Zum Tod von Gudrun Pausewang – Ein Nachruf von Silvia Hillenbrand

„Was ich Dir noch sagen wollte…“

Dieser Buchtitel von Gudrun Pausewang fiel mir spontan ein, als mich fuldainfo.de fragte, ob ich einen Nachruf für Gudrun Pausewang schreiben würde. Ja, ich hätte ihr noch vieles zu sagen; auch viele Fragen habe ich immer noch. Doch nun ist es zu spät, Gudrun Pausewang ist nun auch nicht mehr für mich erreichbar. „Ja, ich werde diesen Nachruf schreiben“, sagte ich mir. Allerdings – und diese Freiheit nehme ich mir – ohne die bekannten, gerade jetzt nach ihrem Tod umfänglich in Erinnerung gerufenen schriftstellerischen und gesellschaftspolitischen Verdienste aufzuzeichnen. Ich möchte einen persönlichen Nachruf schreiben für eine Frau, die ich sehr verehrt habe und mit der ich ganz viele Erlebnisse teilen durfte.

Silvia Hillenbrand mit Gudrun Pausewang

Ich versuche mich zu erinnern: ab wann durfte ich mich als ihre Freundin bezeichnen, oder darf ich es überhaupt? Vielleicht ab dem Zeitpunkt, als sie mir das „Du“ angeboten hatte? Meine erste Begegnung war 1995 bei einer Lesung, die die Telekom bei ihrem Sommerfest in Fulda mit Gudrun Pausewang machte. Ich war damals die hiesige Landtagsabgeordnete der SPD und wurde hierzu als ehemalige Postbeamtin eingeladen. Sie las überwiegend heitere Texte. Schon dort wurde mir klar, Gudrun Pausewang ist eine Autorin, die mitten aus dem Leben schreibt. Sie konnte überhaupt sehr humorvoll sein, ja sie konnte auch Witze erzählen. Vor allem konnte sie herzlich lachen. Die zweite persönliche Begegnung war 2008. Ich konnte sie als Bürgermeisterin von Großenlüder ins Stiftskapitularische Amtshaus zur Lesung einladen. Sie las aus ihrem berühmten Buch „Die Wolke“. Als ich Sie verabschiedete, lud sie mich nach Schlitz auf ihren Balkon ein mit den Worten: „Kommen Sie abends, da können wir den Fledermäusen zusehen“. Dieser Besuch sollte der Beginn einer Freundschaft mit regem Austausch über vielfältige gesellschaftspolitische Themen werden. Wenn man atemlos die 52 Stufen zu ihrem Haus erklommen hatte, wurde man immer strahlend empfangen und beim Wegfahren stand Gudrun Pausewang immer lange winkend auf dem Balkon. Und zuvor bekam man meist ein selbst gekochtes Essen und den Obstsalat, der einfache wunderbar war.

Eines meiner Lieblingsbücher von ihr wurde die Rosinkawiese – Triologie, damals und heute, die sie mir nach meinem ersten Besuch bei ihr auf dem Balkon mit einer persönlichen Widmung schenkte. Dieser autobiographische Bericht ihrer Vergangenheit, beginnend in Ostböhmen mit den damaligen politischen Veränderungen in Ost und West, ist in meinen Augen die Grundlage für einen interessierten Leser, Gudrun in ihrer Vergangenheit und in ihrer persönlichen Entwicklung zu verstehen. Gudrun Pausewang war eine sehr disziplinierte Frau. Ihr Jahr war streng in Arbeits- und Lesereisen-Zeiten eingeteilt. In einem Brief an mich erwähnte sie einmal, dass sie von Zeiten träumt, in denen sie aufstehen kann, wann sie möchte, nicht schon um 6.00 Uhr. Sie erhielt immer umfangreiche Post und nach ihrer Aussage beantwortete sie jeden Brief und setzte sich mit dem Inhalt auseinander, egal ob er kritisch war oder bewundernd. Natürlich freute sie sich über viel Zustimmung und Auszeichnungen. So schrieb sie mir nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes im Jahre 1999 „Dass mein Land mein Lebenswerk in dieser Art ehrt, hat mich gerührt“.

Sie konnte aber auch ziemlich sauer werden, wenn man nur von der Kinder- und Jugendbuchautorin Pausewang sprach und ihre Literatur für Erwachsene nicht erwähnte. Neben allen ihren bekannten Büchern (etwa 100 an der Zahl) sei hier das Buch „Etwas lässt sich doch bewegen“ erwähnt, welches die im Vogelsberg geführte Diskussion zum Truppenübungsplatz am Eisenberg darstellt. Gudrun Pausewang, friedensbewegt, eine ausgesprochene Kriegsgegnerin, sagte mir einmal in den Zeiten des Golfkrieges: „Wetten, dass Goethe diesen Wahnsinn verböte“. Zweimal durfte ich Gudrun Pausewang vertreten. In 2009 sollte sie das neue Buch von Prof. Dr. Joseph Dehler, mit dem Gudrun Pausewang ebenfalls eng verbunden war, in der Hochschule vorstellen. Es war mir eine Ehre, dass ich ihren Part übernehmen durfte. Ein anderes Mal, es war zum Ostermarsch 2014 in Fulda, durfte ich ein Grußwort von ihr übernehmen. Immer begleiteten uns Gespräche davor und danach. Für mich ganz persönlich sind die Tage unvergesslich, als Gudrun Pausewang die unzähligen Briefe, die mein Vater nach dem Krieg durch Trennung an meine Mutter erst nach Dresden und dann nach Großenlüder geschrieben hatte, in meinen Laptop diktierte. Dadurch, dass sie in Sütterlinschrift geschrieben waren, waren sie für mich nur schwer lesbar. Oft und lange haben wir über diese Nachkriegszeit diskutiert. Viele Fragen, die ich meinem früh verstorbenen Vater nicht mehr stellen konnte, hat Gudrun mit mir „aufgearbeitet“.

Als Gudrun Pausewang 2015 in die Nähe ihres Sohnes gezogen war, wurden meine Besuche zwangsweise weniger. Aber der Kontakt riss nie ab. Wenn Gudrun ein Artikel in irgendeiner Zeitschrift oder Buch besonders bewegte, dann konnte es sein, dass sie ihn akribisch abschrieb und schickte. Wenn wir über ihr Alter diskutierten, kam oft der Satz: „Ich will bleiben, um meine Neugierde zu stillen. Ich will wissen, wie es mit der Menschheit weiter geht.“ Über mein schlechtes Gewissen, wenn ich wieder einen Besuch bei ihr nicht geschafft hatte, konnte sie auch schreiben: „Wenn Du keine Zeit hast, herzukommen, dann bleibe dort. Das ist wichtiger, was Du in Fulda machst“.

„Was ich Dir noch sagen wollte…“
Dass Du mich oft in Deiner Sichtweise mitgenommen hast: Danke dafür!
Dass Du mir Vertrauen in vielen Gesprächen geschenkt hast: Danke dafür!
Dass ich Deine Freundin sein durfte: Danke dafür!

„Was ich Dich noch fragen wollte…“
Was würde die Umweltaktivistin Gudrun der Umweltaktivistin Greta sagen?
Welches Buch hättest Du am liebsten noch geschrieben?

Ich werde es nicht mehr erfahren. Aber ich werde Gudrun Pausewang als großartige Frau, als Mahnerin und mutiges Vorbild in Erinnerung behalten. +++

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