Zivilschutzanlagen in der Stadt nicht mehr als solche nutzbar

OB Wingenfeld: Zivilschutz, zivile Verteidigung und Verteidigungsfähigkeit sind elementare Bausteine unserer Sicherheit

Oberbürgermeister Dr. Wingenfeld

Eine Anfrage der CDU-Stadtverordnetenfraktion zum Thema Zivilschutz in Fulda war in der Stadtverordnetenversammlung ein Thema, das eine umfassende Antwort von Oberbürgermeister Dr. Wingenfeld zur Folge hatte. Der schreckliche Krieg in der Ukraine und die so drastischen Umbrüche in der internationalen Sicherheitsstruktur müssen auch in Deutschland, im Land Hessen und ganz konkret hier bei uns vor Ort zu einer Neuausrichtung unserer Prioritäten führen. Seit den Jahren 1989/1990 haben wir uns mit Blick auf die innere und äußere Sicherheit in einer glücklichen und komfortablen Situation gesehen. Leider war dies, wie nun offenkundig wird, ein Irrglaube. In vielen Bereichen müssen wir nun im Sinne einer Bestandsaufnahme festhalten, dass Strukturen des Zivilschutzes und der zivilen Verteidigung, die bis 1989/1990, als Selbstverständlichkeit erschienen, in den vergangenen 30 Jahren abgebaut wurden. Das gilt für Deutschland, aber auch für die Situation vor Ort.

Mit Blick auf Schutzräume ist zunächst einmal festzuhalten, dass sämtliche bis 1990 gebauten Zivilschutzanlagen in der Stadt nicht mehr als solche nutzbar sind. Die zwischen 1970 und 1972 gebaute Zivilschutzanlage in den Kellerräumen der Feuerwache bot Platz für rund 200 Personen. Die Räumlichkeiten werden mittlerweile anderweitig genutzt. Die unterhalb des Universitätsplatzes seit 1964 befindliche Schutzanlage bot Raum für rund 100 Menschen. Sie wurde mittlerweile abgerissen. Auch die Tiefgarage der Arbeitsagentur bot rund 550 Schutzplätze. All diese ehemaligen Schutzräume stehen heute nicht mehr zur Verfügung. Auch eine Ertüchtigung noch vorhandener Räumlichkeiten ist aufgrund der notwendigen technischen Ausstattung nicht ohne Weiteres leistbar. In zahlreichen privaten Haushalten gibt es auch in Fulda Luftschutzkeller, deren Einrichtung bis 1996 auch vom Bund gefördert wurde. Ob es zielführend ist, für Bund, Land und Kommunen darüber nachzudenken, neue öffentliche Schutzräume zu schaffen, muss im Rahmen einer umfassenden Debatte auf Bundes- und Landesebene geklärt werden. Kommunale Alleingänge in Osthessen scheinen hier nicht sinnvoll.

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass selbst in den 60er und 70er Jahren auf dem Gebiet der Stadt Fulda weniger als 1000 Plätze in den Schutzräumen zur Verfügung standen. Damals hatte die Stadt Fulda um die 55.000 Einwohner. Heute sind es knapp 70.000. Um eine gesellschaftliche Akzeptanz für öffentliche Schutzräume zu erreichen, müsste es grundsätzlich das Ziel sein, nach Schweizer Vorbild für alle Bürgerinnen und Bürger einen Platz bieten zu können. Dies wäre ein Kraftakt, der keinesfalls von einer Stadt allein gestemmt werden könnte. Somit tritt die Schaffung von Schutzräumen bei realistischer Betrachtung in der rein kommunalen Prioritätensetzung zurück. Auf Bundesebene wird im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) derzeit an einem neuen Konzept gearbeitet, wie effektiver baulicher Bevölkerungsschutz aussehen kann. Klar ist dabei laut dem Präsidenten des BBK, dass dies „viel Zeit und Geld kosten wird“. Eine zeitlich in und in der Sache prioritäre Aufgabe ist aus Sicht des Magistrats der Schutz der „Kritischen Infrastruktur“ (KRITIS). Nach dem Bundesministerium des Innern wird dieser Begriff wie folgt definiert: „Kritische Infrastrukturen sind Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden“.

