte. Zudem verstoßen die Pläne laut Kritikern gegen das Grundgesetz sowie Europarecht. +++

Kommentar dazu

Anstatt von Anfang an auf Gespräche zu setzen, hat Friedrich Merz mit seiner ‚Entweder-oder‘-Strategie Grüne und SPD in eine Konfrontation gedrängt. Diese Taktik hat nicht nur die Regierungsparteien vor eine starre Wahl gestellt, sondern auch das Ansehen der CDU geschwächt. Eine offenere und kompromissbereitere Herangehensweise hätte die Verhandlungen erleichtert und politischen Schaden vermieden.

Jetzt bietet sich jedoch eine neue Chance. Anstatt alte Fehler zu wiederholen, sollte die CDU den Dialog aktiv suchen und konstruktive Lösungen anbieten. Eine sachliche, lösungsorientierte Politik könnte verlorenes Vertrauen zurückgewinnen und die Partei als verantwortungsbewusste Kraft positionieren. Entscheidend wird sein, ob Merz aus der Vergangenheit lernt und diesmal eine klügere Strategie wählt. norbert hettler

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