Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth wirbt nach dem Rücktritt von Kevin Kühnert als SPD-Generalsekretär für eine „Kultur der Nachsicht“ und für mehr Achtsamkeit im politischen Betrieb. „In der Politik wird erwartet, dass man omnipräsent ist und zu jedem Thema immer etwas zu sagen hat“, sagte Roth zu „Ippen-Media“. „Man muss sich als Politiker in den Sturm stellen. Denn Politik beruht in einer Demokratie auf Streit“, erklärte der SPD-Politiker. „Der wird allerdings auch immer persönlicher geführt.“
Kevin Kühnert hatte seinen Rücktritt damit begründet, dass er Zeit und Energie brauche, um sich um seine Gesundheit zu kümmern. Auch Roth hatte sich 2022 zeitweise aus der Politik zurückgezogen. Damals hatte er öffentlich über seine Burnout-Diagnose gesprochen. „Das war ein langer, schmerzhafter Prozess. Ich neige zu einem protestantisch geprägten Arbeitsethos und es fiel mir schwer, Terminanfragen abzusagen, mal einen Schritt zurückzutreten, zur Ruhe zu kommen“, so Roth. „Man macht einfach weiter im Hamsterrad.“
Die sozialen Medien trügen dazu in erheblichem Maße bei, so der ehemalige Staatsminister. „Man ist permanent auf Sendung. Wir machen als Politiker heutzutage mehr Fehler, vor allem, weil wir einfach viel mehr sagen und verbreiten.“ Die Reaktionen darauf seien oft nicht sachlich, sondern sehr persönlich und hart. „Es gibt eine völlige Enthemmung. Vor allem X ist seit der Übernahme durch Elon Musk immer toxischer geworden“, so Roth. „Man kommt kaum mehr hinterher, jede Beleidigung, jede Bedrohung zur Anzeige zu bringen, weil das einfach so viel geworden ist. Das hinterlässt Spuren. Und leider gibt es in unserem Land und in der Politik keine Kultur des Verzeihens und der Nachsicht.“ Das müsse sich ändern.
Zur nächsten Bundestagswahl will Roth nicht mehr antreten. „Ich spüre inzwischen eine gewisse Entfremdung vom Politikbetrieb. Die harten Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre – wir haben ja schließlich um Krieg und Frieden gestritten – sind nicht einfach nur in den Kleidern hängen geblieben.“ Er wolle nun etwas Neues wagen und unter anderem ein Buch schreiben. Eine Rückkehr in die parlamentarische Arbeit komme für ihn nicht mehr infrage, so Roth.
Schulze nennt Kühnert „absolutes politisches Ausnahmetalent“
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hat Kevin Kühnert „ein absolutes politisches Ausnahmetalent“ genannt, dessen Rücktritt als SPD-Generalsekretär sie sehr bedauere. „Jetzt muss aber seine Gesundheit im Vordergrund stehen, das ist für alle wichtig, dass er sich jetzt erholen kann, dass er auf seine Gesundheit achtet“, sagte Schulze am Dienstag den Sendern RTL und ntv. Dazu benötige Kühnert eine Auszeit. „Dafür wünsche ich ihm erstmal alles Gute und hoffe, dass er möglichst schnell zurückkommen kann.“
Zudem verwies Schulze anlässlich der Internationalen Nachhaltigkeitskonferenz in Hamburg auf die Begrenztheit öffentlicher Mittel. Man müsse und könne mehr investieren. Das öffentliche Geld allein werde aber nicht reichen, auch „das gesamte öffentliche Geld“ nicht. Für Schulze muss die Politik auch privates Kapital mobilisieren. „Wir müssen einfach auch privates Engagement in die richtige Richtung leiten, auch die privaten Investitionen müssen nachhaltiger werden“, sagte die Ministerin. Als Beleg verwies die SPD-Politikerin auf eine soeben vereinbarte Allianz für nachhaltige Schifffahrtskorridore. Das sei ein „ganz wichtiger Schritt“ in die richtige Richtung. +++