Plagiat auf Plagiat. Was ist da los? – Dehler im Gespräch

Fulda/Berlin. Seit den bekannt gewordenen Plagiaten in Dissertationen von Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, EU-Politikerin Silvana Koch-Mehrin, Bildungsministerin Annette Schavan und inzwischen von einigen anderen Doktoren, meist Politiker, ist das Thema in aller Munde. Jetzt auch noch Plagiatsvorwürfe gegen den osthessischen CDU-Politiker Dr. Wolfgang Dippel, seit letztem Jahr Staatssekretär im hessischen Ministerium für Soziales und Integration.

fuldainfo hatte bereits im März letzten Jahres berichtet, dass aufgrund eines in der Redaktion eingegangenen anonymen Schreibens, Plagiatsvorwürfe gegen einen osthessischen CDU-Politiker, dessen Doktorarbeit betreffend, eingegangen waren. Obwohl uns der Name bekannt war, hatten wir davon keinen Gebrauch gemacht diesen zu veröffentlichen, um die Nachprüfung der Universität Kassel nicht zu beeinflussen. Erst als vor drei Wochen die FAZ den Namen des Politikers, nämlich von Dr. Wolfgang Dippel, preisgab, hat auch fuldainfo entsprechend nachberichtet. Siehe untenstehenden Link zu diesem Beitrag. Das Echo auf diesen Bericht war außergewöhnlich groß. Viele fuldainfo-Leser waren und sind irritiert. Der vielfache Wunsch auf ausführliche Information im Allgemeinen, wie im Besonderen, wurde und wird bekundet.

Gleichwohl verstehen wir, dass Dr. Wolfgang Dippel im Moment jede öffentliche Stellungnahme ablehnt, um dem Ergebnis der alsbaldigen Beratung mit dem Promotionsausschuss nicht vorwegzugreifen. Bekannt ist bisher nur, dass sich die anonymen Vorwürfe gegen Dippel auf seine 1994 an der Universität Kassel, einhergehend mit seiner hauptberuflichen Tätigkeit, verfasste Dissertation „Kommunalpolitik in einer Gemeinde. Am Beispiel von Breuna“ bezieht.

Zu den allgemeinen, im Raum stehenden Fragen, haben wir nun den Berliner Politikberater Prof. Dr. Joseph Dehler gebeten, uns ein paar Fragen zu beantworten. Dehler war unter anderem viele Jahre Rektor der Hochschule Fulda, Innovationsbeauftrager des Landes Hessen sowie in ähnlichen Funktionen für die Bundesregierung und die Landesregierung Sachsen-Anhalt tätig. Das Gespräch wurde aufgezeichnet und wird nun hier im Wortlaut wiedergegeben. Wir haben uns angesichts des komplizierten und öffentlich breit diskutierten Themas, für ein längeres Interview entschieden.

fuldainfo
Wann sprechen wir eigentlich von einem Plagiat?

Prof. Dehler
Auf den Punkt gebracht, ist ein Plagiat, „Diebstahl geistigen Eigentums.“ Wer plagiiert, maßt sich unrechtmäßig die Urheberschaft eines anderen an; verletzt also das Urheberrecht. Im Bereich von Erfindungen, Patenten, Design und Geschmacksmustern, ist dies meist mit erheblichen, wirtschaftlichen Folgen verbunden. Eine ganze Nachahmindustrie ist hier am Werk. Meist mit weniger materiellen Folgen, dafür aber mit größerer, öffentlicher Aufmerksamkeit, verbunden, ist der „geistige Diebstahl“ im wissenschaftlichen und literarischen Bereich zu nennen. Darüber erregen wir uns seit ein paar Jahren in Deutschland, vor allem, seit der Fälschung von Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg in seiner Dissertation.

fuldainfo
Schränken wir uns ein und sprechen heute von Plagiaten im Wissenschaftsbereich, von denen es nach Guttenberg, auch in jüngster Zeit, noch einige mit einem hohen, öffentlichen Stellenwert gab. Wann plagiiert jemand in wissenschaftlichen Arbeiten?

