Umweltministerin: Planet schwebt „in Lebensgefahr“

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat besorgt auf den jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) reagiert. Der Bericht sende ein klares, eindeutiges Signal: „Der Planet schwebt in Lebensgefahr“, sagte die SPD-Politikerin am Montag in Berlin. Man könne aber noch gegensteuern. Die Klimaschutzmaßnahmen müssten sich dabei weiter am 1,5-Grad-Ziel orientieren, auch wenn man dieser Marke schon sehr nahe gekommen sei. „Jedes Gramm CO2, jedes Zehntelgrad zählt“, so Schulze.

Man müsse die Emissionen dabei weltweit schnell senken. Der Umweltministerin zufolge löst der IPCC-Bericht „jeden Zweifel am menschengemachten Klimawandel auf“. Es sei der „klarste, eindeutigste Beweis“ dafür. „Der Bericht bestätigt eindrücklich den Zusammenhang von menschengemachtem Klimawandel und Wetterextremen“, fügte die Ministerin hinzu. Sollten die globalen Temperaturen weiter steigen, müsse man davon ausgehen, dass die Zahl der Wetterextreme weiter zunehme – „nicht nur in weit entfernten Ländern, sondern eben auch bei uns in Mitteleuropa“. Das IPCC hatte den ersten Teil des sechsten Sachstandsberichts am Montagvormittag vorgestellt. Die Institution soll für politische Entscheidungsträger den Stand der wissenschaftlichen Forschung zum Klimawandel zusammenzufassen, dabei aber keine Handlungsempfehlungen geben. Der komplette sechste Sachstandsbericht soll im Februar 2022 veröffentlicht werden. Es ist der Nachfolger des fünften Berichts von 2013/2014.

Walter-Borjans nennt IPCC-Bericht „Weckruf“
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans wertet den IPCC-Bericht als Warnsignal auch für jeden einzelnen Bürger. „Der Bericht des Weltklimarats ist ein weiterer Weckruf, und er ist in einer Zeit von Feuersbrünsten und Flutkatastrophen klarer als je zuvor“, sagte der SPD-Vorsitzende der „Welt“ (Dienstagsausgabe). Der Klimawandel sei menschengemacht, und seine Folgen seien schon jetzt zumindest für sehr lange Zeit nicht mehr umkehrbar. „Wir werden uns auf Wetterextreme einstellen müssen.“ Die schon eingetretene Erderwärmung lasse sich nicht zurückdrehen. „Das gilt weltweit und erfordert gemeinsame globale Anstrengungen, wenn wir nicht immer schneller in eine Spirale der Vernichtung unserer Lebensgrundlagen geraten wollen.“ Aber das Handeln beginne im eigenen Haus – bei jeder und jedem Einzelnen. Der Fingerzeig auf andere sei das schlechtest mögliche Rezept für eine Verbesserung. „Um den Lebensraum für unsere Kinder und Enkelkinder zu erhalten, können und müssen wir den weiteren Temperaturanstieg verlangsamen“, forderte Walter-Borjans. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) habe gegenüber einem „zögerlichen und bremsenden“ Koalitionspartner „enorme Fortschritte“ durchsetzen können. So sei das Ziel der Klimaneutralität auf 2045 vorgezogen worden, und in einem Sofortprogramm würden entscheidende Weichen für die Zielerreichung gestellt. „Der Schlüssel dazu sind der massive Ausbau der erneuerbaren Energien und die Mobilitätswende in unserem Zukunftsprogramm.“ Linksfraktionschef Dietmar Bartsch hielt der Bundesregierung unterdessen schwere klimapolitische Versäumnisse vor. „Die klimapolitische Schleichfahrt der letzten Jahrzehnte mündet in immer düsteren Prognosen“, sagte Bartsch der „Welt“. Die Flutkatastrophe in Deutschland, die „apokalyptischen Waldbrände“ im Süden Europas – „die neue Klimarealität ist längst da“. Dass die Bundesregierung auch die letzten vier Jahre auf der Bremse gestanden habe, statt ordnungspolitisch zu handeln, sei  eine „Bankrotterklärung“, so Bartsch. Immer mehr Güterverkehr auf der Straße und immer weniger auf der Schiene sei „ein Beleg des Versagens“. Die nächste Bundesregierung müsse Klimapolitik mit massiven Investitionen in erneuerbare Energien antreiben und klimafreundliche Innovationen fördern und zum Jobmotor machen, forderte Bartsch. „Wir müssen die Globalisierung zurückfahren, wo es möglich ist. Es kann nicht sein, dass Güter fünfmal um den Globus schippern und nach kurzer Zeit irreparabel kaputtgehen. Mehr Regional- und weniger Wegwerfproduktion.“ Die Politik müsse den Verursachern dieses Wirtschaftens Einhalt gebieten.

