Scholz: Menschenwerte gelten nicht nur im Westen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält humanistische Werte wie Freiheit und Menschenwürde auch jenseits des Westens für gültig. „Wer die Existenz gemeinsamer menschlicher Werte an sich in Abrede stellt, weiß nicht, wovon er spricht. Wer es dennoch tut, ist einfach ignorant“, schreibt er in einem Gastbeitrag für die „Welt“. Diese Person wisse nicht, „dass ein Leben in Freiheit, Gerechtigkeit und Würde kein auf den Westen beschränktes Ideal darstellt“ und übersehe, dass es humanistische Werte gebe, die über „Zeiten und Grenzen hinweg von allen Menschen geteilt werden“.

Das sei auch der Grund, warum Menschen überall auf der Welt „Trauer, Mitgefühl und Wut“ empfinden würden, wenn sie die Bilder ermordeter Frauen, Männer und Kinder aus Butscha oder anderen Orten der Ukraine sehen. „Was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg auch keinem anderen zu` – diese jedem Kind geläufige Regel gegenseitiger Rücksichtnahme findet sich in ähnlicher  Form in allen großen Weltreligionen und schon in Schriften aus dem alten Ägypten, den antiken Philosophen, Konfuzius oder den Denkern der Aufklärung“, so Scholz.

Philosoph Habermas zeigt Verständnis für Scholz` Ukraine-Politik

Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas warnt vor einer weiteren Eskalation des Ukraine-Krieges. Mit jedem Toten, mit jedem Kriegsverbrechen, die Russlands Invasionsarmee in der Ukraine verantworten zu habe, steige unter den Zuschauern im Westen die Erschütterung, schreibt er in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“. Und es steige „der Wunsch auch etwas dagegen zu tun“. Dennoch irritiere ihn „die Selbstgewissheit, mit der in Deutschland die moralisch entrüsteten Ankläger gegen eine reflektiert und zurückhaltend verfahrende Bundesregierung auftreten“. Anfang der Woche hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekannt gegeben, nun doch etwa 50 Panzer des Typs „Gepard“ an die Ukraine liefern zu wollen – eine Kehrtwende nach langem Zögern. Habermas kann die abwartende Haltung nachvollziehen: Der Westen stecke durch seinen Entschluss, nicht zur Kriegspartei werden zu wollen, zweifelsohne in einem Dilemma, schreibt der 92  -Jährige.

Der Westen müsse zwischen den Risiken einer Niederlage der Ukraine und der Eskalation eines begrenzten Konflikts zum dritten Weltkrieg abwägen – und das gewissermaßen im Blindflug: Letztlich entscheide Russlands Präsident Wladimir Putin darüber, ab welchem Punkt er die Unterstützung des Westens für die Ukraine als formalen Kriegseintritt betrachte. Die russische Seite wisse um diese Asymmetrie, der Westen wiederum wisse, dass er sich nicht beliebig erpressen lassen dürfe. „Der Entschluss zur Nichtbeteiligung bedeutet nicht, dass der Westen die Ukraine up to the point of immediate involvement dem Schicksal ihres Kampfes mit einem überlegenen Gegner überlassen muss.“ Jürgen Habermas, 1929 in Düsseldorf geboren, entging im Frühjahr 1945 als Jugendlicher nur knapp einem Einzug zur Wehrmacht. Als jemand, der dennoch den Zweiten Weltkrieg in jungen Jahren miterlebt hat, kritisiert er nun den „frommen Selbstbetrug“ derer, die auf einen Sieg der Ukraine setzen, aber selbst keine Waffe in die Hand nehmen wollen: „Die kriegstreiberische Rhetorik verträgt sich schlecht mit der Zuschauerloge, aus der sie wortstark tönt.“ Und sie übersehe, dass Kriege gegen eine Macht, die neben einer beachtlichen Landstreitmacht auch über Atomwaffen verfügt, „nicht mehr im herkömmlichen Sinne gewonnen werden können“.

Gleichzeitig warnt Habermas vor einer Pathologisierung des Mannes, der den russischen Angriff befahl. Dem in Bezug auf Putin heute oft gezeichneten „Persönlichkeitsbild eines wahnhaft getriebenen Geschichtsnostalgikers steht ein Lebenslauf des sozialen Aufstiegs und der Karriere eines im KGB geschulten rational kalkulierenden Machtmenschen gegenüber“, analysiert Habermas – eines Machtmenschen jedoch, der durch die Westwende der Ukraine und Widerstandsbewegungen wie in Weißrussland um seine Macht zu fürchten begonnen habe. Die innerhalb Deutschlands und zwischen Berlin und seinen Bündnispartnern entflammte Debatte um das gebotene Ausmaß der Hilfe für die Ukraine betrachtet der früher an der Goethe-Universität Frankfurt lehrende und heute in Starnberg lebende Philosoph teils mit Befremden. „Diese Debatte, die vor allem an Beispiele der erstaunlichen Konversion friedensbewegter Geister anknüpft, soll einen historischen Wandel der von rechts immer wieder denunzierten, tatsächlich schwer genug errungenen Nachkriegsmentalität der Deutschen ankündigen“, schreibt Habermas, „und damit überhaupt das Ende eines auf Dialog und Friedenswahrung angelegten Modus der deutschen Politik“. Dass Deutschland in seiner Ostpolitik einen anderen Weg eingeschlagen hat als einige seiner Verbündeten, sei gut begründet. „Politisch-mentale Differenzen, die sich aus ungleichzeitigen historischen Entwicklungen erklären, dürfen sich Verbündete nicht zum Vorwurf machen“, so der Philosoph. +++

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