Prof. Dehler
Im Wesentlichen, wer sich am Werk eines anderen vergreift, und absichtlich, aber auch unabsichtlich, eine fremde Leistung als die eigene darstellt. Vor allem durch die Übernahme von Textpassagen ohne Angabe der Quelle. Von einem Plagiat kann auch gesprochen werden, wenn das Werk eines anderen, durch Umstellung des Satzbaus oder Verwendung von Synonymen, leicht abgeändert und dabei die Quelle nicht genannt wird. Kurioser Weise spricht man auch dann von einem Plagiat bzw. „Textklau“, wenn man von seinen eigenen Texterzeugnissen abschreibt, oder einen eigenen Text in eine Fremdsprache übersetzt, ohne sich selbst zu zitieren bzw. die Quelle anzugeben.

fuldainfo
Woran erkennt man eigentlich, ob sich Plagiate in Texten befinden?

Prof. Dehler
Ganz einfach gesagt: Durch Text- und Quellenvergleiche. Um einmal technisch anzufangen: Es kommt heute vermehrt zum Einsatz von Plagiatserkennungssystemen. Ich kenne diese nicht näher. Jedoch raten viele Experten bzw. erfahrene Gutachter von Dissertationen und Diplomarbeiten von deren Einsatz ab, weil Plagiate nur unzureichend erkannt werden. Zum Beispiel bei Satzdrehern. Im engeren Sinne gehe ich zunächst einmal davon aus, dass Facharbeiten von Fachleuten gelesen und begutachtet werden. Die Gutachterinnen und Gutachter sollten die entsprechende Literatur kennen, und so Plagiate relativ leicht ausfindig machen können. Auch in Internet-Suchmaschinen kann man stichprobenartig heute schon sehr gut Textpassagen vergleichen. So ist das Internet auf der einen Seite die große Versuchung zum Plagiieren, zugleich aber auch der Fluch für die Erwischten, mit dem man ihnen damit leichter auf die Schliche kommen kann. Jedoch ein gewiefter Gutachter erkennt relativ schnell, ob der Stil eines Textes uneinheitlich ist oder auch fremd wirkende Begrifflichkeiten verwendet werden. Von der Versuchung zu plagiieren ist niemand verschont.

fuldainfo
Wie kommt man eigentlich auf die Idee, zu plagiieren?

Prof. Dehler
Das Ganze fängt meist ziemlich banal an. – Irgendwo findet man einen Gedanken, der eigentlich auch der eigene sein könnte. Gar ärgert man sich vielleicht darüber, dass ausgerechnet ein anderer diesen Gedanken hatte. Und schon ist die Versuchung groß, diesen Gedanken zu seinem eigenen zu machen. Wenn man da nicht hart genug gegen sich selbst ist, dann passiert das ganz schnell. Wenn man aber dem anderen seinen Gedanken lässt, sich also mit dem Gefallen am fremden Gedanken zufrieden gibt, dann braucht man eigentlich nur ordentlich dessen Herkunft zu belegen, sprich ordentlich zu zitieren und die Quelle anzugeben.

fuldainfo
Auffällig ist, dass in letzter Zeit diesbezüglich meist Politikerinnen und Politiker in leitenden Positionen vorgeführt wurden. Nahezu alle aufgeklärten Fälle haben einen anonymen Hintergrund. Stehen dahinter parteipolitische Machenschaften?

Prof. Dehler
Man weiß es nicht genau. Ich auch nicht. Wenn nicht aufgeklärt werden kann, wer der Anonyme war oder ist, lassen sich die Hintergründe nur vermuten. Persönlich bin ich überzeugt davon, dass meist Karriereneid mit im Spiel ist. Dieser treibt oft die irrsinnigsten Blüten. Deshalb glaube ich nicht so sehr daran, hier ginge es um ein Mittel im gegenseitigen Kampf der Parteien. Sie glauben ja gar nicht, wieviel Karriere-Neid es innerhalb der je eigenen Partei gibt. Auch in Dippels Fall ist auffällig, dass die Anschuldigung direkt nach seiner Berufung zum Staatssekretär einging.

fuldainfo
Waren es bisher nicht vermehrt CDU/CSU-Leute, die an den Pranger gestellt wurden?

Prof. Dehler
Es könnte ja auch sein, dass der Karriereneid in der CDU/CSU besonders bizarre Blüten treibt. Aber, wie gesagt, man weiß es nicht genau!

fuldainfo
Weshalb läuft das eigentlich meist auf anonymem Wege?