Als Handlungsfelder beim Schutz der Kritischen Infrastruktur sind hier zunächst einmal zu nennen: Die Trinkwasserversorgung und Löschwasserinfrastruktur und die Stromversorgung und Kommunikationstechnik. So gut wie alle Bereiche des täglichen Lebens sind abhängig von Strom. Deshalb ist es die uneingeschränkte und jederzeitige Verfügbarkeit elektrischer Energie eine der grundlegenden Voraussetzungen für das Funktionieren unserer Gesellschaft. Auch Behörden und andere wichtige öffentliche Einrichtungen sind bei ihrer Tätigkeit auf eine verlässliche Stromversorgung angewiesen. Insbesondere für den Einsatz von moderner Informations- und Kommunikationstechnologie ist Elektrizität unverzichtbar. Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport schreibt in einer Rahmenempfehlung aus dem Jahr 2013, dass „trotz hoher Sicherheitsstandards bei den Energieerzeugern und den Betreibern der Versorgungsnetze in Deutschland technische Defekte, menschliches Versagen, kriminelles Handeln, Naturkatastrophen oder auch in Ausnahmefällen Überlastungen zu großflächigen und länger andauernden Stromausfällen führen können“. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass längerfristige Versorgungsunterbrechungen oder gar ein gezielter Angriff auf die Infrastruktur in den vergangenen Jahren bei der Bewertung der Risikoszenarien überhaupt nicht im Blick standen. Hier wird nun ein Umdenken erforderlich sein! Gleichwohl ergeben sich aus den bislang schon geltenden Rahmenempfehlungen der Landesregierung eine Reihe von konkreten präventiven Aufgaben für die Kommunen. Beispielhaft seien hier die Aufgaben zur Identifizierung der Kritischen Infrastruktur und die Erstellung einer Prioritätenliste für die Versorgung genannt. Explizit wird den Trägern der Feuerwehren empfohlen, die Feuerwehrhäuser im Gemeindegebiet als Notrufmeldestellen einzurichten, um die Meldungskette für den möglicherweise gestörten Betrieb des Notrufs 112 (Feuerwehr, Notarzt und Rettungsdienst) zur Zentralen Leitstelle aufrecht zu erhalten. Des Weiteren sollen die Feuerwehrgerätehäuser über Notstromversorgung oder Fremdeinspeisungsmöglichkeiten verfügen.

Neben den konkreten präventiven Aufgaben zur Sicherung der kritischen Infrastruktur, der Sicherung der Trink- und Löschwasserversorgung sowie zur Sicherung der Stromversorgung und Kommunikationstechnik wird es darauf ankommen, eine integrierte Gefahrenabwehrplanung zu entwickeln, die im Vergleich zu den vergangenen drei Jahrzehnten deutlich mehr Bestrebungen für mehr Bevölkerungsschutz beinhaltet. In einem Konzept des Bundesamts für Bevölkerungs- und Katastrophenhilfe heißt es hierzu: „Der Bevölkerungsschutz umfasst alle nicht-polizeilichen und nicht-militärischen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und ihrer Lebensgrundlagen vor Katastrophen und Unglücksfällen. Bevölkerungsschutz bedeutet damit insbesondere die Vermeidung, Begrenzung und Bewältigung von Gefahren, wie sie z.B. durch Waldbrände, Hochwasser, Terroranschläge oder auch aktuell durch die Corona-Pandemie drohen sowie der Schutz vor den Gefahren und Folgen von Kriegen und bewaffneten Konflikten. Es handelt sich dabei um Aufgaben aller Verwaltungsebenen: der Katastrophenschutz liegt in der Zuständigkeit der Länder und Landkreise, der Brandschutz in der Zuständigkeit der Kommunen und der Zivilschutz in der Zuständigkeit des Bundes. Im Zusammenwirken mit den überwiegend ehrenamtlichen Kräften der Feuerwehren, des THW und der Hilfsorganisationen existiert in Deutschland, nach Einschätzung des Bundesministeriums des Innern und des BBK, ein umfassendes Hilfssystem. Die Neuausrichtung des Bevölkerungsschutzes fokussiert nach der Strategie des BBK auf folgenden Kernelementen: Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz, Gemeinsames Kompetenzzentrum, Bevölkerungsschutz, Evaluation von Krisenlagen, Warnung der Bevölkerung, Trinkwassernotversorgung, Stärkung des Ehrenamts, Gewinnung von Spontanhelfern und Verbesserung des Selbstschutzes.

