Schäuble: Fähigkeiten der Ostdeutschen unterschätzt

DDR-Wirtschaft, war einfach nicht wettbewerbsfähig

Wolfgang Schäuble (CDU)
Wolfgang Schäuble (CDU)

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat Fehler bei der Gestaltung der deutschen Wiedervereinigung vor 30 Jahren eingeräumt. „Einen der größten Mängel haben wir bei der Anerkennung der beruflichen Qualifikation von Menschen aus der DDR“, sagte der damalige Bundesinnenminister den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wir haben die Fähigkeiten vieler Menschen unterschätzt, das hat sich sicherlich auf das Selbstwertgefühl der Ostdeutschen ausgewirkt.“ Das gelte auch für die Übernahme von Mitarbeitern in den Ministerien, fügte Schäuble hinzu. Im Innenministerium seien immerhin Leute übernommen worden, die einigermaßen die Eingangsvoraussetzungen erfüllt hätten. „Nur weil jemand in der SED war, ist er nicht gleich ein schlechterer Mensch.“

Der Parlamentspräsident rief die Bürger dazu auf, mehr Interesse zu zeigen an den Lebensleistungen der Menschen in Ostdeutschland und auch an der Geschichte der DDR. „Dann wächst im Osten auch das Selbstbewusstsein.“ Schäuble rechtfertigte die Entscheidung, die Wiedervereinigung als Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes zu gestalten. „Wir haben im Westen auf den Willen der übergroßen Mehrheit der DDR-Bevölkerung reagiert“, sagte der CDU-Politiker. Bei den freien Wahlen in der DDR am 18. März hätten die Kräfte gewonnen, die für einen schnellen Beitritt auf der Grundlage von Artikel 23 eingetreten seien. Das treibende Element für die schnelle politische Entwicklung seien die vielen hunderttausend Übersiedler gewesen. „Uns war klar, jetzt müssen wir uns beeilen – auch mit der Währungsunion“, sagte Schäuble. „Die D-Mark brachte zwangsläufig das Ende der DDR-Wirtschaft, die einfach nicht wettbewerbsfähig war. Der Westen hat die DDR nicht übernommen oder überrollt, sondern wir haben versucht, so viel wie möglich zu erhalten.“ Nach Schäubles Überzeugung war die DDR ein Unrechtsstaat. „In der DDR war nicht alles Unrecht, aber sie war kein Rechtsstaat“, sagte er. Im Zweifel sei die staatliche Macht dem Recht übergeordnet gewesen. „Die allgegenwärtige Stasi-Überwachung war allen bewusst. Eltern haben am Esstisch gelogen, damit ihre Kinder sich nicht verplappern in der Schule.“ Dazu müsse man nur einen Blick in das Stasi-Archiv werfen. „Die DDR war insofern ein Unrechtsstaat – nicht nur, aber auch.“

Auf die Frage, was die DDR in das wiedervereinigte Deutschland eingebracht habe, sagte Schäuble: „Menschen – mit all ihren Facetten.“ Mit Blick auf die Gesellschaft nannte er die veränderte Rolle der Frauen, die in der DDR schon in stärkerem Maße ins Berufsleben integriert gewesen seien. „Es gab dort bessere Möglichkeiten, Familie und Erwerbsarbeit zu verbinden – wenn auch staatlich vorgeschrieben.“ Die Skepsis vieler Ostdeutscher gegenüber der Politik erklärte Schäuble auch mit Verletzungen aus unterschiedlichen Erfahrungen mit der Wiedervereinigung und ihren Folgen. „In dieser Stimmung lassen sich auch Ressentiments gegenüber Menschen aus anderen Teilen der Welt leichter mobilisieren, denn Zuwanderung dieser Art war man praktisch gar nicht gewöhnt“, sagte er. Die Frage, ob Rechtsextremismus im Osten eine größere Herausforderung sei als im Westen, verneinte er. „Ganz ehrlich, die Integration der sogenannten Gastarbeiter haben wir im Westen auch nicht so toll hinbekommen“, sagte Schäuble. „Es gab ja nicht nur die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Rostock, sondern mörderische Anschläge in Solingen und Mölln. Insofern gibt es keinen Grund, sich im Westen in irgendeiner Weise besser oder anständiger zu fühlen.“ Die Zeit der Wende beschrieb Schäuble als dramatisch. „Natürlich hätte es Krieg geben können – auch am Abend des 9. November, als die Mauer fiel“, sagte er. „Es kursierten Falschmeldungen über Angriffe auf sowjetische Garnisonen in der DDR. Gorbatschow rief Kohl an, der die Gerüchte entkräften konnte. Es stand Spitz auf Knopf.“ +++