Prof. Dehler
Ja wohl, weil die Initiatoren unbehelligt bleiben wollen. Vielleicht, weil sie selbst nicht möchten, dass jemand auf die Idee kommen könnte, ihre eigenen Diplom- und Doktorarbeiten auf Plagiate zu prüfen. Denn Fehler sind auch bei denjenigen nicht auszuschließen, die sicher sind, niemals welche gemacht zu haben. Aber natürlich keine Frage: Jeder ist verpflichtet, das geistige Eigentum des anderen, als das höchste Gut des wissenschaftlichen Fortschritts und Umgangs miteinander, zu achten. An dieser Stelle darf es keine Vergebung geben. Niemand aber kann wollen, dass die wissenschaftliche Atmosphäre durch Anonymität in einer so wichtigen Frage vergiftet wird. Denn es werden ja damit nicht nur die Betroffenen angeprangert, sondern auch die Doktorväter und der gesamte Wissenschaftsbetrieb. Ich denke schon, dass wir Besseres zu tun haben, als zwanzig, dreißig, vierzig und fünfzig Jahre alte Doktorarbeiten noch einmal zu überprüfen und neu zu bewerten. Wenn man das aber will, muss man eine Behörde mit hunderten von Bediensteten schaffen und tun, was derzeit nur einigen blüht. Denn stellen Sie sich vor, wieviel Doktoren es in Deutschland zurzeit gibt, wenn alleine im Jahre 2010 25.500 Doktor-Titel vergeben wurden. Vielleicht will man ja sogar noch die toten Doktoren verfolgen und gegebenenfalls gefälschte Grabinschriften beseitigen. Um dieses Thema zu versachlichen, brauchen wir, wie in anderen Lebensbereichen, alsbald eine Verjährungsfrist. …

fuldainfo
… dürfen wir dazwischen fragen, welche Schlussfolgerungen Sie daraus für unser heutiges Thema ziehen?

Prof. Dehler
In der Sache zumindest rate ich den über Plagiaten urteilenden Kommissionen, sich in keiner Weise vom öffentlichen Druck beeinflussen zu lassen, sondern sich ausschließlich sachlich mit den Vorgängen zu beschäftigen. Zum Problem gehört ganz sicherlich auch die im System der wissenschaftlichen Qualifikation liegenden Defizite und deren Auswirkungen auf ein Promotionsverfahren. Denn Fehler entstehen meist durch Überlastung von Schreibenden und Begutachtenden, durch ungenügende Kommunikation, schlechte Information, fehlendes Wissen und mangelhafte Beratung, aber vor allem durch Unklarheiten zwischen Kandidaten und Betreuenden; Ohne dies auf die Ebene „böser Absichten“ schieben zu wollen.

fuldainfo
Sondern?

Prof. Dehler
Auf den Hochschulen und Professoren lastet seit vielen Jahren, ja seit Jahrzehnten, ein erheblicher und ständig steigender Druck durch permanent wachsende Studentenzahlen, vermehrte Ansprüche an die Qualifikation der Studenten seitens der Gesellschaft und der Wirtschaft, bei immer schnellerem Umsatz von Wissen und Information. Die Professoren sollen lehren, forschen, Doktor- und Diplomarbeiten betreuen, in steigendem Maße ihr Wissen Gesellschaft und Wirtschaft zur Verfügung stellen sowie immer mehr Drittmittel, verbunden mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand, einwerben. Damit diese Ansprüche alle erfüllt werden können, auch noch die eigene Reputation vorankommen kann, durch die sich die Hochschulen wiederum als voneinander unterscheidbare „Marken“ profilieren wollen, bleibt am Ende immer weniger Zeit für die Betreuung von Studenten und Doktoranten.

fuldainfo
Das heißt?