Linke verlangt „radikale Klimapolitik“
Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow hat angesichts des neuen Berichts des Weltklimarats IPCC eine „radikale Klimapolitik“ gefordert. „Der Bericht sagt, das günstigste Szenario, die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels, sei unrealistisch. Ich sage, das günstigste Szenario ist notwendig“, sagte Hennig-Wellsow der „Welt“. „Nur wenn wir jetzt handeln, bleibt das Ausmaß des Klimawandels mit seinen Folgen realistischerweise beherrschbar. Mit diesem Ziel vor Augen gilt: Nur radikale Klimapolitik ist realistische Klimapolitik.“ Eine solche Politik erfordere einen umfassenden Umbau der Produktion und der Energieerzeugung und flankierende Maßnahmen, die die Menschen dabei sicher mitnehmen. „Die Finanzierung des Umbaus muss von den Starken geschultert werden. Realistische Klimapolitik muss sozial gerecht sein“, so die Linken-Chefin. Denn der Klimawandel treffe die Ärmsten am härtesten. „Jetzt muss auch der letzte Konservative verstehen: Wir können  nicht länger auf den Markt warten. Wir müssen jetzt die Klimawende schaffen“, so Hennig-Wellsow. „Wir müssen jetzt die Verkehrswende angehen mit massivem Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, jetzt damit anfangen, nach und nach die schmutzigsten Kohlekraftwerke abzuschalten und durch Erneuerbare zu ersetzen, damit wir 2035 ganz raus sind aus der Kohleverstromung.“ Alle Minister müssten sich „jetzt auf den Hosenboden setzen und tun, was immer sinnvoll möglich ist“. Die Bundestagswahl und die Sommerpause dürften keine Ausrede dafür sein, das jetzt mögliche nicht schon zu tun. Der AfD-Umweltpolitiker Karsten Hilse bemängelte unterdessen eine politische Einflussnahme auf den Bericht: Das Papier lese sich nicht anders als die Arbeitspapiere, die im deutschen Umweltministerium verschickt würden. „Er wird durch unsere Politiker und Leitmedien genutzt werden, um die Menschen in Angst und Panik vor dem drohenden Weltuntergang zu versetzen und sie gesellschaftlichen Umwälzungen gefügig zu machen“, sagte der umweltpolitischen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion der Zeitung. „So wie alle Berichte vorher wird auch dieser null Einfluss auf die Entwicklungsländer, wie beispielsweise China und Indien, die immerhin für 60 Prozent der Gesamtemissionen verantwortlich sind, und deren Wirtschaftspolitik haben. Sie werden, so wie übrigens alle anderen Unterzeichner auch, durch das Pariser Übereinkommen zu nichts verpflichtet.“ Die Eigenverpflichtungen der EU und des „Musterschülers Deutschland“ seien selbst gewählt. Die umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Marie-Luise Dött, bezeichnete den Sachstandsbericht des Weltklimarats unterdessen als „wichtige wissenschaftliche Grundlagen für die internationale Klimapolitik“. Er erhöhe den „Handlungsdruck“ auf die internationale Gemeinschaft. „Die nächste UN-Klimakonferenz in Glasgow muss daher zu einem Erfolg und die letzten Details des Pariser Klimaübereinkommens geeint werden“, so Dött. +++