Die Ausgestaltung dieser Strategie soll in enger Kooperation mit den Partnern in den Bundes- und Landesressorts, den Landkreisen, den Kommunen, Feuerwehren und Hilfsorganisationen sowie weiteren Partnern des Bevölkerungsschutzes erfolgen. Akteure sind in diesem Zusammenhang vor allem der Bund, das Land Hessen und der Landkreis Fulda. Es macht naturgemäß keinen Sinn, Zivilschutz und zivile Verteidigung nur innerhalb der Stadt zu denken. Zivilschutz kann nicht an den Grenzen zwischen Fulda, Petersberg und Künzell enden! Gleichwohl sind wir als hessische Sonderstatusstadt und kreisangehörige Kommune insbesondere mit unserer Feuerwehr als Akteur bei der Neuausrichtung des Bevölkerungsschutzes konkret gefordert. Konkret wurden auf städtischer Ebene in den vergangenen Wochen folgende Maßnahmen ergriffen: Einrichtung eines ständigen städtischen Krisenstabs, Personeller Aufwuchs im Bereich der Feuerwehr im Aufgabenbereich Zivilschutz, Ermittlung von IST-Daten bezüglich des Zivilschutzes und Priorisierung von Maßnahmen im Bereich des Zivilschutzes. Im Zuge dieser aktuell noch laufenden Bestandsaufnahme wurde aus fachlicher Sicht für die Stadt Fulda bereits folgende Prioritätenliste empfohlen: Aufbau von Strukturen und Angeboten zur Förderung der Selbsthilfe der Bevölkerung: Zunächst einmal kann jeder einzelne einen Beitrag zu der Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit in Krisenzeiten leisten. Hierzu gibt es umfangreiche Empfehlungen des BBK. So wird z.B. empfohlen, in jedem Haushalt auf Nahrungsmittelreserven und einen Vorrat von Trinkwasser zu achten. Klar ist jedoch auch, dass „Hamsterkäufe“ weder notwendig noch sinnvoll sind. Von einer Bevorratung von Jod-Reserven wird vom BBK ausdrücklich abgeraten, da hier der Staat in der Pflicht gesehen und eine Selbstmedikation als gefährlich betrachtet wird.