Prof. Dehler
Dass wir das eine oder andere so bezeichnete Plagiat weniger hätten, wenn mehr Zeit und Ruhe für die Betreuung und Beratung vorhanden wäre, und auch der Entstehungsprozess einer Arbeit, bis hin zum gedruckten Exemplar, in gegenseitiger Verantwortung kontrolliert und kommunikativ ablaufen würde. Dabei müssen die Betreuer und Gutachter gegenüber dem Kandidaten ein besonderes Maß an Verantwortung, ja eine gewisse Fürsorgepflicht, haben.

fuldainfo
Eine persönliche Frage: Was wäre eigentlich, wenn jemand einmal Ihre Dissertation auf Plagiate untersuchen würde? Beziehungsweise, was macht Sie so sicher, dass Sie nicht plagiiert haben?

Prof. Dehler
Da kann ich nur sagen „Immer ran“! Wenn jemand Zeit hat, gerne. Ich habe noch ein Exemplar, das stelle ich gerne zur Verfügung. Gibt’s ja auch in Buchform. Jedenfalls wäre ich da doch sehr gespannt. Würde sogar eine gewisse Erschwerniszulage zahlen, weil es eine Strafarbeit wäre. Denn abgesehen von den bestimmt 500 Seiten, kann ich meist schon nach spätestens fünf Jahren meine eigene Schreibe nicht mehr lesen. Und seitdem sind fast acht Mal so viele Jahre ins Land gezogen. Außerdem, was habe ich für so viel Mühe, die jemand aufwenden müsste, schon zu bieten? Ich will erstens, keine Karriere mehr machen und zweitens, habe ich in meinem Testament ohnehin schon festgelegt, dass an meinem Grabstein kein Titel angebracht werden darf. Mein Vater sagte des Öfteren: „Du gehst, wie du gekommen bist!“ Also ohne Titel! Wenn ich ein anonymer Überprüfungskandidat wäre, dann höchstens, weil ich für einige Mitmenschen vielleicht etwas zu unbequem bin. Spaß beiseite. Ich hatte das Glück, gründlich beraten zu werden. Ich denke auch, dass die Betreuer seinerzeit noch mehr Zeit hatten, sich um die Doktoranten zu kümmern. Eher hatte ich weniger Zeit als sie, weil ich, wie Wolfgang Dippel, neben einer hauptberuflichen Arbeit promoviert habe. Aber man weiß ja nie!

fuldainfo
Abschließende Frage. Glauben Sie, dass Dr. Dippel in seiner Dissertation plagiiert hat?

Prof. Dehler
„Glauben“ ist hier wohl das falsche Wort, auch wenn ich es nicht glaube. Ohnehin gilt immer erst einmal die Unschuldsvermutung. Aber die Frage verführt mich, noch etwas im vorgenannten Zusammenhang zu sagen. Was mir in der gesamten Diskussion um Plagiate eigentlich immer zu kurz kommt, ist die Frage nach der Verantwortung der Gutachter und der Promotionsverwaltung, wenn wirklich Unregelmäßigkeiten aufgetaucht sein sollten. Eigentlich könnte das gar nicht passieren, wenn 1. Herr. Dr. Dippel gut betreut worden wäre, wenn er 2., falls Fehler begangen worden sein sollten, auf diese hingewiesen und mit ihm besprochen worden wären. Denn Sie müssen immerhin bedenken: Es gibt in der Regel einen Betreuer, der zugleich Erstgutachter ist. Es gibt einen vom Fachbereich benannten Zweitgutachter. Beide erstellen Gutachten, die dem Kandidaten zur Verfügung gestellt werden sollten. Aus diesen Gutachten müssten die festgestellten Mängel deutlich werden. Wenn beide Gutachter die Arbeit, egal mit welcher Note, positiv bewertet haben, findet eine Disputation mit mehreren Prüfern, auch den Erst- und Zweitgutachtern, statt. Darüber gibt es ein Protokoll, das dem Kandidaten ebenfalls zur Verfügung gestellt werden sollte. In beiden Fällen müssten diesbezüglich Quellenverstöße bekanntgemacht, beziehungsweise als Auflage zur Änderung der Dissertation formuliert werden. Darüber hinaus wird die Dissertation im Fachbereich und den verwandten Fachbereichen öffentlich ausgelegt werden. Und, bevor die Dissertation in den Druck geht, muss der Dekan bestätigen, dass alle gemachten Auflagen zur Änderung des Werkes eingearbeitet worden sind. Wenn das alles erfolgt ist, hätte auch bei Dr. Dippel nichts schief gehen können. Wenn doch, muss vor allem geklärt werden, um was es geht und wem die Fehler anzulasten sind. Wir werden sehen. +++ fuldainfo


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15 Kommentare

  1. Schließe mich der Meinung von Hans Schmidt voll und ganz an: Ein sehr gutes und informatives Interview, das sehr klar auch mal die Probleme innerhalb der Hochschulen beleuchtet, die überhaupt erst zu diesen Problemen führen.

