Fulda. Nach einer Studie der Hilfsorganisation Oxfam könnten Deutschlands reichste Familien auch bei Ausgaben von einer Million Euro pro Tag noch Jahrzehnte auskommen, bis ihr Vermögen aufgezehrt wäre. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft auch in Deutschland immer weiter auseinander. Die Familie von Theo Albrecht junior zum Beispiel, Erben der Discounterkette Aldi Nord, würde es bei einem geschätzten Vermögen von 13,5 Milliarden Euro demnach bis ins Jahr 2051 schaffen.
Grundlage für die Oxfam-Studie ist die aktuelle Reichenliste des US-Wirtschaftsmagazins „Forbes“. Demnach gibt es weltweit inzwischen 1645 Dollar-Milliardäre, mehr als doppelt so viel wie 2008. Ihr Gesamtvermögen entspricht den Bruttoinlandsprodukten Deutschlands und Kanadas zusammen. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer – diese Aussage wird von Oxfam mit Zahlen untermauert. Demnach verfügt ein Prozent der weltweiten Bevölkerung über die Hälfte des gesamten Reichtums. Dieses eine Prozent verfügt über 110 Billionen US-Dollar. Das ist 65-mal so viel, wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung hat. Sieben von zehn Menschen leben in Ländern, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich in den vergangenen 30 Jahren gewachsen ist.
„Es ist niederschmetternd, dass im 21. Jahrhundert die Hälfte der Bevölkerung – das sind dreieinhalb Milliarden Menschen – nicht mehr hat, als diese Mini-Elite, die gemeinsam locker in einen Doppeldeckerbus passen würde“, sagt Oxfam-Geschäftsführerin Winnie Byanyima. „Statt sich gemeinsam zu entwickeln, werden die Menschen immer mehr durch wirtschaftliche und politische Macht getrennt“, heißt es in der Oxfam-Studie. Die Gefahr sozialer Spannungen und gesellschaftlicher Zusammenbrüche würde dadurch zwangsläufig wachsen. Denn am anderen Ende der Skala arbeitet die Hälfte der Erwerbsbevölkerung in prekären Jobs. 70 Prozent der Weltbevölkerung sind nicht angemessen sozial abgesichert.
Die Reichen schaffen sich ihre Regeln: Finanzinstitutionen geben allein für Lobbyarbeit auf EU-Ebene 120 Millionen US-Dollar pro Jahr aus. 70 Prozent der umsatzstärksten Unternehmen der Welt haben Niederlassungen in Steuerparadiesen. Durch Steuervermeidung reicher Einzelpersonen entgingen den Staatshaushalten im Jahr 2013 nach Oxfam-Schätzungen 156 Milliarden US-Dollar. Den Staatskassen entgeht so Geld für öffentliche Aufgaben. Der Luxemburger Steuerskandal zeigt, mit welcher Macht und welchen Mitteln internationale Konzerne die Regeln zu ihren Gunsten aushebeln. Die so erwirtschafteten Gewinne fehlen in den Staatshaushalten und stehen für soziale Sicherung, Bildung, Gesundheitsfürsorge und Entwicklungshilfe nicht mehr zur Verfügung. Steueroasen müssen durch Maßnahmen wie die Einführung schwarzer Listen und Sanktionen ausgetrocknet, Unternehmen zu öffentlicher länderbezogener Berichterstattung über erwirtschaftete Gewinne und bezahlte Steuern verpflichtet werden. Extreme Ungleichheit hat extreme Konsequenzen: Gewalt und Armut, Geschlechterungerechtigkeit, mangelnder Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge sowie der Klimawandel sind eng mit sozialer Ungleichheit verknüpft. Diese Probleme lassen sich nur lösen, wenn die soziale Ungleichheit abgebaut wird, international und national gerechte Steuersysteme errichten werden und Steuerschlupflöcher geschlossen werden.
Auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, warnt, dass der Wohlstand immer ungerechter verteilt wird, während die Probleme von Armut und Arbeitslosigkeit nicht gelöst werden. Wie groß der Reichtum am oberen Ende der Verteilungsskala genau ist, lässt sich mangels verlässlicher Erhebungen nur schwer sagen. Sicher ist aber, dass der Abstand zwischen Arm und Reich wächst – was auf die Wirtschaft destabilisierend wirkt. Einkommensschwache Haushalte und eine Mittelschicht mit stagnierenden Einkommen können nicht so viele Güter kaufen, wie für Vollbeschäftigung nötig wäre. Investitionen in neue Maschinen und Gebäude erscheinen deshalb nicht rentabel. So legen die Reichen ihr Geld eher an den Finanzmärkten an, wo Geld aus Geld gemacht wird. Dieser „Überersparnis“ steht eine zunehmende Verschuldung unterer und mittlerer Einkommensklassen oder des Auslands gegenüber.
Viele international führende Ökonomen sehen die wachsende Ungleichheit als eine wesentliche Ursache für die große Rezession von 2008 und 2009. Dabei wird die wirtschaftliche Ungleichheit in Deutschland noch unterschätzt. Denn der Reichtum konzentriert sich auf eine sehr kleine, auf Diskretion bedachte Personengruppe, die von Umfragen kaum erfasst wird. Selbst wenn es gelänge, Millionärs- und Multimillionärshaushalte repräsentativ zu erfassen, wäre fraglich, ob die Betreffenden ihr Einkommen und Vermögen korrekt angeben würden. Weil hierzulande auch keine Vermögensteuer mehr erhoben wird, haben auch die Finanzämter den Überblick über die Besitztümer der Superreichen verloren. Besonders nach Einführung der pauschalen Abgeltungssteuer für Kapitalerträge, brauchen diese nicht mehr in der persönlichen Steuererklärung aufgeführt werden. Angesichts der in Deutschland fallenden Lohn- und entsprechend steigenden Gewinnquoten nimmt auch hier die Ungleichheit zu.
In früheren Zeiten hat die Politik schon einmal den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und makroökonomischer Instabilität verstanden: Die USA etwa erhöhten als Teil des New Deal von Präsident Franklin Dr. Roosevelt als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer auf 79 Prozent. In Deutschland wären heute zumindest die Wiedereinführung der Vermögensteuer sowie die Abschaffung der Abgeltungssteuer geboten. Kapitalerträge würden dann nicht mehr pauschal, sondern progressiv – mit dem persönlichen Einkommensteuersatz – besteuert. Ein Gedanke, den auch Bundesfinanzminister Schäuble schon einmal aufgriff. Ob er sich allerdings gegen die Betroffenen, die ja nicht ohne Einfluss sind, durchsetzen kann, ist mehr als fraglich. Vielleicht spendet die Familie Quandt (BMW), deren Vermögen auf über 20 Milliarden Euro geschätzt wird, wieder mal – wie vor einiger Zeit bereits – 700.000 Euro für die CDU-Parteikasse für die „guten Leistungen der Regierung Merkel“ (O-Ton Frau Quandt). Diese Spende ist fürwahr ein Schnäppchen, wenn man bedenkt, welcher Betrag im Falle einer Vermögensbesteuerung fällig wäre. Aber selbst dies würde die Familie kaum bemerken, hatte sie doch im vergangenen Jahr einen Vermögenszuwachs von 19 Prozent zu verzeichnen. +++ fuldainfo/rh