Reinhardt: Spahns Termingesetz wirkt nur kurzfristig

Ärzte arbeiteten bereits jetzt am Limit

Wartezimmer

Der neu gewählte Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, erwartet, dass das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) initiierte Terminservice- und Versorgungsgesetz nur kurzfristig wirken wird. „Die neuen gesetzlichen Regelungen werden auf jeden Fall kurzfristig für Entspannung bei der Terminsituation sorgen“, sagte Reinhardt der „Welt“. „Aber langfristig wird das Gesetz die Situation nicht verbessern.“

Er erwartet sogar eine Verschlechterung. Grund sei, dass die Ärzte bereits jetzt am Limit arbeiteten. „Viele niedergelassene Ärzte arbeiten von 8 Uhr morgens bis 19 Uhr abends, oft auch länger. Die neuen Regelungen mögen dazu führen, dass es noch mehr 5-Minuten-Termine gibt. Die sind für Patienten und Ärzte aber unbefriedigend“, sagte Reinhardt. „Das Gesetz wird auf diese Weise relativ schnell Wirkung zeigen, aber die wird auch wieder verpuffen, weil in den kommenden Jahren viele Ärzte in Rente gehen und die Bevölkerung gleichzeitig älter und kränker wird. In wenigen Jahren wird die Situation wieder genauso sein wie vor dem TSVG, vermutlich noch schlimmer.“ Reinhardt fordert zudem mehr Ehrlichkeit in der Debatte über Ärztemangel auf dem Land. „Es wird künftig Gegenden ohne Hausarzt geben. Das ist leider so und die Politik sollte das auch zugeben. Dann kann man nämlich freier über Alternativen nachdenken“, sagte Reinhardt. Auch großzügige finanzielle Angebote änderten nichts daran, dass junge Mediziner praktisch nicht bereit seien, in entlegene Regionen zu ziehen. „Wir werden auf dem Land definitiv eine andere Versorgung haben als heute, und es wird in vielen Gemeinden nicht mehr die normale Arztpraxis mit dem netten Hausarzt sein, der mit Ende 70 noch brav arbeitet.“ Alle Gegenden, die mit großen Städten verbunden sind, würden auch künftig funktionieren. „Anders sieht es in besonders entlegenen Gegenden aus. Dort ist das normale gesellschaftliche Leben, wie wir es gewohnt sind, akut gefährdet und dort wird auch die medizinische Versorgung problematisch“, sagte Reinhardt. Telemedizin werde künftig bei der Versorgung solcher Gebiete eine wichtige Rolle spielen. Eine weitere Möglichkeit seien ambulante Ärzteteams, die regelmäßig durch die Orte kommen oder Krankenschwestern, die bei Visiten Ärzte per Video zuschalten.

Reinhardt: „Nicht jeder Besuch beim Arzt ist notwendig und sinnvoll“

Reinhardt fordert eine finanzielle Selbstbeteiligung von Patienten, die besonders häufig zum Arzt gehen. „Bei mehrfachen und völlig unnötigen Arztbesuchen kann eine moderate wirtschaftlichen Beteiligung zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit unseren knappen Ressourcen im Gesundheitswesen beitragen“, sagte Reinhardt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Es geht um eine bessere Steuerung von Patienten. Davon profitieren am Ende alle.“ Reinhardt betonte, der Erstzugang zum Arzt solle immer frei sein. „Aber man muss genauer hinsehen, wer wann und weshalb zum Arzt geht.“ Nicht jeder Besuch beim Arzt sei notwendig und sinnvoll. „Die Patienten müssen lernen, verantwortungsvoll mit der Ressource Arzt umzugehen. Wer das nicht tut, verbaut den Menschen, die ernsthaft erkrankt sind, den Weg zu ärztlicher Hilfe“, sagte Reinhardt. Mit kleinen Geldbeträgen würde sich das Verhalten der Patienten verändern lassen , das zeigten Erfahrungen aus anderen Ländern, in denen es eine Selbstbeteiligung gebe. Reinhardt lobte die inzwischen abgeschaffte Praxisgebühr. Diese sei zwar falsch organisiert gewesen, sie habe aber grundsätzlich funktioniert. „Hausärzte wie ich haben festgestellt: Als die Praxisgebühr wegfiel, nahm die Zahl der Patienten und die Zahl der Arztbesuche spürbar zu.“ Politik und Krankenkassen sollten Patienten nach dem Grund fragen, warum sie wegen derselben Erkrankung bei sehr vielen Ärzten waren. „Es mag diesen Grund ja geben. Aber heute wird das völlig unkommentiert hingenommen“, klagte Reinhardt. +++