    Eine Diskussion darüber, ob es sinnvoll ist, die Zeit, in der nach Erstellung eine solche Arbeit beanstandet werden kann, begrenzt werden sollte, ist meiner Meinung nach überfällig. Genauso, wie die Diskussion über die eigentlichen Probleme: Daß bei entspechender Ausstattung der Hochschulen mit PERSONAL sowas eigentlich nicht passieren dürfte, gute Betreuung vorausgesetzt.

    Auch sehr erhellend ist der Hinweis, daß solche anonymen Hinweise bei Politikern oft aus den eigenen Reihen kommen. Dazu fällt mir nur der schöne Satz eines erfahrenen Kommunalpolitikers ein:

    Gegner -> Feinde -> Parteifreunde

    Na dann auch weiterhin fröhliches Hauen und Stechen wünscht – die kleine Feder ;-)

  2. Einspruch.

    Sicherlich kann es teilweise Neid oder Missgunst sein, der andere dazu treibt, als „Anonymus“ Plagiate zu melden. Aber bei bekannten Leuten, denen Plagiate vorgeworfen werden, dient die Anonymität teilweise auch dem Selbstschutz. Sie erinnern sich noch an die ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan? Und an das, was von ihr und ihren befreundeten Wissenschaftsfunktionären an Geschützen aufgefahen wurde um die Universität zu diskreditieren, weil diese nicht das tun wolle, was Schavan wollte: das Verfahren einstellen. Und die Uni ist eine große Institution.
    Jetzt kann man sich durchaus ausmalen, was mit einem einzelnen „Anonymus“ passiert wäre, der vielleicht selbst im Wissenschaftsbetrieb tätig ist, der aber plötzlich die ganzen Funktionäre gegen sich hat.

    Übrigens: In der Wissenschaft sind anonyme Peer Reviews von Artikeln üblich, bevor diese in den jeweiligen Journals veröffentlicht werden. Die Arbeit wird ohne Autorenangabe an die/den Reviewer verteilt und wer der Gutachter ist, wissen auch die Autoren nicht. Insofern ist es für mich unverständlich, dass Herr Dehler Anonymität per se verurteilt und als etwas Schlechtes darstellt.

    Wichtig ist asllerdings, dass man die Behauptung, jemand habe plagiiert, auch mit Belegen unterfüttert. Dann spielt es nämlich keine Rolle, ob dies anonym oder mit Namen getan wurde: Die Belege, die vergleichenden Textstellen, existieren unabhängig davon, ob man den Namen der untersuchenden Person kennt. Wer dann meint, dies sei eine Verleumdung, es ist nichts dran an den Vorwürfen, der kann anhand dieser Belege selbst prüfen, ob sich diese nur ausgedacht wurden oder ob die Textstellen wirklich so in den jeweiligen Büchern vorkommen.

    Es sind nicht nur Politiker betroffen, aber wenn es einen betrifft wird dies medial sehr gern ausgenutzt. Denn leider brauchen Presseorgane immer wieder Namen und Personen, aus denen sie Stories stricken können. Dass auch Nichtpolitiker plagiieren wird in den Medien fast nie erwähnt. Weil es ja auch keinen interessiert. So kommt natürlich das Zerrbild zustande, dass da „irgendwelche Anonymen Jagd auf Politiker machen weil sie neidisch und missgünstig sind“. Ein Beispiel: Im „Vroniplag Wiki“ sind bisher über 100 Doktorarbeiten dokumentiert, in denen Plagiate in nicht geringer Anzahl vorkommen. Davon sind nur eine kleine Minderheit Politiker.

    Ansonsten hat Herr Dehler recht.