Auf kommunaler Ebene können wir durch eine intensivere Informationsstrategie dazu beitragen, die fachlichen Empfehlungen des BBK für die Bürgerinnen und Bürger gut verständlich zu vermitteln. Diese Art der Information stellt sicher eine Daueraufgabe dar, die nun eine neue Notwendigkeit entfaltet. Auch die von der Stadt Fulda seit Jahren etablierten Aktivitäten zur Brandschutzerziehung in Kindergärten und Schulen sind fortzuführen und zu stärken. Infrastrukturelle Vorbereitung der städtischen Gefahrenabwehr auf einen länger anhaltenden Strom- bzw. Versorgungsausfall nach einer Prioritätenliste. Erarbeitung eines Konzepts zur Verteilung von Jodtabletten. Weiterentwicklung des Konzepts zur Warnung und Information der Bevölkerung. Etablierung eines gemeinsamen Arbeitskreises mit Betreibern von Kritischer Infrastruktur zur Abstimmung von Notfallmaßnahmen als integriertes Risikomanagement. Planung weiterer Betreuungsstellen im Stadtgebiet, verteilt nach Himmelsrichtungen. Eine Betreuungsstelle ist dabei eine ortsfeste Einrichtung eines Betreuungsdienstes. Sie unterstützt hilfsbedürftige Personen mit Versorgungsgütern, betreut diesen Personenkreis und wirkt bei vorübergehender Unterbringung mit. Aufstellung eines Konzepts zur Trinkwassernotversorgung. Aufbau eines umfassenden kommunalen Krisenmanagements im Zuge der Überarbeitung des bestehenden Gefahrenabwehrplans vor dem Hintergrund der aktuellen Bedrohungsszenarien. Etablierung neuer themenspezifischer Arbeitskreise. Beispielhaft nennen möchte ich hier die Etablierung eines Arbeitskreises zum Schutz von Kulturgut. Konkret stellt sich hier z.B. die Frage, welche der zahlreichen Kulturgüter in der Stadt prioritär, wo und auf welche Weise geschützt werden können.

„Die Vielfalt der beschriebenen Handlungsfelder verdeutlicht die Dimension der kommunalen Aufgaben, die in Anbetracht der weltpolitischen Entwicklung in einem neuen Lichte zu betrachten sind“, so Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld. Dieser Bericht im Rahmen der Stadtverordnetenversammlung kann nur einen ersten Orientierungsrahmen bieten. Wir werden in den städtischen Gremien sicherlich kontinuierlich gefordert sein, diese Themenfelder eng zu begleiten. Die Aufgabenbeschreibung bestätigt sicherlich nochmals auf eindrückliche Weise, wie wichtig es ist, über eine gut ausgestattete und eine personell gut aufgestellte Feuerwehr zu verfügen. Der Feuerwehr der Stadt Fulda kommt in zahlreichen Fragen eine zentrale Rolle zu. Vor dem Hintergrund der Forderung des BBK, mehr ehrenamtliche und hauptamtliche Kräfte für den Bereich des Zivilschutzes und für die Sicherheit im Allgemeinen zu gewinnen, möchte ich auch noch einmal bekräftigen, wie wichtig für uns als städtische Gremien eine Kultur der Wertschätzung für unsere Feuerwehr, die Hilfsorganisationen und die Bundeswehr ist. Hier geht es letztlich auch um eine Frage der Haltung. Wir als Stadt können und sollten einen konkreten Beitrag dazu leisten, anzuerkennen, dass alle, die sich für unsere Sicherheit einsetzen, sich für unsere Freiheit einsetzen. So will ich an dieser Stelle auch ausdrücklich die Wertschätzung unserer Sicherheitskräfte, konkret der Bundeswehr, als kommunales Handlungsfeld benennen. Ein Beispiel ist unsere traditionsreiche Patenschaft für das Minenjagdboot Fulda, das Bekenntnis zu einer starken Präsenz der Bundeswehr bei Anlässen wie z.B. dem Hessentag, die Ermöglichung der Präsentation der Bundeswehr auf öffentlichen Flächen oder auch die Wertschätzung für die Arbeit der Reservistenverbände. Wir auf der örtlichen Ebene sind vielfach gefordert, in Worten und Taten deutlich zu machen, dass Zivilschutz, zivile Verteidigung, Verteidigungsfähigkeit elementare Bausteine unserer Sicherheit sind. Und wir müssen uns in Anbetracht des schrecklichen Kriegs in der Ukraine wieder stärker bewusstmachen, dass Freiheit Sicherheit voraussetzt. Hierzu können wir in der Stadt Fulda einen Beitrag leisten. Die scheinbar bequemen Jahre sind vorbei, so Wingenfeld zum Schluss seiner Antwort. +++