  3. Deutlicher und sachlicher kann man es wohl nicht sagen. Jetzt muss Dippel den Kopf hinhalten. Stehe ihm politisch nicht nahe, aber wird wieder einer in die Pfanne gehauen, obwohl noch gar nicht bekannt, was da gelaufen ist. Natürlich dürfen, sollen und wollen wir nicht plagiieren. Aber jetzt frage ich doch einmal – ganz ehrlich (!):
    Wer von uns hat (ob promoviert oder nicht)noch nie geklaut, noch nie plagiiert? Ich sage niemand von uns. Oder gibt es da wirklich einen Heiligen unter uns? Er wäre mir unheimlich!
    Die (Selbst)Verlogenheit ist ein Teil unserer Überlebenskunst. Stehen wir dazu, geben wir es zu. Dann geht’s uns besser. Dass Dehler das so ruhig, sachlich und sich selbst gegenüber so frei und ehrlich darstellen kann, ehrt ihn.
    Die Promotion haben wir natürlich gemacht, um den Nachweis wissenschaftlicher Befähigung zu bringen, um Karriere zu machen, um uns ein wenig abzuheben von anderen. Letztlich aber zählt Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber mehr als alles andere.

    • Noch so ein Wort zum Sonntag, das keiner braucht. Jetzt sind es nicht nur die paar Beteiligten des Promotionsverfahrens, jetzt sind wir am Ende alle schuld. Die Gesellschaft. Das System. Ohooo. Was für ein kapitaler Nonsens! Wer den Weg von Guttenberg und Schavan geht, um sich illegale Vorteile zu verschaffen, hat am Ende nichts verdient als den Austritt aus der Community. Weil er sie beschmutzt mit soviel krankem Ehrgeiz und Geltungssucht. Den Aufstand bei Guttenberg haben übrigens Wissenschaftler gemacht, die vor dem Kanzleramt gegen übermäßige Gnade protestiert haben. Das nenne ich Selbstreinigungkraft. Setzen Sie sich damit auseinander.

  4. Bin an einer hessischen Uni tätig. Ich kann ein Lied davon singen, welche Belastungen Profs als Lehrende, Forschende, Selbstverwaltende, Vortragende, Wissenstransfertreibende, Gutachter und was sonst noch alles von uns verlangt wird.
    In den letzten 10 Jahren sind die Studentenzahlen fast nahezu um 1 Mio. gestiegen. Auf jetzt ca. 2,6 Mio. Die Personalentwicklung hat keineswegs mitgehalten, wenn man mal die Hochschulverwaltungen außen vorlässt. Und auf ähnlichem Niveau kann man diese Entwicklung bereits den 80er Jahren beobachten. Man kann es eigentlich deutlicher nicht sagen. Die Studenten und Doktoranten verlangen von uns mit Recht eine gute Betreuung. Sind wir dazu, ehrlich gefragt, in der Lage (gewesen!)Ich feinde, es geht nur über die radikale Begrenzung … auch von Doktoranten. Danke, dass Sie das einmal so deutlich dargestellt haben.

  5. Wohltuend, dieses Interview zu lesen.

    Wer Josepf Dehler kennt, der weiß auch, welcher Partei er nahe steht.
    Gerade deshalb wohltuend, wie er dieses Thema sehr sachlich und fundiert behandelt und es in keiner Weise durch eine gefärbte Brille betrachtet.
    Ich finde, dass mit den Plagiat-Unterstellungen viel zu leichtfertig umgegangen wird.

    Danke, Joseph!

  6. Wirklich super effekthaschend, du lieber Gast. Leider bleiben Sie beim Sprücheklopfen. Und das schon ein wenig arg daher geholt. Das wissen Sie! Da sagt jemand mal wie die Lage im Wissenschaftsbetrieb aussieht, ist es auch nicht recht. Kein Nebel, sondern Klarsicht sehe ich im Interview! Bedenken Sie nur einmal, dass die extreme Zunahme der Studis keineswegs mit der Ausstattung der Hochschulen einhergegangen ist. –Und was das an Belastungen und auch Verantwortung mit sich bringt, weiß nur jemand, der in diesem System mittendrin steht. Und das ist erdrückend. Ich zähle mich zu den Engagierten. Aber ich bin froh, wenn ich in zwei Jahren aus dieser Mühle herauskomme. Ob Sie das verstehen? Auch ich muss Dissertationen bewerten. Dehler hat recht, es geht gar nicht anders, als dass man quer liest, Hoppla hopp etc. Es muss dringend mehr Personal für den eigentlichen Wissenschaftsbetrieb geben, – anstatt die Verwaltungen aufzublasen.
    Auf ihren blödsinnigen Vergleich mit Blondinen/ihren unterstellten Nebentätigkeiten mit den promovierenden Berufstätigen muss niemand eingehen. Das ist Frauenbeleidigung! Meine Erfahrung zeigt, dass genau Letztere (sie werden immer weniger) mit Themen zu uns kommen, die das Wissenschaftssystem beleben. Aber schon, sie haben einen anderen, oft effektiveren Arbeitsstil als die promovierenden mit Stelle oder so in der Uni.
    „SEK zum Einsatz im Elefenbeinturm!!“, schreiben Sie! Na ja, was soll ich zu so einem Quatsch sagen. Was wir brauchen ist wieder mehr politisches Engagement in der Hochschule; Leute, die sich für eine bessere, dann auch effektiver arbeitende Hochschule einsetzen. Im Moment kümmert sich fast jeder nur um sich selber. Hochschul p o l i t k ist nur noch der Kampf um Mittel, hat wenig zukunftsweisende Ziele und arbeitet eben, da haben Sie ja mit dem Elfenbeinturm schon ein wenig recht, sehr oft im luftleeren Raum abseits von gesellschaftlicher Verantwortung. Ich wünsche Ihnen keine Zahnschmerzen, sondern etwas mehr Weitsicht.

    • Ach Gottchen, da is´aber jemand beleidigt!! Ganz kurz: Ich habe nichts zurückzunehmen, ganz im Gegenteil. Wenn Sie mit Ihrem Zwei-Jahres-Horizont bis zum Exit von mir mehr Weitsicht verlangen, dann sollten Sie sich erst mal meinen Beitrag genauer durchlesen. Ich liefere Ihnen nämlich die long range: Veränderung der Promotionsordnungen dahin, dass nur noch aktive Wissenschaftler überhaupt berechtigt sind. Übersehen? Mit Absicht?? Sprücheklopfen und Effekthascherei habe ich also gar nicht nötig, doch nicht nach Schavan und Guttenberg. Das System des Elfenbeinturms, Ihr System also, ist krank. Mittelknappheit etc.sind keine Entschuldigung für schlampiges Arbeiten, auch nicht für SIE. Hoppla-hopp ins Verderben, hoppla-hopp mit Plagiaten zum Titel, so läuft das nicht, nicht mal für Frauen. Wenn Sie Ihre Arbeit nicht ordentlich machen können, dann nehmen Sie halt keine Dissertationen mehr an, fertig. So einfach ist das. Es muss ja nicht jeder Hansel promoviert werden. Mir Frauenbeleidigung vorzuwerfen, ist lächerlich, Frauen sind mir nämlich völlig egal. Es gibt aber zwei Seiten der einen Medaille des zitierten Entschuldigungstheorems, von denen die eine neu ist, nämlich, dass man mit Zeitknappheit infolge Berufstätigkeit wissenschaftliche Schlamperei und sogar strafrechtlich relevante Vergehen wie Plagiate rechtfertigen will. Das kommt bedauerlicherweise nicht von Weggefährten oder Parteifreunden der Ertappten, sondern aus dem Wissenschaftsbetrieb selbst. Ich hatte neulich schon Jürgen Kaube von der FAZ zitiert, vielleicht lesen Sie es nochmal nach. Argumentationstechniken zur Relativierung der Schuld sind vielfältig. Hieß es bei Schavan, man müsse sich um eine „besondere Zitatkultur“ kümmern, will uns Herr Dehler – wir lassen die Titel mal weg… – mit seiner speziellen Relativitätstheorie beglücken und uns weismachen, es sei nicht der Autor, es seien die vielen anderen um ihn herum, die ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden seien. Blödsinn? Nein, hinterhältige Agitation. Jeder Doktorand weiß, was auf dem Spiel steht. Jeder unterschreibt die Erklärung zum korrekten wissenschaftlichen Arbeiten. So blöd kann doch ein Doktorand gar nicht sein, dass er nicht versteht, was er da unterzeichnet. Wenn er dann mit Plagiaten auffliegt, muss er sich selber an die eigene Nase fassen. Dann muss er mit seiner Schuld leben und mit der Schande, genau wie Guttenberg und Schavan. Da hilft es nicht, dass der Doktorvater keine Zeit hatte oder sich nach Hausfrauenart mit hoppla-hopp durch den Job laviert. Wo sind wir eigentlich hingekommen, dass ich hier sowas hinschreiben muss? Jedenfalls viel Spaß noch die nächsten zwei Jahre mit hoppla-hopp und so.

      • Da fragen wir mit „Wegfurt“ mal den oberschlauen „Gast“, der alles weiß, alles liest und ueber alles so selbstherrlich urteilen kann: Haben Sie schon einmal plagiiert?
        Ich stelle ihn mir so vor, als wuerde er den ganzen Tag irgendwo rumsitzen, also nichts PRODUKTIVES tun, ganz viel zusammenlesen und damit auf den Einsatz zum naechstmöglichen Leserbrief warten, um all dies anzubringen, ob es passt oder nicht. Andere nennen das Wichtigtuer. Auch noch einer, dem Frauen völlig egal sind.

  7. Ein typischer Versuch eines Mitglieds des Wissenschaftsbetriebs, durch Verteilung der Verantwortung die (potenzielle) Schuld zu vernebeln. Ganz mies. Liebe Bewohner des Elfenbeinturms: Wenn ihr eure Rituale nicht ändert, nicht aufhört, euch auf dem Paukboden Schmisse zu setzen und stattdessen einen effizienten Arbeitsstil entwickelt, hilft euch auch dieses Getue nicht mehr lange. Man sollte die Erlangung von Doktortiteln künftig ausschließlich nur noch für wirklich wissenschaftlich tätige Personen zulassen. Dann käme dieses dämliche Gequatsche von „die Arbeit habe ich neben meiner hauptberuflichen Tätigkeit geschrieben“ – übersetzt: „Ich hatte leider keine Zeit für ordentliches Arbeiten, also seht mir die Plagiate nach, schließlich musste ich Geld verdienen“ auch nicht mehr vor. So einen Blödsinn von dem Interviewten hier lesen zu müssen, verursacht mir Zahnschmerzen. Hat übrigens auch bei Guttenberg nicht gezogen. Die Ich-war-jung-und-brauchte-das-Geld-Theorie war ja bislang Blondinen vorbehalten, die in jungen Jahren gewisse Nebentätigkeiten ausgeübt hatten. Die jetzt auch für Doctores anwenden zu wollen, erscheint mir höchst befremdlich. Der Plagiator nimmt anderen etwas weg und sollte auch so behandelt werden, wissenschaftlich und strafrechtlich. Also: SEK zum Einsatz im Elefenbeinturm!!

  8. Das glaube ich auch, Joseph Dehler. Ganz sicher Karriereneid, Herr Anonymus. Zeigen Sie doch mal Ihr Gesicht, Sie Feigling. Sie sind mit diesem System verwachsen, das Sie auf dem Rücken eines EINZELNEN anprangern. Alles Schein!

    • Na, Karlchen, dann sag uns erst mal Deinen vollständigen Namen und Deine Anschrift nebst Telefonnummer und Email-Adresse. Wir sind schon ganz gespannt…

  9. Das ganze Leben ist ein Plagiat. Alles baut aufeinander auf. Wer weiß schon, was am Ende des Lebens noch von wem was war? Noch hier: Dann prüfen wir doch mal, wo diejenige/derjenige abgeschrieben hat, wo angeblich Dr. W.D. abgeschrieben haben s o l l ! Die Professoren müssten doch die Literatur so gut kennen, dass ihnen Quellenfehler hätten auffallen müssen. Oder was war das los. Ja. Dehler hat sehr gut die Bedingungen geschildert, unter denen die Gutachter heute begutachten müssen. Für Studenten und Doktoranden ist doch kaum noch Zeit. Wenn jemand eine Dissertation, sagen wir 300 Seiten, r i c h t i g lesen und begutachten will, dann braucht man dazu eine ganze Woche. Woher soll die denn kommen? Also muss es HopplaHopp gehen. Sind wir doch einmal ehrlich.

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